Review

Neben dem 1970 unter der Regie von Janusz Majewski entstandenen und auf einer Novelle des französischen Schriftstellers Prosper Mérimée basierenden LOKIS ist der 1983 erschienene WILCZYCA der einzige weitere mir bekannte polnische Horrorfilm. Rein oberflächlich betrachtet sind die Parallelen zu LOKIS nicht zu übersehen. Beide Filme sind handlungstechnisch nicht in der Gegenwart angesiedelt, sondern spielen in vorigen Jahrhunderten, beide Filme ergehen sich mehr in Andeutungen als in offensichtlichen Schockszenen, beide Filme bedienen sich nichtsdestotrotz freimütig im Arsenal der Genreingredienzien, die dem Publikum einen wohligen Schauer versprechen – und in beiden Filmen spielt ein unheimliches Tier eine bedeutende Rolle, in LOKIS ein Bär, in WILCZYCA die titelgebende Wölfin. WILCZYCA beginnt dabei mit einer Szene, die stimmungsvoller nicht sein könnte. Ein Krähenkrächzen ist das Erste, was dem Zuschauer zu Ohren kommt. Der zugehörige Vogel sitzt auf einem scheinbar von einem Wolf gerissenen Pferd, dessen zerfetzter Körper in der trostlosen Schneelandschaft, die die zurückfahrende Kamera enthüllt, nur noch verlorener wirkt, und pickt Fleischfetzen aus dem offenen Bauch des erlegten Tiers. Ein Reiter erscheint im Bildhintergrund, ein nicht wirklich freundlich dreinblickender Mann mittleren Alters mit buschigem Bart, der die fressende Krähe einen Moment mit einem Gesicht voller finsterer Ahnungen beobachtet, und seinem eigenen Pferd dann die Sporen gibt, um mit gesteigertem Tempo weiterzureiten. Dazu erklingt eine düstere Musik, die keinen Zweifel daran lässt, in welche Richtung der folgende Film tendieren wird.

So eindrucksvoll die ersten Minuten von WILCZYCA sein mögen, so wenig kann der Film im weiteren Verlauf die Versprechen halten, die er dem Zuschauer mit diesem Einstieg gibt. Reichlich verwirrend gerät schon die Ankunft des Reiters, der auf den Namen Kacper Wosinski hört, in seinem Eigenheim, das abseits der umliegenden Dörfer in der Einöde errichtet wurde, und in dem sich während seiner längeren Abwesenheit nur sein Diener und seine Ehefrau aufgehalten haben. Letztere liegt auf dem Sterbebett, redet wirr vor sich hin, und verflucht Kacper noch mit ihren letzten Atemzügen, schwört dem sprachlosen, zutiefst entsetzten Mann, dass sie ihn auch nach ihrem Tod überall finden werde. Sein Diener lässt nur nach und nach durchblicken, dass es mit dem Gesundheitszustand seiner Gattin in den Tagen seines Fernseins offenbar rapide bergab ging, und sich einige Dinge ereigneten, die er lieber nur andeuten möchte, die es aber seiner Meinung nach rechtfertigen, dass man ihr nach ihrem Tod einen Pfahl ins Herz treibt, hält er sie doch wie die Dorfbewohner für eine Hexe, die einen Bund mit dem Teufel eingegangen ist. Schweren Herzens und noch unter Schock stehend lässt Kacper sich von seinem Diener dazu verleiten, den Leichnam seiner Frau zu pfählen, und ihn anschließend in ein Grab inmitten eines Schneefelds zu versenken. Zu Hause hält er es jedoch nach diesen tragischen Ereignissen nicht mehr aus. Er erklärt seinem Diener, dass er nie wieder zurückkehren werde, und reitet davon, um bei einem befreundetem Grafen unterzukommen, mit dem zusammen er in einer im Untergrund tätigen Gruppe politischer Aktivisten involviert ist, die sich für die Freiheit Polens einsetzt und gegen die preußischen Feinde von außen und die Feinde im eigenen Land operiert. Kacper scheint froh, sich kopfüber in die oppositionelle Tätigkeit stürzen, wie schon so oft Geheimdokumente von einem Ort zum nächsten transportieren und mit seinen politischen Freunden darüber diskutieren zu können, mit welchen Mitteln es möglich sei, Polens Freiheit zurückzugewinnen. Nach und nach wird er allerdings von Alpträumen heimgesucht. Eine Wölfin, so heißt es, mache seit einiger Zeit die Gegend unsicher, und nachts ist ihr unheimliches Geheul zu hören. Auch gibt ihm Julia, die junge Frau des Grafen, Rätsel auf, scheint sie seiner verstorbenen Gattin doch wie aus dem Gesicht geschnitten…

