Jeder Schauspieler sollte ein breites Spektrum an Rollen auswählen, damit er nicht als einfältiger, eindimensionaler Schauspieler verkommt. Bei Orlando Bloom war es langsam aber sicher an der Zeit, sein Schwert mal wegzustecken und ein wenig Richtung Charakterdarsteller zu gehen, da er sonst in den Schlachtenepen auf ewig feststecken würde. Mit "Elizabethtown" unter der Führung von Cameron Crowe ("Almost Famous", "Vanilla Sky") soll er diese Lücke endlich füllen und sich in eine Liebes-Tragikomödie wagen. Dazu gibt's tatkräftige Unterstützung einer süßen Kirsten Dunst und alle Genrefans werden zufrieden gestellt...
Was man alles mit einem Messer machen kann: Pulsadern aufschneiden ist heute nicht mehr und so klebt Drew Baylor (Orlando Bloom; "Kingdom of Heaven", "Troy") eben dieses an einen Heimtrainer, auf dass es auf ihn einhackt, sobald er trainiert. Grund für den geplanten Suizid: als Schuhdesigner hat er gerade mit seiner neusten Kreation den großen Totalflop erzielt und seinem Unternehmen einen riesigen Schuldenberg aufgehalst, "man könnte es auf eine Milliarde aufrunden". Als seine Freundin Ellen (Jessica Biel; "Stealth", "The Texas Chainsaw Massacre") auch noch Schluss mit ihm macht, ist es endgültig an der Zeit, sich das Messer zu schnappen. Doch kurz vor Ende der Talfahrt, und dem Leben, klingelt das Telefon. Wen interessiert das jetzt noch? Nachdem es nicht aufhören will, interessiert es ihn doch noch und er erfährt, dass sein Vater gerade in der Heimat in Elizabethtown gestorben ist. Er soll sich um die Bestattung kümmern und verschiebt seinen Termin mit dem Heimtrainer um eine Woche. Womit er nicht rechnet: Auf seinem Weg in die Vergangenheit begegnet er der heiter aufgelegten Stewardess Claire (Kirsten Dunst; "Wimbledon", "Spider-Man"), die sein Leben komplett auf den Kopf stellen soll...
Mag sein, dass es daran liegt, dass ich "Garden State" direkt vor "Elizabethtown" gesehen habe, aber der Gedanke, dass die beiden Filme sehr ähnlich sind, kam mir des Öfteren während ich im Kino saß. Ein junger Mann, der depressiv zur Beerdigung eines Elternteils reist und auf seiner Reise eine ausgeflippte Freundin findet, um dann festzustellen, dass man das Leben genießen sollte – klingt ähnlich, ist es auch. Und qualitätstechnisch nehmen sie sich ebenfalls nichts. Das ist eher ein Lob für Zach Braffs Regie- und Drehbuchdebüt, allerdings keinerlei Kritik an dem Routinier Crowe, der einmal mehr beweist, dass er hervorragende Drehbücher schreibt und tolle Filme dreht.
Die auf den ersten Blick wie eine typische Liebeskomödie aussehende Story bietet deutlich mehr, als die Inhaltsangabe vermuten lässt. Der Tod von Drews Vater spielt eine gewichtige Rolle und den Selbsthass und die Selbstzerstörung, die nur durch ein Fiasko, den Schuhflop, ausgelöst werden, sollen mit Hilfe von Claire überwunden werden. Das führt zu einer Art Selbstfindung und Selbstakzeptanz am Ende. Drew reist zurück in die Heimat, muss sich um die Einäscherung, die von allen Freunden seines Vaters verhindert werden will, kümmern und erfährt trotz der Trauer die schönen Seiten im Leben - immer liebevoll von Claire darauf gelenkt, die ihn auch noch dazu bringt, über seinen Fauxpas hinwegzusehen. Allerdings stellt sich ein Problem in den Weg: Sie hat einen Freund, Ben. Somit steht ihre immer engere Freundschaft unter einem schlechten Stern, wenn es um etwas Ernsteres gehen soll.
Die "Fast-Romanze", wie Drew sie tituliert, findet ihren Höhepunkt mit einer leicht angetrunkenen Claire. Doch der Paukenschlag kommt für Drew am nächsten Tag: Sie sagt ihm, dass sie nicht zusammen sein können - trotz der letzten Nacht, die für sie als „Ersatzmenschen“, die immer unter ihrem Partner leiden und zur Nebensache verkommen, nichts Besonderes ist. Daraufhin konzentriert er sich auf die Feier...
Doch ihre Wege kreuzen sich noch einmal: Der selbsternannte Experte für Abschiedsblicke, Drew, kann am Ende der "heißen" Trauerfeier seines Vaters einen weiteren Blick in seinem gedanklichen Fotoalbum für solche Blicke speichern: einen von Claire. Doch zuvor gab sie ihm eine Karte für seine Heimreise. Ob sie sich jemals wieder sehen...?
