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Ein Antrieb für mich, alte Filme zu schauen, ist das Potential, welches besonders gute Werke an den Tag legen. So bin ich im pubertären Alter aus reiner Schaulust zum Beispiel an die Exploitation geraten und kann diese Filme heute ganz anders wertschätzen, besonders, wenn sie mich unterbewusst durch ihre Einflüsse auf die Untiefen des Genrefilms vorbereitet haben, wie andererseits auch Serien wie PARKER LEWIS und DOOGIE HOWSER ein Priming auf Filmklassiker vollbrachten. Bei NAKED KILLER wäre mein Vergangenheits-Ich vermutlich auf den Titel hereingefallen, hätte sich an den sexy Mörderinnen orientiert und ein Hauptaugenmerk auf deren Spuren gelegt, aus deren Entmannungen auch eine etwas verstörend von zynischem Humor geprägte, ungewollte Verspeisung eines Genitals hervor geht. Doch so sehr man sich an den skandalösen Spitzen eines Cat. III Ausnahmewerkes reiben kann, so wenig Bedeutung hat dies eigentlich für einen Film, dessen Qualitäten auf einem ganz anderen Gebiet liegen.

In Hongkong, der asiatischen Schnittstelle zum Westen, war das Kino im Aufschwung der 50er Jahre zu einer Industrie geworden, als deren Pioniere die SHAW BROTHERS mit einer am alten Hollywood-Studiosystem angelehnten Organisation vereinzelt Schauspieler exportieren, vor allem aber auch internationale Produktionen durch strapaziöse, aber sehr effektive Arbeitsbedingungen anlocken konnten. So wurde auch NAKED KILLER in gerade einmal 18 Tagen auf Celluloid gebannt.
THE MAGNIFICENT CONCUBINE gewann 1962 als erster chinesisch-sprachiger Film beim Grand Prix von Cannes. Zunehmend begann auch der Einfluß ausländischer Filmschulen auf die Filmemacher. In den im Westen beliebteren Martial Arts Streifen bemekten Filmfans bald verschiedenste Einflüsse, etwa von Sam Pekinpah oder Nicholas Ray in den Werken des Meisters Chang Cheh. In den 80ern kristallisierte sich eine Adaption klassischer Krimi-Tropen als ein Hongkong-Noir heraus, welche in NAKED KILLER mit seinen Blau und Rot dominierten Bildern mit durch Gegenlicht erzeugten Auren um die Darsteller ihre Hypostase finden.

Bereits die Exposition deutet vierlversprechend an, wie viel mehr uns NAKED KILLER diesbezüglich zu bieten hat. Begonnen mit anmutigen Bewegungen in starkem Rot, lesbischen Küssen, nackter Haut und einem wie von PSYCHO bis in die Welt des Giallo ästhetisierten Messers, empfängt uns Clarence Fok durch eine wilde Kamerafahrt entlang einer Gasse, eine mondän auftretenden Dame verfolgend, die besonders durch ihren forschen Schritt und den glockenartig ausladenden Hut auffällt. Moderne Architektur aus Chrom und Glas komplementieren den blauschimmernden Eindruck der Straßenlaternen, ein wärmer eingerichteter Flur ist nur ein Übergang zu einem eher karg ausgestatteten Wohnraum voller Fitnessgeräte. Auch später fragmentiert Fok den Look einer Stadt in diesem Film, um sie artifziell neu zusammen zu setzen, und so auch Ortskundigen fremd vorkommen zu lassen. Das zeitgenössische CD-Laufwerk konterkarierend ertönt aus der Stereoanlage Cembalo-Musik und erinnert abermals an den italienischen Thriller.

Entschlossen entkleidet, schlüpft das anmutige Wesen unter die Dusche, um dort kurzerhand von einem Mann überrascht zu werden, der über ihre Anwesenheit verwundert ist. Doch die Tätigkeit, vor der sie sich zu reinigen gedenkt, ist nicht etwa eine sexuelle Dienstleistung, wie man annehmen möchte, sondern richtet sich überraschend gegen Leib und Leben des Bewohners. Nach einem ersten Schuß spielt die Frau ihre Stärke demonstrierend mit den Kurzhanteln, nur um damit den Gegner zu Fall zu bringen und seinen Schädel zu zertrümmern. NAKED KILLER klärt den Zuschauer mittels Polizeiarbeit auf, daß es bereits mehrere Mordfälle gegeben habe, über deren Zusammengehörigkeit man sich nicht einig ist. Insbesondere wird über den Glauben an einen weiblichen Täter diskutiert, was ein erstes Indiz für die Ironie der in von männlichen Produzenten dominierten Industrie geprägten Frauenbilder darstellt.