WILCZYCA ist ein Film, der mich ratlos zurückgelassen hat. Zum einen liegt das an der Umsetzung der Handlung, die man ohne größere Probleme auch relativ klar und linear hätte erzählen können, für die die Verantwortlichen allerdings offenbar entschieden, sie zusätzlich zu verwirren und einige entscheidende Informationen quasi beiläufig oder viel zu spät zu offenbaren. Ich weiß nicht, ob das Absicht gewesen ist, um dem Film einen noch rätselhafteren Touch zu verleihen und die sowieso schon vorhandenen Unklarheiten zu verstärken, allerdings hat es mich doch etwas befremdet, dass die Beziehung, die Kacper zu seiner Frau unterhielt, dass er sie offensichtlich schlug und äußerst schlecht behandelte, erst kurz vor Ende enthüllt wird, oder dass die ins Auge springende Ähnlichkeit zwischen Gräfin Julia und der toten Gattin ebenfalls zum ersten Mal zu einem Zeitpunkt thematisiert wird, als es schon längst keine Überraschung mehr darstellt und vielmehr irritierend wirkt. Ganz warmwerden konnte ich auch nicht mit der Eigenheit des Films, oftmals auf der Stelle zu treten, sich über einen längeren Zeitraum handlungsmäßig kaum vom Fleck zu bewegen, und dann innerhalb weniger Szenen, was die Story betrifft, mehrere Quantensprünge zu vollführen, und in kürzester Zeit so viele wesentliche Informationen wie möglich unterzubringen. Am problematischsten ist aber wohl die Hauptfigur, Kacper Wosinski, der zum größten Teil des Films die Identifikationsfigur für den Zuschauer darstellen soll, und dabei eine nur unzulängliche Rolle abgibt. Es gelang zumindest mir zu keiner Sekunde, wirkliche Empathie für den Protagonisten aufzubauen oder auch nur zu erahnen, was seine Gedanken und Gefühle sind. Kacper ist alles andere als ein Sympathieträger, versteckt seine Emotionen bis zum Finale, und dass sowohl die politischen Aktivitäten, die er für den Grafen und dessen Freunde tätigt, als auch sein wahres Verhältnis zu seiner toten Frau bis zum Ende hin nie richtig klarwerden, hilft dem Zuschauer ebenso nicht dabei, sich in diese verschlossene, abweisende Figur hineinzuversetzen. WILCZYCA verwehrt, ob bewusst oder unbewusst, seinem Publikum den emotionalen Zugang zu seinen Charakteren, sodass einem nichts übrigbleibt als das verworrene Geschehen aus einer distanzierten Beobachterperspektive zu betrachten, und darauf zu hoffen, dass sich die meisten der unvorhersehbaren Storyentwicklungen im Finale zu einem homogenen Ganzen zusammenfinden, wobei mich nicht mal die Auflösung, die man zudem schon weit vor den letzten Minuten ahnen kann, vollends befriedigte, und mehrere offene Fragen lässt, von denen ich mir allerdings vorstellen kann, dass der Film sie bewusst nicht beantwortete, um einer abschließenden rationalen Erklärung der Ereignisse aus dem Weg zu gehen.

