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Im Palast des Löwen, des Königs der Tiere, sammeln sich die Beschwerdeschreiben gegen den Fuchs, der sämtliche Tiere des Königreichs mit seinen derben Scherzen und hinterlistigen Streichen quält. Nicht nur, dass er den schüchternen, ängstlichen Hasen beim Chorsingen in der Verkleidung eines Priesters tätlich angegriffen und dem Raben, dessen Eitelkeit ausnutzend, ein Stück Käse geraubt hat, vor allem seinem Erzfeind, dem Wolf, spielte er derart übel mit, dass er seinen Schwanz in einem zugefrorenen See zurücklassen musste. Es steht fest: der Fuchs ist eine Last für die Tiere. Da helfen auch die Fürsprachen seines Cousins, des Dachses, nicht, der versucht, alle Vergehen des Fuchses in ein anderes Licht rücken. In Abwesenheit des Verbrechers, der sich, wie meist, wenn er keine Hinterhältigkeiten ausübt, in die Abgeschiedenheit seines Schlosses Maupertuis zurückgezogen hat, verkündet der Löwe, dass es so nicht weitergehen kann und erlässt ein Dekret, das allen Tieren verbieten soll, andere Tiere zu verspeisen. Die Liebe, ruft er aus, soll von nun an über sein Königreich herrschen. Damit meint er sicherlich nicht die, die der Kater seiner eigenen Gattin entgegenbringt, indem er nächtens unter ihrem Fenster Liebesständchen für sie anstimmt, und wohl auch nicht die, die der Fuchs für ein Huhn empfindet, das er kurzerhand entführt und bis auf das Skelett abnagt. Diese Tat lässt das sowieso bereits ziemlich volle Fass endgültig überlaufen. Der Löwe sendet Hauptmann Bär, um den Übeltäter gefangen zu setzen und in den Palast zu schaffen, wo er ihn richten will. Klug wie er ist nutzt der Fuchs jedoch dessen Leidenschaft für Honig aus, um ihn in eine Falle zu locken und ihn statt ihn seinen zerbeulten, zerschlagenen Körper zurück zum König schleppen zu lassen. Auch der Kater, der vor allem seiner heimlichen Liebsten etwas beweisen will, scheitert bei dem Versuch, den Fuchs einzufangen und endet wie der Bär mit blauen Flecken. Erst sein Cousin schafft es, den Fuchs dazu zu überreden, freiwillig zum Palast aufzubrechen. Der Dachs, der ein doppeltes Spiel spielt, redet ihm ein, dass eine hohe Ehrung dort auf ihn warte. Diese besteht jedoch aus dem Galgen, wo das Todesurteil gegen den Fuchs vollzogen werden soll. Den Tod vor Augen schafft er es aber wieder, sich aus der Schlinge zu winden, indem er dem Löwen eine abstruse Geschichte auftischt, nach der der Bär, der Kater und der Wolf ihn zu ermorden planen, um die Herrschaft im Königreich der Tiere an sich zu reißen. So landen seine drei Feinde im Kerker, während er vom Schafott steigen darf. Schnell jedoch begreift der Löwe, zudem um einen Schatz betrogen, den der Fuchs ihm versprach, dass der Fuchs ihn belog und sich zudem in einem Brief, den er ihm schickt, über ihn lustig macht. Offenen Krieg erklärt der König nun, sammelt seine Armeen und bricht mit ihnen zum Schloss des Fuchses auf…

In einem kleinen Atelier in Fontenay sous Bois bei Paris stellte der gebürtige Pole Wladyslaw Starewicz in den 20er und 30er Jahre etwa zwei Dutzend Puppentrickfilme her. LE ROMAN DE RENARD nimmt unter ihnen eine herausregende Stellung ein, ist er doch der erste seiner Filme, der mit Ton gedreht wurde, und sein einziger Langfilm, dessen Laufzeit etwas mehr als eine Stunde beträgt. Über zehn Jahre zog sich die Produktion des Films hin, der sich inhaltlich auf ein altfranzösisches Werk des 12.Jahrhunderts beruft. Erst in den späten 30ern zeigten die Frankreich besetzt haltenden Nazis Interesse an dem Film (immerhin hat Goethe den mittelalterlichen Stoff als Reinecke Fuchs übertragen) und stellten Geld zur Verfügung, mit dem er fertig gestellt werden konnte.

