Nachdem Reinhard Heydrich, der Stellvertretende Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, bei einem Attentat in Prag schwer verletzt worden war und ein paar Tage später am 4.Juni 1942 seinen Verletzungen erlag, ließen die Nationalsozialisten eine Reihe von Vergeltungsmaßnahmen auf die tschechische Bevölkerung nieder. Nicht nur wurden unter anderem die beiden Dörfer Lidice und Lezaky faktisch dem Erdboden gleichgemacht, auch die Menschen in den Städten sahen sich einer zunehmend um sich greifenden Welle aus Panik, Verdächtigungen und Maßregelungen ausgesetzt. Vor allem war es den Nazis daran gelegen, die Verantwortlichen für das Attentat ausfindig zu machen. Hierzu forderten sie jeden Tschechen auf, sich sofort bei der Polizei zu melden, falls er selbst eine unbekannte Person bei sich unterbrachte oder davon wisse, dass jemand anders jemanden bei sich versteckt halte. Aus Lautsprechern hallen die warnenden, bedrohlichen Sätze durch die Hauptstadt. Während selbst Leuten, die nichts zu befürchten haben, weil sie sich keiner Schuld bewusst sind, es bei den überall aushängenden Bekanntmachungen, die mit der Todesstrafe drohen, und den ständigen Warnungen aus dem Rundfunk mulmig wird, treffen den Schüler Pavel diese Entwicklungen noch viel schwerer. Denn er hat Schuld im Sinne der Besatzer auf sich geladen.
Ein paar Tage zuvor lernte er ein junges Mädchen in dem Gebäudekomplex kennen, in dem er mit seiner Mutter und seinem Großvater zusammen mit unzähligen anderen Mietern wohnt. Kurz vor ihrem Eintreffen hat eine jüdische Familie das Gebäude verlassen, um sich zum Bahnhof zu begeben, wo ein Zug sie irgendwohin bringen sollte. Pavel versprach der kleinen Tochter, dass er sich in ihrer Abwesenheit um ihr Meerschweinchen kümmern wird. Als er es aus der Wohnung holt, steht plötzlich das unbekannte Mädchen in der Tür. Sie will wieder gehen, als sie von ihm erfährt, dass die Familie nicht länger hier wohnt. Doch die Treppe kommen schon die Nachmieter herauf: ein deutscher Militär mit seiner tschechischen Frau, die die Wohnung nun, wo sie judenfrei ist, beziehen wollen. Pavel bringt das panisch werdende Mädchen erstmal ein Stockwerk höher, versteckt sie auf dem Dachboden, von wo er sie in eine kleine Kammer bringt, die er nutzt, um mit seinem besten Freund Photos zu entwickeln. Erst dort bemerkt er den Judenstern an ihrer Brust und erfährt von ihr, dass sie sich schon vor Tagen am Bahnhof habe melden sollen. Sie aber wisse, dass man von dort, wo die Züge hinfahren, nie mehr zurückkehrt. Von ihrer Familie, die schon vor längerer Zeit abtransportiert wurde, hörte sie danach nie wieder etwas. Pavel scheint ihr nicht nur aus Nächstenliebe, sondern auch aus Abenteuerlust anzubieten, erstmal in seiner Dachstubenkammer zu bleiben. Dort sei sie sicher. Hier komme niemand her außer ihm. Das Mädchen, das Hanka heißt, lässt sich schließlich von ihm dazu überreden.
Nun, wo die Meldung des Heydrich-Attentats und die zunehmenden Kontrollen die Situation verschärfen, begreift er erst, in welche Gefahr er sich selbst und seine Familie damit gebracht hat, der Jüdin Unterschlupf zu gewähren. Doch Pavel hält an seinem Vorhaben fest. Hanka, isoliert von der Außenwelt, spielt er vor, dass alles in Ordnung sei und er sie völlig problemlos mit Nahrung versorge. In Wirklichkeit muss er sich jede Nacht aus der Wohnung schleichen, die Lebensmittel aus dem Schrank seiner Mutter stibitzen, und sich immer mehr in ein Lügengeflecht verheddern, um niemanden mitteilen zu müssen, dass er jede freie Minute bei Hanka verbringt. Er versorgt sie auch mit geistiger Nahrung, redet mit ihr über Literatur, nähert sich dem Mädchen emotional an. Seine eigentliche Freundin vernachlässigt er bis sie von seinem besten Freund getröstet wird. Nicht mal dass einer seiner Klassenkameraden von den Nazis aus dem Schulzimmer geholt wird, da dessen Vater eine verdächtige Person versteckte, und, wie er später hört, mitsamt seiner Familie ermordet wurde, bewegt ihn dazu, Hanka auszuliefern. Für Pavel existieren nun zwei Welten nebeneinander. Von seinem Alltag entfernt er sich immer mehr. Wichtig ist ihm nur noch, was zwischen ihm und Hanka in der Dachstube geschieht. Sie schauen in die Sterne, verlieben sich ineinander. Doch Pavel kann seine Freundin nicht lange vor den Menschen, mit denen er täglich zu tun hat, geheim halten…
Einmal fragt Hanka Pavel, ob er wisse wie sich die Stille anhöre. Sie murmle, sagt sie. Falls das so ist, dann steckt ROMEO, JULIA A TMA voller Gemurmel, das gerade so laut ist, dass man es wahrnehmen muss, und so leise, dass man es nicht richtig versteht. In seinem absolut stillen, ruhigen Film, der einem Gebet oder einer Meditation gleicht, und in dem sogar die Musik derart unauffällig ist, dass ich mich nicht mal mehr an sie erinnern kann, nehmen Jirí Weiss und Drehbuchautor Jan Otcenásek unmissverständlich Bezug auf Shakespeare. Die klassische Liebesgeschichte von Romeo und Julia soll es sein. Die Rollen sind dabei klar verteilt. Pavel und Hanka trennt wie ihre berühmten Vorfahren ihre Umwelt und nicht ihre Gefühle. Die verfeindeten Familien der literarischen Vorlage sind jedoch nicht der Auslöser für die Hürden, die sich ihrer Liebe entgegenstellen und sie schließlich zum Scheitern bringen. Pavel ist ein tschechischer Schüler wie viele anderen, Hanka jedoch wurde mit dem Judenstern gebrandmarkt. Nachdem die Nazis sich Tschechiens bemächtigten, befindet sie sich mit Pavel nicht mehr auf einer Stufe, sie ist zu einer Außenseiterin, einem Untermensch deklariert und degradiert worden. Einmal entrutscht Pavel ein Satz, den er offenbar gleich danach bereut. Er wundert sich laut darüber, dass Hanka so wenig anders ist als er selbst, wo doch die deutschen Besatzer über Juden nur Schlechtes zu sagen wissen.
