Seit „Kill Bill: Vol.1“ hat wohl kein Film die Gemüter im Vorfeld dermaßen erhitzt wie „Sin City“, obwohl die Kult-Comics von Frank Miller hierzulande weit weniger bekannt sind als jenseits des großen Teichs. Vielleicht lag es ja daran, dass bereits im Trailer Quentin Tarantino als „Special Guest Director“ angekündigt wurde, vielleicht auch an der schier endlosen All-Star-Besetzungsliste. Doch am neugierigsten machte der Look des Ganzen, denn das Team Rodriguez/Miller scheint hier keine Kompromisse eingegangen zu sein, was die Umsetzung des Comics auf die Leinwand betrifft, kreierte eine comicgleiche Schwarzweißwelt und schien der Vorlage damit näher zu kommen wie keine Comicverfilmung vorher.
Mal abgesehen von dem ganzen Theater, das nun um die verfrühte DVD-Veröffentlichung und dem damit einhergehenden Boykott einiger großer Kinoketten gemacht wird: „Sin City“ rechtfertigt den Hype, der um ihn gemacht wird, in jeder Sekunde und ist das unbestrittene Highlight des bisherigen Kinojahres.
Rodriguez trifft den Ton der Vorlage hundertprozentig, was vor allem seinem Entschluss, Frank Miller als zweiten Regisseur mit ins Boot zu holen (und damit sogar aus der „Director’s Guild of America“ auszutreten), zu verdanken ist. „Basin City“ ist der dreckigste Moloch, den man sich vorstellen kann, ein Sumpf aus Korruption, Verbrechen, Prostitution und Gewalt. Das Gesetz zählt hier so gut wie nichts, weil höchste Polizei- und Politikerkreise ebenso in Mafiamachenschaften verstrickt sind und somit immer die niedrigsten Glieder der Nahrungskette die Verlierer sind. Wer stark ist, gewinnt, wer schwach ist, verliert – das einzige Gesetz in „Sin City“.
In dieser bis ins letzte Eck düsteren Szenerie erzählt Rodriguez drei Geschichten aus Millers’ Comicuniversum: Der alternde Cop Hartigan (Bruce Willis) will ein kleines Mädchen vor einem kranken Vergewaltiger beschützen, der sich später in „Yellow Bastard“ verwandelt. Marv (Mickey Rourke) ist ein entstellter Muskelprotz, der den Tod der Hure Goldie (Jaime King) rächen will und dafür über Leichen geht. Dwight (Clive Owen) hat eine Affäre mit einem Barmädchen (Brittany Murphy), deren Ex Jackie Boy (Benicio del Toro) ihn direkt nach „Oldtown“ führt, wo es bald heiß hergeht.
Auf den ersten Blick haben die drei Storys nicht viel gemeinsam, doch im Grunde genommen erzählen sie alle von ausgebrannten Kerlen, die sich nur nach einem sehnen: Liebe. Bei Hartigan kommt sie in dessen übertriebenem Beschützerinstinkt für Nancy zum Ausdruck, bei Marv in Form von Zuneigung, die ihm die Hure Goldie schenkt, ein Gefühl, dass er sein ganzes Leben noch nicht kannte. Dwight gibt die Anführerin der Kampfamazonen Oldtowns, Gail, genau die Leidenschaft und das Feuer, das er schon seit langer Zeit vermissen lässt. Obwohl es auf den ersten Blick klar die Männer sind, die hier das Sagen haben, so sind es doch die Frauen, die das ganze Storygefüge emotional zusammenketten und die Motivation für die Männer sind, überhaupt noch einen Lebensinhalt in dieser trostlosen Stadt zu finden.
Bei einer Laufzeit von knapp 35 Minuten pro Episode darf man natürlich keine großartigen Plottwists erwarten und „Sin City“ ist narrativ bei weitem kein Geniestreich. Es ist unter anderem die Ausstrahlung der Figuren, die den Blick des Zuschauers hier auf die Leinwand bannt. Da sind Kerle in langen Trenchcoats, die mit äußerster Brutalität zur Sache gehen und vor Morden nicht zurückschrecken, harte Kerle, wie sie die Kinowelt seit Jake Gittes und Harry Calahan nicht mehr gesehen hat. Sie töten genauso wie die Bösen, aber sie sind die klaren Sympathieträger, weil sie für ihre Sache stehen, sich von keinem bestechen lassen, sondern ihr Ding durchziehen, selbst wenn es dafür Schläge hagelt. Bezeichnend die Szenen, in welchen aus Hartigan und Marv ein Geständnis gequetscht werden soll, sie jedoch lieber Prügel kassieren, als ihre Ideale zu verraten. Das ist herrlichstes Machokino der alten Schule, zumal die drei Hauptakteure Oneliner vom Stapel lassen, die ein John McClane nicht cooler rüberbringen würde.