Für mich ist LE ROMAN DE RENARD das Meisterwerk Starewiczs und einer meiner liebsten Filme überhaupt. Wo seine früheren Werke sich meist auf eine einzige Fabel beriefen, mit einem einzigen Tier oder einer Pflanze als Hauptcharakter, so hat Starewicz hier, der literarischen Vorlage entsprechend, eine schier endlose Fülle an einzelnen Figuren und Geschichten eingebracht, die dennoch nicht verhindern, dass der Film völlig geschlossen und homogen wirkt. Auch nutzte er die Chance, Tiere aus seinen Kurzfilmen, die er ab den frühen 1910er Jahren drehte, in LE ROMAN DE RENARD auftauchen zu lassen, meist nur in winzigen Nebenrollen, was einem das Gefühl gibt, dass dieser Film ein Sammelbecken seiner früheren Ideen bildet, eine Zusammenfassung seines bisherigen Oeuvres, ein Epos, in das sämtliche vorherigen Werke münden. Tatsächlich hat mich kein anderer Film Starewiczs so sehr begeistert wie LE ROMAN DE RENARD. Die Tierpuppen sind, was für Starewicz nichts Ungewöhnliches ist, selbst aus heutiger Sicht schlicht erstaunlich, haben eine ganze Palette verschiedener Mimiken, bewegen sich dynamisch und sind von Sprechern mit Stimmen ausgestattet, die perfekt zu ihren Persönlichkeiten passen. Jedes einzelne Tier besitzt einen eigenen Charakter, ist eine Welt für sich. Selbst den Randfiguren, die nur in einer Szene zu sehen sind, hauchte Starewicz mit derselben Intensität Leben ein wie den Helden der Geschichte. Auch sind die Ideen, die er in den Film brachte, von einer unerschöpflichen Kreativität, die sich vor allem auch in den Details niederschlägt. So sehen wir in einer Szene innerhalb einer Kirche an der Stelle, wo normalerweise ein gekreuzigter Christus sein sollte, einen überdimensionalen Elefanten in Erlöserpose. Der Fuchs amüsiert seine Söhne mit einem Spielzeug, das aus einem Hühnerskelett besteht, das er wie eine Marionette zwischen seinen Pfoten bewegt. Und wenn der Fuchs in einem Brunnen sitzt, um dem Wolf einen Streich zu spielen und ihn zu sich in die Tiefe zu locken, schwärmt er ihm davon vor, dass dort unten das Paradies sei, was in beinahe psychedelischen Effekten verdeutlicht wird, wie beispielsweise singenden Häschenköpfen mit Flügeln, die die Engel darstellen sollen.
 
Dass LE ROMAN DE RENARD nur auf den ersten Blick ein Film für Kinder zu sein scheint, beweist Starewicz mit dem für ihn typischen subtilen Zynismus. Seitenhiebe auf Politik oder Religion findet man vor allem beim Ende der Geschichte oder auch in Szenen wie der, die einen vom Messwein betrunkenen Hasen in einer Kirche zeigt. Vor allem bezieht der Film seinen Witz jedoch aus seinen liebevoll gestalteten Figuren, aus den Mimiken, Gesten und Blicken seiner Tierprotagonisten, und nicht unbedingt aus leeren Schauwerten. Wenn es dann zur finalen Schlacht kommt, in dem der Fuchs und seine Söhne ihr Schloss mit allen Regeln der Kunst verteidigen, wird LE ROMAN DE RENARD allerdings zu einer in irrsinnigem Tempo abgedrehten, rasanten Abfolge unzähliger Slapstick-Szenen, denen man kaum folgen kann, als wolle Starewicz diesen Stil ad absurdum führen. Eine meiner liebsten Szenen ist jedoch sicherlich die, in der der verliebte Kater der Löwin ein heimliches Ständchen unter ihrem Fenster darbringt, unterbrochen von sehnsuchtsvollem, liebestrunkenem Maunzen.

LE ROMAN DE RENARD ist ein Werk, an dem ich überhaupt nichts aussetzen kann, ein witziger, kluger, äußerst unterhaltsamer, putziger Animationsfilm, der im Gegensatz zu vielen anderen Puppenfilmen heute noch genauso begeistern kann wie zu seiner Entstehungszeit.

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