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Philippe Grandrieux hat mit seinem Spielfilmdebüt Sombre einen extrem düsteren Serienkillerfilm geschaffen, der sich durch eine unverkennbare Handschrift auszeichnet und der es versteht, ohne irgendwelche Hintergrundinformationen zu bieten, eine beeindruckende Nähe zu seinen Hauptfiguren aufzubauen. Der von Marc Barbé verkörperte Mörder Jean ist offensichtlich schwer belastet, was den Umgang mit dem anderen Geschlecht betrifft und so sind es auch ausschließlich weibliche Opfer (unter anderem Ex-Pornostar Coralie, die Einigen auch durch ihre Regiearbeit für Baise-moi ein Begriff sein dürfte), an denen er seine inneren Zwänge abreagiert, sich Luft verschafft, bis er wieder von seinen "dunklen Trieben" heimgesucht wird. Mögliche Motivationen werden nie verbalisiert, überhaupt ist Sombre ein sehr wortkarger Film, der sich über seine Bilder auszudrücken versucht - doch dazu später mehr.
Nachdem Jean auf die Schwestern Claire (Elina Löwensohn) und Christine (Géraldine Voillat) stößt, scheint - zumindest für den Zuschauer - eine Erlösung greifbar, doch auch die schüchterne Claire vermag (ähnlich wie Nettie in Glasners Der Freie Wille) letztendlich nicht, die "innere Stimme" - den pathologischen Drang - zum Schweigen zu bringen.

Mag Grandrieux seinem Film eine vergleichbare Figurenkonstellation wie Matthias Glasner zugrunde legen (wobei bei Letzterem die Charaktere deutlich stärkere Konturen bekommen), so sind stilistisch die Filme meilenweit voneinander entfernt. Sombre ist geprägt von vielen Nachteinstellungen, aber auch etliche der Tagesaufnahme wirken dunkel, was wohl ein gewollter Blendeneffekt zu seien scheint (für mich allerdings den Film nur über den TV ansehbar macht, da trotz aller Spielereien ich über den Laptopbildschirm die Eingangssequenz beispielsweise als einziges schwarzes Bild wahrgenommen habe). Ansonsten kriegt es der Zuschauer mit einer Menge von unscharfen und verwackelten Bildern zutun, die man durchaus als Versinnbildlichung der Zerrissenheit der Figuren, als unaufhaltsamen Sog begreifen kann. Dass sein zweiter Spielfilm La vie nouvelle ebenfalls von dieser Stlistik geprägt ist, widerspricht dem nicht unbedingt, da es auch hier um Grenzthemen der menschliche Existenz geht und die Personen nicht weniger verzweifelt sind.
Ja, experimentierfreudig ist Grandrieux zweifelsohne. So geht etwa in der Mitte des Films das Bild während einer Autofahrt in ein chaotisches Krisseln à la Stan Brakhage (scheinbar stammt das Material vom Abfilmen einer Blumenwiese) über und löst sich schließlich in im Wind wehendes Frauenhaar auf - eine der unzähligen Einstellungen, die uns den Blick auf die Mimik der Personen verwehren und stattdessen ihre Hinterköpfe betrachten lassen. Musikalisch gibt es sowohl Bauhaus als auch J.S. Bach zu genießen und anscheinend war Alan Vega für die Soundeffekte verantwortlich.

Dieser Film löst Unbehagen aus, er verweigert vereinfachende Antworten und lässt den Zuschauer mit einem mehr als flauen Gefühl im Magen zurück.

Ob Sombre wohl jemals eine deutsche Veröffentlichung bekommen wird? Seien wir optimistisch, denn schließlich hat sogar Smolders´ nuit noire es bis ins kalte Germany geschafft. Hoffen wir also, dass jemand die Courage aufbringt und diese einzigartige Filmperle hierzulande einem breiteren Publikum zugänglich macht.

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