In diesem Sündenpfuhl geht es natürlich nicht zimperlich zu und weil weder die Comicvorlage, noch Rodriguez und Tarantino Gewalt abgeneigt sind, ist „Sin City“ das ziemlich brutalste, sadistischste und zynischste Stück Film, das man in den letzten Jahren bewundern durfte. Abgetrennte Gliedmaßen und ausgefallene Foltermethoden hat das Macherteam zuhauf zu bieten, aber alles steht in einem Kontext, der die Brutalität deutlich abschwächt. Das comicartige hinter den Gewaltexzessen ist stets klar erkennbar und die Rohheit dient dem puren Selbstzweck (mal wieder eine willkommene Abwechslung zum PG-13-Einheitsbrei), sodass man das alles nicht ernst nehmen muss. Am schlimmsten ist „Sin City“ tatsächlich immer dann, wenn Gewalt gegenüber Frauen angewendet wird. Die Szene, in der Nancy ausgepeitscht wird, ging mir persönlich am meisten an die Nerven, vor allem weil Jessica Alba im ganzen Film verdammt süß aussieht und sich trotz ihres Jobs einen so unschuldigen Gesichtsausdruck bewahrt hat, dass man sie ständig umarmen möchte.
Die Freundin sollte man also daheim lassen, denn phasenweise ist das schon hart an der Grenze zur Frauenverachtung, zumal alle weiblichen Wesen Sin Citys Bardamen, Tänzerinnen oder Huren sind. Da aber auch alle Männer Dreck am Stecken haben, gleicht sich das in gewisser Weise wieder aus.
Zugegeben, das Drehbuch bietet ab einer knappen Stunde nicht mehr viel Neues und gegenüber der Gewalt stumpft man auch irgendwann ab, aber was Rodriguez visuell auf einen loslässt, kann man mit Worten unmöglich beschreiben. Man kann schon fast sagen, dass „Sin City“ keine Comicverfilmung, sondern selbst ein Comic ist, so detailgetreu wurden die Locations aus der Vorlage übernommen. Wie dazu mit Kamera und Computertricks gearbeitet wird, ist schlicht und ergreifend grandios, bereits die Eingangsszene bietet ein völlig neuartiges Filmerlebnis (absolutes Gänsehautfeeling, wenn die Augen plötzlich grün leuchten!). Keinen einzigen Augenblick ist das Gezeigte langweilig, alleine die fiktive Welt Sin Citys ist faszinierend genug, um für Aha-Erlebnisse am laufenden Band zu sorgen und denkwürdige Momente, die das Zeug zum Klassiker haben, gibt es mehr als genug. Umso bemerkenswerter ist in diesem Zusammenhang die Leistung der Schauspieler, die beim Dreh nur den Green-Screen hinter sich hatten, mehr nicht. Alles andere wurde digital erzeugt und lässt perfekte Film-Noir-Stimmung aufkommen, zu der auch die Helden passen, die deutlich an Sam Spade und Co. erinnern.
Lässt sich schwer sagen, ob die bereits feststehende Fortsetzung da qualitativ mithalten kann, obwohl man sich von der inszenatorischen Seite keine Sorgen zu machen braucht. Aber die Story, die war hier schon alles andere als abwechslungsreich, was bei dieser optischen Wucht jedoch nicht weiter ins Gewicht fällt. Außerdem tat es unheimlich gut, mal wieder Machokerle der guten alten Schule in einem Film zu sehen, und zwar solche, die diesen Namen auch verdienen. Rodriguez gelang mit „Sin City“ auf jeden Fall die essentielle Comicverfilmung, die ihrem Namen auch gerecht wird und weiter Begeisterungsstürme ob der wagemutigen und einfach nur beeindruckenden Inszenierung auslösen wird. Das soll sich jetzt bitte erst mal jeder im Kino ansehen, denn selbst bei der besten Heimkinoanlage wird der Film auf dem Fernseher einen Teil seiner Faszination verlieren.
„Never trust the Hype!“ – gilt hier nicht, perfekte Unterhaltung und innovativ noch dazu…Dank an die Herren Rodriguez, Miller und Tarantino, für solche Filme wurde Kino erfunden!