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Es ist schon bemerkenswert, dass bei den verschiedenen Darstellern des Londoner Meisterdetektivs immer wieder neue Nuancen zum Vorschein traten, die allerdings nicht immer dazu angetan waren, der bekanntesten Doylesche Figur gegenüber Gerechtigkeit walten zu lassen. Mit dem Schauspieler Rupert Everett hat man dabei durchaus einen Glücksgriff getan und es verwundert, dass er den Sherlock Holmes nur ein einziges Mal verkörpert hat. Sein treuer Begleiter Dr. Watson wurde von Ian Hart verkörpert, für den es immerhin mit dem „Hund der Baskervilles" zu einem weiteren Auftritt reichte, hier allerdings mit Richard Roxburgh als Holmes an seiner Seite.
 
Das der Titel „Der Seidenstrumpfmörder" für einen Holmes-Fan erst mal unbekannt klingt, ist nicht verwunderlich. Zu oft wurden Buchvorlagen anders betitelt oder aber auch in abgewandelter Form neu interpretiert. Hier hat man gleich zu einer Radikallösung gegriffen: Der hier verfilmte Kriminalfall existiert im Doyleschen Universum überhaupt nicht, nur die bekannten Figuren wurden hier hineinverpflanzt. Doch kann durchaus positive Seiten haben: Denn dem Fan kann bei hoher Werkstreue bisweilen die Spannung abhanden kommen, hier kann er sich mal richtig fallen lassen und bei jedem Wink und neuen Detail mit seiner eigenen Spürnase Witterung aufnehmen.

Die gar schauerliche Geschichte in diesem Film erinnert ein wenig an den berüchtigten Jack the Ripper. Eine Mordserie an jungen Frauen erschüttert London, alle erwürgt mit einem Seidenstrumpf. Der Täter betäubt seine Opfer und fesselt sie mehrfach. Ganz offensichtlich ein Motiv mit sexueller Färbung, eine abartige Auslebung von fetischistischen Phantasien. Und für einen Holmes-Fall sicher mehr als ungewöhnlich, ich bin mir sicher, dass es Doyle bei den damals vorherrschenden sittlichen Verhältnissen schwer gehabt hätte, so eine Thematik in einen Kriminalfall zu packen. Nicht nur das Sexualverbrechen an sich ist es, welches hier in Verbindung mit einer in fahlem Gelb getränkten unterirdischen Leichenhalle für eine morbide Kulisse sorgt.

Es ist Holmes selbst, der einen fast schon unheimlichen Eindruck auf den Zuschauer macht. Seine Gesichtsfarbe stets weiß wie eine Kalkleiste, nur seine Augen funkeln wie bei einem Jagdhund. Und wenn der nichts zu Jagen hat, wird er unausstehlich für seine Umwelt. Dazu seine hemmungslose Hingabe zu solch ungesunden Dingen wie Kokain und Alkohol. Und beeindruckend, wie man Mrs. Hudson mit einem unregelmäßigen bis gar nicht vorhandenen Essenplan zur Verzweiflung treiben kann. Everett spielt die dunkle Seite des Detektivs mit viel Hingabe und Pathos, zuweilen vielleicht auch überzogen. Doch gerade diese Darstellung der Laster vermisst man sonst in anderen Verfilmungen. Dass sich Holmes hingegen nicht mit Deerstalker-Hut und Inverness-Mantel kleidet, sondern sich in einen noblem Anzug wirft, passt eigentlich hervorragend zu dem adligen Umfeld, in dem er ermittelt, und seine Unnahbarkeit und die manchmal auch übersteigerte Gefühlskälte fällt inmitten der erlauchten Titelträger kaum aus dem Rahmen.

Aus dem selbigen fallen allerdings auch nicht gerade die weiteren Figuren. Dass Watson diesmal nicht nur als bloßer Chronist auftritt, sondern als einer, der auch Holmes als echte Stütze zur Seite steht, und sei es als scharfer Kritiker seiner Lebensweise, kann durchaus gefallen, die Ausbreitung seiner Privatsphäre hingegen erweist sich dann doch eher als Lückenfüller. Watsons Charakter muss man nicht unnötig weiter vertiefen, schließlich kennt man seine Rolle auch so hinlänglich. Seiner Verlobten - am Schluss vom Film folgt auch noch eine etwas deplatzierte Heirat! - wurde zumindest einen passenden Beruf vom Drehbuch zugedacht. Als Psychiaterin konnte sie versuchen, Holmes das Verhalten des Täters näher zu bringen. Auch hier merkt man noch einmal deutlich, dass dieses Thema zu Doyles Zeiten eher unpassend gewesen wäre, zumal seine Kurzgeschichten auch kaum tiefgründige Charakterstudien der Täter boten. Nur das Verbrechen und seine meisterhaft vorgetragene Aufklärung - meist von Holmes selbst in nüchternen Worten zusammengefasst - waren die Eckpfeiler eines jeden Falles.

Für eine Fernsehproduktion kann man darüber hinaus durchaus eine sorgfältige Inszenierung bescheinigen. Angefangen vom liebevoll detailgetreuen Arbeitszimmer von Holmes bis hin zu der Bebilderung der akribisch-britischen Polizeiarbeit - und sogar Lestrade kommt hier so schlecht nicht weg - ist die damalige Zeit gut eingefangen worden. Und sogar tags über scheint London im Nebel zu verschwinden, die Stimmung ist somit zu jeder Zeit so düster wie der Fall selbst. Des Rätsels Lösung ist am Ende zwar etwas konstruiert ausgefallen und auch die Holmesche Maxime des Ausschlussverfahrens wirkt hier irgendwie hanebüchen, dennoch wundere ich mich, dass man, auf diesen Film aufbauend, nicht weitere Holmes-Adaptionen mit Rupert Everett in der Hauptrolle zustande gebracht hat. Einen weiteren Versuch wäre es allemal wert gewesen...

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