Immerhin schafft WILCZYCA es bezüglich seiner Atmosphäre, den Zuschauer für sich zu gewinnen. Der Film schwelgt in trostlosen Winterlandschaften, in finsteren Wäldern, durch die wilde Wölfe schweifen, und in den lediglich von ein bisschen Kerzenschein erhellten Gemächern menschenleerer Landhäuser und Schlösser. Wirkliche Schauwerte bietet der Film hingegen wenige, da es ihm wohl eher darum ging, eine konstante bedrohliche und melancholische Stimmung aufzubauen, das Publikum in einer steten Erwartungshaltung zu fangen, die erst ganz am Ende teilweise aufgelöst wird. So poetisch die Landschaftsaufnahmen von Schneefeldern, stummen Baumgruppen und öden Äckern sein mögen, auf die Dauer reichen eben auch sie nicht, die Geschichte zu tragen, und es zu schaffen, dass beim Betrachter nicht ein Gefühl der Eintönigkeit entsteht, obwohl ich natürlich auch hier nicht ausschließen kann, dass gerade das die Intention des Regisseurs Marek Piestrak gewesen sein mag. Wobei ich mir über die Intention des Films, sofern überhaupt eine eindeutige vorliegt, sowieso den Kopf zerbrochen habe. WILCZYCA tritt einerseits natürlich als Horrorfilm auf, der klassischer nicht sein könnte und aufgrund seiner Machart im Jahre 1983 fast schon anachronistisch wirkt. Bis auf das Finale, auf das ich gleich noch eingehen werde, zeigt der Film keine einzige blutigere Szene, baut seinen leisen Grusel allein durch seine Bilder und durch dumpfe Ahnungen und versteckte Hinweise auf. Dadurch, dass er scheinbar Ende des 18.Jahrhunderts spielt, eine exakte Jahreszahl wird allerdings nie genannt, kann er unverblümt und ohne moderne Zugeständnisse polnische Folklore mit Genreelementen mixen, die an Hammer-Filme aus den 60ern erinnern. Ein jüdischer Gelehrter ist es, der Kacper verrät, wie die Werwölfin zu töten ist. Wie selbstverständlich wird Magie praktiziert. Kacper selbst ist über die nackte Tatsache, dass ein Werwolf ihm nach dem Leben trachtet und dass seine tote Frau sich offenbar reinkarnierte, um sich an ihm zu rächen, kaum entsetzt, nimmt es vielmehr als gegeben hin, dass die Welt in all ihren Einzelheiten noch nicht rational erklärbar ist. Völlig diesem beinahe märchenhaften Bestandteil der Geschichte ist dann aber die politische Ebene entgegengesetzt, die der Film zwar nie penetrant und offensiv beschreitet, aber doch unterschwellig genug, dass man sie nicht übersehen kann. Ob WILCZYCA nun wirklich auch einen politischen Kommentar darstellen soll oder nicht, ist eine der Fragen, die mich nach der Sichtung am meisten beschäftigten. Ganz offensichtlich ist der Film etwa im Jahre 1793 angesiedelt, zur Zeit der preußischen Invasion Polens, was ihn rein optisch ein wenig in die Nähe von Zulawskis Meisterwerk DIABEL rückt, auch wenn die beiden Filme ansonsten Welten trennen. Kacper ist ein Oppositioneller, agiert in einer Gruppe Widerstandskämpfer, wohingegen die Frau des Grafen eine Liaison mit einem preußischen Offizier eingeht, ihr Gatte indes blind für ihre ständigen Ehebrüche ist, sie entweder wirklich nicht sieht oder nicht sehen will. Bezeichnend ist auch eine Szene, die relativ zusammenhanglos im Film steht: Julia und ihr preußischer Liebhaber haben ein Fest organisiert, zu dem jedoch kein einziger der geladenen Gäste erscheint, da die offenbar ein Paktieren mit den feindlichen Invasoren, wie es Julia tut, strikt ablehnen. Dennoch bleibt WILCZYCA gerade was seine politische Seite betrifft viel zu offen, um ihn an irgendeiner These festnageln zu können. Kommunistische Gesellschaftskritik oder das Propagieren einer patriotischen Gesinnung möchte ich dem Film nicht unbedingt unterstellen, obwohl sicherlich auch solche Deutungsmöglichkeiten denkbar wären. Immerhin liefert WILCZYCA reichlich Stoff zum Nachdenken und Interpretieren, was seine konfuse Story in meinen Augen dann schlussendlich doch ein wenig rettet.

Dass ich WILCZYCA trotz allem einigermaßen positiv bewerte, liegt nicht zuletzt an einigen über den Film hinweg verstreuten Einzelszenen, die ich in dieser Form nirgendwo sonst jemals gesehen habe und die mich fast wehmütig darüber werden ließen, dass der Film mit ihnen so sehr geizt. Neben der Anfangssequenz wäre das vor allem das gesamte Finale, in dem sich WILCZYCA völlig unerwartet für ein paar Minuten in eine wahre Splatter-Orgie verwandelt. Ich hätte dem eher still, ruhig und teilweise ereignislos dahinfließenden Film bis zu dem Moment nie zugetraut, dass er auf einmal Kacper zum Berserker werden lässt, der, nachdem er erkannt hat, dass es sich bei Julia eindeutig um die Werwölfin und um die Reinkarnation seiner toten Frau handelt, zur Waffe greift und sie zusammen mit ihrem preußischen Bettgefährten überfällt, als die gerade der Fleischeslust frönen. Julia wird mit einem Kopfschuss niedergestreckt und auch zwei herbeieilenden Preußen, die ihren Kommandanten schützen wollen, ergeht es schlecht, wenn Kacper ihnen in seiner Raserei mit einem Degen die Gliedmaßen abtrennt. Schließlich entzieht er sich der Situation mit einem Sprung durchs Fenster und reitet auf seinem Pferd davon, mittlerweile von Kugeln durchsiebt, und nur noch ein blutiger Klumpen Fleisch. Obwohl die Splattereffekte technisch nicht einwandfrei umgesetzt sind, erhalten sie eine zusätzliche Härte dadurch, dass sie aus heiterem Himmel über einen hereinbrechen, und in der Drastik völlig konträr zum restlichen Film stehen. Nach diesem nahezu comichaft-übertriebenen Gewaltausbruch gerät die letzte Szene wieder melancholisch-poetisch und wunderschön in ihrer Morbidität. Als der abwesende Graf, wie zu Beginn Kacper, nach Hause zurückkehrt, erfährt er, dass seine Frau ermordet worden ist. Julia wird exhumiert, ihr Sarg geöffnet, und entblößt nicht etwa ein Menschenskelett, sondern das eines Wolfes. In seinen besten, spärlich gesäten Momenten erreicht WILCZYCA eine eigenwillige Kinomagie, die mich dazu verleitet, eine Empfehlung auszusprechen, auch wenn ich persönlich, wie oben ausgeführt, mit dem Film nicht wenige Schwierigkeiten hatte.

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