In einem seiner wenigen Interviews brüstete sich Run Run Shaw etwa in den 60ern über die deutlich überwiegende Zahl der Darstellerinnen, was er auch auf die Schönheit zurückführte. Tatsächlich war das Studio jedoch vor den Martial Arts Filmen der späten 60er bereits besonders im Bereich der Dramen und Musicals tätig und richtete sich mit ihren männlichen Mitspielern durchaus überlegenen Figuren an die zahlreichen in die Lichtspielhäuser strömenden Hausfrauen. Hier etablierte sich zum Beispiel bereits der Hang zu den tragischen Enden, die wir auch in Filmen wie NAKED KILLER vorfinden.
Bevor die SHAW BROTHERS mit INTIMATE CONFESSIONS OF A CHINESE COURTESAN, dessen Motive sich bewusst in Clarence Foks Werk wiederspiegeln, den Grundstein für Erzählungen von sexueller Ausbeutung und Rache legten, hatte sich bereits Cheng Pei-Pei in King Hus DAS SCHWERT DER GELBEN TIGERIN als kämpfende Protagonistin durchgesetzt, der viele selbstbewusste Damen folgen sollten; Golden Harvest glänzte etwa mit Angela Mao und die 80er brachten mit Heldinnen wie Michelle Yeoh, Cynthia Khan oder Maggie Cheung ihre Entsprechungen im modernen Actionkino. Ein Ursprung fand sich sicherlich in Geschichten um als Männer verkleidete Kriegerinnen, aus deren bekanntester DISNEY später MULAN adaptierte.

Frauen können viel im Hongkong-Kino, sie können JAMES BOND Epigonen sein wie in ANGEL WITH THE IRON FISTS, sie können den Drogentod wie COFFY rächen in KUNG FU BRIGADE SCHWARZER PANTHER, sie können aber auch als exotische Schönheiten unserer Breiten auftreten, als SEXY GIRLS OF DENMARK oder in KARATE, KÜSSE, BLONDE KATZEN. Vor allem dürfen sie jedoch auch ihren eigenen Willen etwickeln, wie die Protagonistin im 1966er Melodram THE BLUE AND THE BLACK, die sich gegen eine arrangierte Heirat für ihren Geliebten entscheidet, aber dann ein tragisches Schicksal erleiden muß.
Analog dazu verhält es sich auch in NAKED KILLER, wenn die schöne Kitty (Chingmy Yau) sich die durch ihre blutige Selbstbehauptung als letzte Zuflucht unter die Fittiche einer männermordenden Lehrmeisterin begibt. Ihr Treffen mit dem Polizisten Tinam (Simon Yam) wird zu ihrem Verhängnis, weil die Liebe sie angreifbar macht.

So wie die ästhetische Architektur der Szenenbilder Gedanken an Jess Franco Filme wie SIE TÖTETE IN EKSTASE wachrüttelt, so blickt NAKED KILLER zwiegespalten auf die Frauen, wie wir es von den Gottesanbeterinnen aus DIE WEIBCHEN oder ROTE SONNE kennen. In einer Faszination von der Anmut inszeniert, besonders betont immer Beine, in knapper Kleidung, barfuß oder in hohen Stiefeln, schwingt auch immer eine Furcht vor diesen alle Regeln ausser Kraft setzenden Bestimmerinnen mit. So werden Mitwisser in der Öffentlichkeit ausgelöscht, ohne daß sich jemand gegen diese gewaltvolle Durchsetzung stellen kann.

Kittys Herz schlägt für Tinam als eine verletztliche Figur, bei der sein Trauma hervorgehoben wird, welches in ihm beim Anblick einer Schußwaffe einen Würgereiz hervorruft. Außerdem war bei ihm sexuell seitdem tote Hose, was nur Kitty zu beheben vermag. Hierin liegt ein offener Hinweis auf seine Erkenntnis der eigenen Zerstörungskraft, deren Last nur durch eine ebenbürtige Partnerin aufgehoben werden kann. Ich habe länger überlegt, ob die Tragik des shakespear'schen Abgangs dieses Pärchens die eigentliche Qualität dieser Gleichstellung zu einem gefällig überzeichneten Wunschgedanken ohne Perspektive degradiert. Ich bin aber zu dem Schluß gekommen, daß NAKED KILLER in seiner entfesselten Mischung von finsterem Thriller, rabiater Action und schwarzer Komödie doch im Kern auch ein Melodram ist, welches sich nach dem gezeichneten Umfeld richten muß.

Freilich, Clarence Fok, der bei der Ausgestaltung eines Erotikthrillers nach dem Vorbild des ihm unbekannten, damals brandaktuellen BASIC INSTINCT durch die Produktion relativ freie Hand bekam, adaptierte Grundzüge eines deutlich älteren Films - INTIMATE CONFESSIONS OF A CHINESE COURTESAN. So übernimmt Tinam auch die Rolle des Ermittlers, der einer Rächerin auf der Spur ist, sie jedoch nicht dingfest machen kann.
Fok fühlte sich beeindruckt davon, daß sein Vorbild ihm das erste Mal die Möglichkeit einer Liebesbeziehung zwischen Frauen eröffnete, weshalb die Beziehung zwischen Kitty und ihrer Lehrmeisterin Sister Cindy (Yiu Wai) auch ein Kernmotiv darstellt, welches in einer ähnlich paralysierten Süffisanz kulminiert. Seine Protagonistin ist aber keinesfalls das verschleppte Mädchen, welches sich ihre Wehrhaftigkeit erst in der Höhle der Löwin antrainieren muß. Kitty gerät in den Schlamassel schließlich, weil sie sich in ihrer Lebensrealität nicht herumstoßen lässt und dabei allerdings in den Bereich der Selbstjustiz eskaliert, was sie bei allem Verständnis der Gerechtigkeit in diesem Maße auch zu einer Täterin macht.

