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...denn sie wussten nicht, was sie taten: Geschichten über Banküberfälle durch Amateure leben von der Panik, die sie verbreiten. Von der Spontaneität, mit der im Affekt Entscheidungen getroffen werden müssen. Schnellschüsse und Kurzschlusshandlungen sind die präferierte Würze derartiger Drehbücher, immer fest gekoppelt an ungefilterte Emotionen: Angst, Wut, Euphorie, Verzweiflung.

Doch nicht so mit Charley Varrick. Obwohl das Drehbuch ihm schon nach wenigen Minuten allen Grund gibt, komplett seine Fassung zu verlieren, schlängelt er sich aalglatt durch jede noch so brisante Situation und lässt sich keine Gefühlsregung am Gesicht ablesen. Als seine eigene Frau nach dem pannen- und folgenreichen Überfall auf eine Bank in seinen Armen stirbt, nimmt er dies mit einem trübsinnigen Blick allenfalls zur Kenntnis, und als ihm schließlich dämmert, wem das gestohlene Geld tatsächlich gehört, mahnt er seinen heißblütigen Komplizen lediglich zur Vorsicht und hält sich selbst dann noch unter Kontrolle, als dieser reagiert wie ein eingeschnapptes Kind.

In "Charley Varrick", diesem schlicht nach der Hauptfigur benannten Heist-Thriller, sorgt also nicht nur der aufgewirbelte Staub der Fluchtwagen für trockenes Klima, sondern auch die Hauptfigur und mit ihr das Gros der Besetzung, die unter anderem einen Auftragskiller (Joe Don Baker) umfasst, der ebenso sorgfältig charakterisiert wird wie Varrick selbst - und aus der Charakterzeichnung ebenso aalglatt herauskommt. Don Siegel liegt viel daran, aufzuzeigen, dass der Coup nicht nur Auswirkungen für die Protagonisten hat, sondern für unzählige beteiligte Parteien. Ohne dabei je die trübsinnige Ödnis Nevadas zu verlassen, schaltet er gerne zwischen den Schauplätzen um und zieht vom Filialleiter der ausgeraubten Bank bis zur Prostituierten unzählige Fäden - ein Merkmal, das schnell zu Tarantino-Vergleichen führt, gerade wenn gewisse Charaktere wie Bakers gnadenlos vorgehender Killer derart stilisiert werden wie hier geschehen.

Und ja, der kaum eine Miene verziehende Varrick stellt unter Beweis, dass sich der Thrill nicht nur aus angsterfüllten Gesichtern ziehen lässt, sondern eben auch aus einer Maske der Abgeklärtheit. Professionelles Vorgehen kann den Zuschauer mit raffinierten Winkelzügen ebenso in den Bann ziehen wie eine Verzweiflungstat.

Nicht, dass sich deswegen die grundsätzlichen Abläufe ändern würden. Es geht eben trotz allem viel schief und nicht zuletzt viel zu Bruch: Eine größere Fluchtszene mit reichlich Blechschaden und wegfliegenden Motorhauben sorgt für ein frühes Action-Highlight, unmittelbar gefolgt von einer brachialen Autoexplosion und dem Versprechen, dass es überall und immer knallen kann. Drohungen und Prügel halten die Spannung permanent aufrecht. Das Finale zitiert sogar Hitchcocks "Unsichtbaren Dritten" (wie könnte man bei einem tief fliegenden Piloten über Flachland auch nicht daran denken) und liefert im Anschluss eine denkwürdige Hatz zwischen Land- und Luftfahrzeug inklusive spektakulärem Überschlag.

Walter Matthau mag während der Dreharbeiten viel über die Motivation der Charaktere und die Situationslogik gemosert haben, doch der ersehnte Bruch mit seinen komödiantischen Rollen ist ihm zweifellos vergönnt. Eine satte Dosis schwarzen Humors ändert nichts daran: Charley Varrick kann es in Sachen Coolness alleine mit der gesamten "Ocean's 11"-Crew aufnehmen.
(7.5/10)

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