Vor ein paar Jahren bekam ich mal den Trailer dieses Films zu Gesicht. Und ab diesem Zeitpunkt an wollte ich "Der Tod und das Mädchen" unbedingt sehen. Damals war ich noch naiv und glaubte, dass gute Trailer automatisch gute Filme machen. Mittlerweile bin ich anderer Meinung, denn aus jedem Film kann man einen geschmackvollen Trailer zusammenschneiden.
Doch mein erster Eindruck von "Der Tod und das Mädchen" hat sich auch beim ersten Ansehen bestätigt, denn es offenbart sich ein grandioser Psychothriller, der teilweise wie ein Kammerspiel wirkt. Denn im eigentlichen Sinne bestimmen wirklich nur 3 Personen das ganze Geschehen. Paulina, eine ehemalige Widerstandkämpferin, deren Ehemann, ein Anwalt und Doktor Miranda. Der Film spielt in einer südamerikanischen Stadt, kurz nach Ende der Diktatur. Paulinas Ehemann bringt eines Tages einen Doktor, sein Name ist Miranda, mit nach Hause. Die Ehefrau jedoch entdeckt in dem Arzt ihren vermeintlichen Peiniger, der sie vor 15 Jahren vergewaltigt und gefoltert hat. Sie sinnt auf Rache.
Ein großes Fragezeichen steht erstmal hinter der FSK-Freigabe, denn für Kinder ab 12 Jahren ist der Film meines Erachtens nicht freigegeben. Aber da ja fast kein Blut spritzt und ja auch keiner umgebracht wird, ist die Freigabe anscheinend berechtigt. Da kommt mir jedenfalls das Kotzen, denn ab 16 sollte "Der Tod und das Mädchen" auf jeden Fall sein, wobei mir dabei auch so ziemlich jeder beipflichten sollte, der nur annähernd Ahnung vom anspruchsvollen Film hat.
Ja, der Film bietet facettenreiche und vielseitige Unterhaltung, er bringt eigentlich kein Licht ins andauernde, fortwährende Dunkel. Der Zuschauer wird binnen weniger Minuten zwischen verschiedenen Eindrücken und Meinungen hin- und hergerissen, er weiß nicht mehr, was er denken soll, was stimmt und was nicht. Und meiner Meinung nach soll er das auch gar nicht. Zunächst, als Miranda als Vergewaltiger und Folterer identifiziert wird, spielt er den Unschuldigen, den auch der Zuschauer in ihm sieht. Gegen Ende jedoch, als er vor der Schlucht kniet und das Geständnis, das er wenige Minuten vorher eigentlich ablegen sollte, von sich gibt, bleibt der Zuschauer unwissend darüber, was nun stimmt oder nicht. So meine ich zumindest, dass es von Polanski bzw. der Drehbuchautor beabsichtigt war.
Der Film beginnt völlig offen, das heißt, der Zuschauer wird mitten in die Handlung reingeschmissen, da ist ein Haus und eine Frau namens Paulina, die plötzlich erschrickt, als sich, eigentlich ja völlig alltäglich, ein Auto nähert. Es ist ihr Mann und ein Doktor, der ihn mitgenommen hat, da Paulinas Ehemann eine Panne hatte. Wieso Paulina so nervös reagiert hat und die Umstände des Ehepaares allgemein erfährt man erst mit zunehmender Filmdauer. Da ist Nichts von Langeweile zu spüren, auch wenn Nichts geschieht, sondern vielmehr viel erzählt und geredet wird. Was dann jedoch ungefähr nach einer halben Stunde passiert, ist Nichts für schwache Nerven und wie gesagt noch weniger Etwas für Jugendliche ab 12 Jahren. Psychoterror auf höchster Erträglichkeitsstufe, der Wortschatz alleine schockiert schon, vor allem wenn man Paulinas schreckliche Erlebnisse mit dem Doktor hört. Der Zuschauer nimmt die Rolle Paulinas ein, er hofft, dass sie sich rächen kann, sie ihren Peiniger trifft, sie vielleicht sogar nur einen vermeintlichen Täter, der, wenn auch nur höchstwahrscheinlich, mehr oder weniger sicher in Frage kommt, beweisen kann, wie schrecklich dessen Taten vor 15 Jahren war. Man kann Paulina verstehen, dass sie Doktor Miranda verdächtigt, selbst wenn "nur" 2 oder 3 Argumente selbst unfreiwillig darauf hinweisen. Wenn man Paulinas Standpunkt und Situation versteht.
Ben Kingsley ist dabei höchster Dank auszusprechen, da aufgrund dessen Leistungen das alles erst möglich wird, der Zuschauer ihm alles abkauft und die Story so überhaupt erst zieht. Wo er anfangs noch so sympathisch, eher schüchtern und bescheiden erscheint, entpuppt er sich zunehmend als unangenehmer Mann, dem man, ohne dass er entsprechende Dinge tut oder von sich gibt, solch Taten zutrauen kann, auch wenn sie noch so grausam sind. Kingsley lässt hier also sehr viel Raum für den Konsumenten und auch für die Story, die sich somit vielfältiger entwickeln kann.
Meines Erachtens ist "Der Tod und das Mädchen" auch kein Film, der ein klares oder eindeutiges Ende vorzuweisen hat. Es kann also losinterpretiert werden. Die Atmosphäre besticht durch die andauernd völlig negativen, da in Dunkelheit gefilmten Bilder, die natürlich aufgrund des Stromausfalles und des Unwetters draußen verstärkt werden. Über die Schauspieler muss man eigentlich keine weiteren Worte verlieren, Sigourney Weaver und Ben Kingsley tragen den Film, sie machen ihn zu dem, was er ist. Stuart Wilson als Ehemann bleibt da eher blass, er spielt ja sozusagen auch nur eine Nebenrolle im Konflikt der beiden Kontraste, Paulina und Doktor Miranda. Wenn dann auch noch Schuberts 'Der Tod und das Mädchen' im Hintergrund zu hören ist, offenbart sich einem ein wahnsinnig wichtiger Film, da er so anders ist, durch Mittel besticht, die normalerweise Kinofilme ausmachen. Schauspielerleistungen, Atmosphäre und Story wird eben großgeschrieben, der Kommerz wurde in den Hintergrund geschoben. Aber dafür ist Polanski ja auch nicht bekannt.
Ein geniales Meisterwerk, das fesselt, mitnimmt und einen bis zum Ende nicht mehr loslässt. Und vielleicht sogar noch bis darüber hinaus. 9,5/10 Punkte