Fok etabliert quasi Spannungsfelder, die Gewalthandlungen zwischen und innerhalb der Geschlechter bedingen und zieht damit alle zur Verantwortung für ein Klima des gegenseitigen Umgangs. Es ist, als solle der Unschuldige den ersten Stein werfen. An der Herstellung eines Ausgleichs kann man sich in NAKED KILLER durchaus stoßen, endet etwa ein Pädophiler im Folterkeller der Tötungsexpertin, während ein mit dem Mundwerk frauenfeindlich wie rassistisch auftretender Hirni eben auch auf oralem Wege bestraft wird. Den Frauen geht es deshalb nicht besser, denn auch Kittys Lehrmeisterin wächst das Geschäft über den Kopf, als sie schließlich von Schülerin und Liebelei Princess (Carry Ng) liquidiert werden soll.

Im alten Hongkong-Kino hätte Tinam die aufmüpfige Kitty vielleicht trotz Liebe vor die Tür gesetzt, weil sie seinen Vorstellungen einer Hausfrau nicht entsprechen wollte. Dabei hat sich die Gleichstellung jedoch auch im Sinne der örtlichen Zensurpolitik, die traditionell ein Davonkommen mit Straftaten nicht gut heisst, vollkommen durchgesetzt. Wie auch immer man Kittys Weg beurteilen möchte, so hat sie nach dem Prinzip des Hongkong-Kinos ausgeteilt wie ein Mann und muß nun auch aus dem Leben scheiden, wie es einem tragischen Vigilanten so oft abverlangt wurde. Auch Tinam hat seine Funktion als Polizist wohlwollend genug ausgelegt, um sich schuldig zu machen. Aber auch im Sinne eines Liebesdramas, als femininer Entscheidungsträger sich für die Liebe ins Unglück zu stürzen, wäre sein Schicksal quasi besiegelt.

So wie Sister Cindy aber den Schwachpunkt des Gegners unabhängig vom Geschlecht im Moment des Höhepunkts sieht, so scheint Clarence Fok in seinem Film auch jegliche Geschlechterrolle aufzulösen. Mit Blick fürs Detail verlangt sogar der nach Schwulen-Klischee näselnde Friseur gegenüber seiner schwangeren Partnerin nach einer Abtreibung. Fok sublimiert diese Ambivalenz über das Spiel mit den Vorurteilen des Zuschauers hinaus, möglicherweise auch deshalb, weil ihm die Sexszenen, so gibt er rückblickend an, unangenehm waren. Seine von sich wiederholenden Requisiten wie Milch, Passbildern oder einem Pager umspielten Verhältnisse zeichnen sich durch ein ausgeprägtes Dominanzverhalten aus, welches mehrfach die Unterwerfung des Gegners durch eine Vergewaltigung zum Ziel hat. Demzufolge ist Liebe in diesem Umfeld jedoch auch die Stärke, füreinander verletzlich sein zu können, was so viel wertvoller erscheint als Poserei um Manneskraft oder verzerrte Weiblichkeit.

Man könnte an dieser Stelle abschließen, wäre da nicht noch die Verwirrung um zahlreiche Fassungen. NAKED KILLER wurde in Hongkong bereits zensiert veröffentlicht. Die dieser Rezension zu Grunde liegende DVD von Hong Kong Legends macht diese Schnitte rückgängig und zeigt die ursprüngliche Version dieses Films. Entscheidend hinderlich für die Entfaltung des Werks sind hierbei nicht nur die massiven Kürzungen der deutschen Veröffentlichungen. Im Worst Case beurteilt ein Zuschauer hierbei die DVD von Supreme Film mit der 23,5 Minuten kürzeren FSK-16 Fassung. Aber auch das knapp 16 Minuten kürzere FSK 18 Tape von VMP leidet unter derselben zusätzlichen Schwäche, basiert es doch auf einer Exportversion für den asiatischen Markt, für die Eingriffe in die Handlung durch Kürzungen der bereits zensierten Hongkong-Fassung und Anpassung durch eine veränderte Synchro und alternative Szenen vorgenommen wurden. Diese machen aus Kitty eine Ermittlerin der Polizei, um den strengeren Zensurauflagen in Ländern wie Malaysia entsprechen zu können. NAKED KILLER endet in der deutschen Stille-Post-Variante, die also eine gekürzte Fassung einer alternativ umgeschnittenen Version des zensierten Originals darstellt, ganz anders.
Es gibt so vielleicht mehrere Gründe, sich dem Film heute noch einmal zu nähern: Entweder man kennt ihn noch gar nicht, oder nur eine zensierte/alternative Fassung und man kann dieses Ausnahmewerk unter seinen gereiften Ansprüchen erneut auf die Probe stellen. Ich finde es lohnt sich.

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