Es folgt eine Phase der Annäherung und schließlich der Liebe, in der sie ihr Dachstuhlversteck zu einem Gegenentwurf zur Realität werden lassen. Und die könnte trister nicht sein. Wenn der Film mal die Straßen Prags zeigt, dann sind sie grau und nahezu menschenleer, dafür werden sie von schier endlosen Paraden deutscher Kriegsfahrzeuge beherrscht. Das Gebäude, in dem Pavel wohnt, hat fast schon etwas Kafkaeskes, mit seinen unergründlichen Treppen und Fluren, und den vielen Wohnungen, die alle Schulter an Schulter liegen. Kafkaesk auch deshalb, weil hier jeder jeden zu überwachen scheint. Höchstens hinter geschlossener Tür darf man mal ein Wort fallen lassen, das nicht dem offiziellen politischen Programm entspricht. Überall lauern potentielle Denunzianten. So akzeptiert Pavels Mutter den Auftrag der Dame, die in die Wohnung der vertriebenen jüdischen Familie zog, ein Kleid für sie zu bearbeiten, ein Kleid im Übrigen, das zuvor der jüdischen Familienmutter gehörte, nur aus Angst davor, dass sie sie bei der nächsten Dienststelle oder ihrem Ehemann verpfeifen könne. Pavel ist angewidert von dieser Umwelt und der Furcht seiner Mitmenschen. Dass er mit seinem Verhalten nicht nur sich, sondern seine gesamte Familie in Gefahr bringt, scheint er zwar zu begreifen, jedoch wissentlich auszublenden. Mit Hanka träumt er stattdessen von der Zukunft. Er will Astronom werden, sie könnte nach dem Krieg studieren. Doch der Titel deutet natürlich schon an, dass auch dieser Film tragisch endet.
ROMEO, JULIA A TMA ist alles in einem. Der definitive Film über den Holocaust, mit wenigen Mitteln und minimalistisch inszeniert, und doch allen Großproduktionen, die das Thema aufgriffen, meilenweit voraus, und der definitive Liebesfilm, der seine Protagonisten nicht nur benutzt, um einen historischen Background mit ihnen zu schmücken, sondern die Liebe zwischen Pavel und Hanka in einigen Szenen tatsächlich greifbar und spürbar werden lässt. ROMEO, JULIA A TMA nimmt seine Charaktere ernst und arbeitet selbst die unbedeutendste Nebenfigur zu einer Persönlichkeit aus. Pavels Großvater ist da ein interessantes Beispiel, der den ganzen Tag an einer Uhr arbeitet, die er, wenn sie denn mal fertig ist, zum Patent anmelden möchte, um damit Geld und Ruhm zu erlangen. Als seine Tochter ihm im Finale vorwirft, er sei nur ein alter Trottel, der nichts von den Problemen außerhalb seines beschränkten Reichs wisse, zerschmeißt er sein Lebenswerk in einem Akt des Aufbegehrens, jedoch nicht gegen seine Tochter, sondern gegen seine eigene Lethargie. Selbst die Antagonistin des Films, die neue Nachbarin, verheiratet mit einem hochdekorierten Soldaten, den sie, sobald er außer Haus ist, sofort betrügt, und auch nicht davor Halt macht, Pavel im betrunkenen Zustand verführen zu wollen, wird nicht durch und durch negativ dargestellt. Ich finde es äußerst erstaunlich, dass schon osteuropäische Filme der 60er und 70er Jahre Fehler vermeiden, die selbst jüngere und jüngste Filme zum Thema immer wieder machen. Die Deutschen in ROMEO, JULIA A TMA sind weder per se schlecht noch rutscht der Film an irgendeiner Stelle in allzu kitschige oder belehrende Gefilde ab. ROMEO, JULIA A TMA ist Poesie und keine Betroffenheitslyrik. Und obwohl der Film hinter dem Eisernen Vorhang entstand, findet sich nicht mal die Andeutung einer sozialistischen Botschaft.
Für mich gehört der Film neben Konrad Wolfs STERNE und Wajdas KRAJOBRAZ PO BITWIE wohl zu den besten, ehrlichsten und traurigsten Werken, die je den Holocaust thematisierten. Ein Film, der zu Tränen rührt.