Als John Woo damals nach Hollywood übersiedelte, hat sich bestimmt jeder, der mit seinen filmischen Machwerken vertraut war, nichts sehnlicher gewünscht, als dass er sein Publikum auch weiterhin mit solchen Meilensteinen versorgen würde. Nach 2 Versuchen, die beide ihre Vorzüge hatten, besagtem Wunsch aber nur bedingt gerecht wurden, war es dann soweit. „Face/Off“ ist John Woos erster und bisher leider auch einziger US-Film, mit dem der ultimative Action-Guru an die Qualitäten seiner früheren Hong Kong-Produktionen anknüpfen konnte.
Wichtigster Ausgangspunkt des Erfolges ist zunächst einmal, dass Woo im wesentlichen das machen durfte, was er wollte. Somit gibt es in „Face/Off“ auch nichts, was auf eine unerwünschte Manipulation seiner Regiearbeit schließen lässt, außer vielleicht dem Ende, von dem ich mir vorstellen könnte, dass Woo es doch gerne etwas tragischer gehabt hätte. Der Härtegrad ist natürlich, wie bei all seinen amerikanischen Projekten (Ausnahme bildet sein Debüt „Hard Target“), deutlich niedriger, obwohl er unter den Titeln, die hierzulande ab 16 freigegeben wurden, klar über dem Durchschnitt liegt. Ich persönlich halte es auch für diskutabel, inwieweit der hohe Blutgehalt tatsächlich einem von Woos unverkennbaren Markenzeichen entspricht, zumal dieser für asiatische Streifen in aller Regel als normal gilt. Jedenfalls umfasst Woos inszenatorisches Repertoire bekanntlich weitaus markantere Mittel, und von denen gibt es bereits in der ersten der vier groß angelegten, vor Funken sprühenden (Woo!) Actionszenen genug zu sehen. Neben der Benutzung zweier Schusswaffen fällt hier das mexikanische Stand-Off ins Auge, später kommen dann noch die Rücken-an-Rücken-Situation, die liebgewonnenen Täubchen und vieles mehr hinzu. Die ausgefeilte Choreografie ist dabei ebenso selbstverständlich wie die ästhetische Zeitlupen-Optik, welche sich ohnehin durch den gesamten Film zieht. Doch auch das, wofür Woo noch bekannter ist, nämlich emotional tief bewegende Momente und eine genauere Beleuchtung der Schlüsselfiguren, ist in „Face/Off“ zur Genüge vertreten. Eine besondere Würdigung gilt übrigens der Musik, die auf Dauer etwas eintönig erschient, aber zur jeweiligen Szene immer so perfekt passt, wie man es selten in einem Film erlebt.
Bei der Rahmenhandlung um das wahnwitzige Katz-und-Maus-Spielchen zwischen FBI-Agent und Terrorist, von denen jeder mit dem Aussehen des Gegners herumläuft, dürfte so mancher zunächst ein kleines Verwirrspiel erwarten, was nicht der Fall ist. Der Gefahr, dass die umgekehrte Besetzung möglicherweise irgendwann den Erinnerungen des Zuschauers entgleitet, wird zudem mit regelmäßig auftretenden Ereignissen, in denen kurze Andeutungen darauf gemacht werden, dass „der Eine ja eigentlich der Andere ist“, ausgiebig vorgebeugt. Diese „Sicherheitsvorkehrungen“ wären jedoch nicht nötig gewesen, da die beiden Hauptdarsteller John Travolta und Nicholas Cage die Gestalt des Anderen so überzeugend verkörpern, dass dieser Aspekt niemals in Vergessenheit gerät. Absoluter Star des auch bis in die Nebenrollen exzellent besetzten Aufgebots ist aber zweifelsohne Nicholas Cage, der nach dem Rollentausch wie ausgewechselt wirkt. Als Verbrecher noch richtig fies, möchte man ihn, als er bald darauf den gebrochenen Helden spielt, stellenweise förmlich bemitleiden. John Travolta hat es dagegen nicht ganz so phänomenal hinbekommen. Zwar setzt auch er die Verhaltensweisen des Gegenübers angemessen fort und läuft, verglichen mit „Broken Arrow“ zu einer schauspielerischen Höchstleistung auf. Allerdings vermisst man bei ihm als Bösewicht leider die kaltblütige Ausstrahlung, mit der Cage sich auszeichnete. Abgesehen von diesem Manko holt Travolta aber eindeutig das Beste aus den Rollen heraus und macht gerade die Szenen, in denen die Rivalen unmittelbar aufeinandertreffen zu einem nahezu unvergleichlichen Genuss.
Trotzdem gibt es bei „Face/Off“ auch einige Kritikpunkte an zu merken. Die Story wurde zum Teil doch arg an den Haaren herbeigezogen und weist überdies so manchen Logikfehler auf. Auch inszenatorisch muss man leider mit ein paar Wehmutstropfen leben. Sicher ist es löblich, dass Woo bei den Stunts komplett auf die Hilfe von Computern verzichtet hat. Nur hätte es ihm kaum einer übernehmen können, wenn er sie zumindest dazu benutzt hätte, um die unliebsamen Details ein wenig zu kaschieren. So sieht man leider zu oft, wenn Seile im Spiel sind bzw. ein Darsteller durch einen Stuntman gedoubelt wird. Auch muss man objektiv sagen, dass sich „Face/Off“ trotz aller Stärken nicht ganz mit Woos Hong Kong-Klassikern messen kann. Das Niveau von „A Better Tomorrow“ erreicht er locker, während er jedoch hinter Woos ganz großen Meisterstücken wie „Bullet In The Head“ und speziell „The Killer“ zurückbleibt. Somit ist „Face/Off“ nicht „der beste Actionfilm aller Zeiten“, wie vielerorts behauptet, aber dennoch eine einmalige Gelegenheit für Hollywood-Anhänger, eine Kostprobe von dem, was Woo seinem Publikum in alten Zeiten beschert hat, zu bekommen und es wäre wünschenswert, wenn Woos kommende Projekte diese Serie fortsetzen könnten. Fest rechnen sollte man damit angesichts des Nachfolgers „Mission: Impossible 2“ allerdings nicht.
Fazit: John Woos bester US-Film, der nicht nur Genre-Fans uneingeschränkt zu empfehlen ist.