Auch dieser Film bietet, wieder "Garden State" ähnlich, einige unvergessliche Szenen: angefangen bei der Szene des stundenlangen, ersten Telefonats der beiden, das alleine für sich mit einer weiteren Szene, dem Kennenlernen von Chuck "Ich heirate bald im Hotel, in dem Drew zu Gast ist" (Jed Rees), aufwartet, reiht sich eine dieser Szenen an die nächste. Auch die erste Begegnung der beiden Hauptdarsteller im Flugzeug, er noch etwas genervt von seinem abgebrochenen Messerversuch, sie schon gutgelaunt, trotz Nachflug, aufgedreht und liebenswürdig, kann er anfangs nichts mit ihr anfangen, ist alleine schon das Eintrittsgeld wert. Das sind aber nur einige Szenen, zu denen man auch Susan Sarandons ("Alfie", "The Witches of Eastwick"), Drews Mutter, Stepptanz bei der Ansprache auf der Trauerfeier zählen muss.
Doch DIE Szene, oder besser gesagt schon fast die Passage des Films, ist die Heimreise Drews. Wunderbare Landschaftsaufnahmen der Provinznester, durch die er reist, dazu ein genialer Soundtrack, von Claire höchstpersönlich zusammengestellt, der das Gesehene des Zuschauers und von Drew perfekt untermalt, sodass die Bilder einen dahinträumen lassen.
Der Humor kommt hier nur zum Schluss ein wenig in Vergessenheit, wenn es mehr auf die Gefühlsschiene geht, und weiß die ersten 90 Minuten durchgehend zu gefallen. Anfangs, in Drews Depressions-Phase ist er noch zynischen Wurzelns und verlässt seine bösen Pfade, nachdem er Claire kennen gelernt hat immer weiter. Unpassender Gross Out-Humor bleibt uns dann glücklicherweise komplett erspart.
Grandios ist Kirsten Dunst in ihrer Rolle der flippigen Stewardess, die anscheinend immer etwas zu erzählen hat, aber nie aufdringlich wirkt, sondern immer liebenswürdig und sympathisch. Ihre Weisheiten und ihre Karte für den Weg nach Hause versprühen soviel Charme, der den ganzen Film einnimmt. Aber neben ihr gibt es auch noch andere wunderbare Charaktere. Da wäre die Hauptfigur Drew: Geplagt von Angst, Trauer, Verzweiflung und Selbsthass ist er die Hauptperson und Bloom beweist, dass er auch ohne Schwert in der Hand gut schauspielern kann. Die Drehung seines Lebens in kurzer Zeit ist drehbuchbedingt etwas übertrieben, sorgt aber für das nötige Gute Laune-Gefühl nach dem Film.
Alle anderen Charaktere aufzuzählen, wäre gar nicht möglich. Nur noch die Wichtigsten: Susan Sarandon als trauernde Witwe, die sich mit allem Möglichen ablenken will, um dann doch auf der Trauerfeier zu erscheinen und eine bewegende Rede zu schwingen, ist ebenfalls perfekt. Sonst sind es die Nebenrollen, die ebenfalls überzeugen. Es müsste sein Vetter sein, wenn ich mich nicht total irre, der seinen Traum erfüllen und einmal mit seiner alten Band auftreten will und endlich die Gelegenheit auf der Trauerfeier findet, seine alten Jungs einmal zu vereinen, da sie vorher noch nie auftraten. Und wie oben schon erwähnt ist auch Jed Rees als Chuck in einer Mininebenrolle genial und vor allem sehr lustig.
Ob es wirklich so einfach ist, gerade noch den Selbstmord geplant, schon der Lebensbejaher Nr. 1 und alles scheint vergessen, nur dank einer heiteren Freundin, die einen in wenigen Tagen um 180° dreht, sei mal in Frage gestellt. Vielleicht reicht die Hoffnung, dass es so sein könnte. Erfreuen wir uns an den Bilder, die da für zwei Stunden den Bildschirm einnehmen und den Alltag vergessen lassen, egal wie schwer er ist, welche Fehler man gerade beging und was sich einem bald wieder in den Weg stellen wird.
Ein wunderbarer, gefühlsbetonter Film... Zwar ist die Botschaft am Ende ähnlich platt und einfach wie die in "Garden State", aber das tut dem Vergnügen in diesem Fall keinen Abbruch. Hervorragende Schauspieler, jede Menge liebenswerte Charaktere, geniale Musik und ein Road Trip am Ende, den man sofort nach Ende auch durchleben möchte, am besten gleich mit Kirsten Dunst (oder Orlando Bloom für die Frauen unter uns) oder wenigstens ihrem Routenplaner. Ein absolutes Kinohighlight dieses Jahr, das trotz der Laufzeit von knapp zwei Stunden immer unterhält und mit leisem, etwas bösem und nie geschmacklosem Humor daherkommt. Nach dem Film wird der nächste Film endlich "Almost Famous" aus der Videothek sein, den ich bisher immer verpasst habe. Hoffentlich ist er ähnlich herausragend. Und an alle manisch Depressiven, Pessimisten und Suizidgefährdeten: guckt dieses Feel Good-Movie, nehmt euch die Message zu Herzen, so einfach sie auch ist, packt das Messer wieder zurück neben den Teller oder steigt von dem Geländer runter und genießt das Leben.
Mir ging's danach ein gutes Stück besser. Danke Herr Crowe.