Was für ein Film!!!
Der Plot ist nicht sonderlich originell: Viehbarone gängeln Farmer zum Verkauf ihrer Farmen, einsamer Fremder eilt den Unterdrückten zu Hilfe. Tausendmal gesehen.
Aber diese Drehbuch, diese Inszenierung, diese Darsteller, diese Bildgestaltung und diese Musik.....
Der Reihe nach:
SHANE ist ein ernster, melancholischer und düsterer Western, der von den nicht überragenden aber engagierten Darstellern und einem unglaublich feinsinnigen Drehbuch mit Sinn für Zwischentöne getragen wird. Der Look ist für 1952 extrem realistisch. Farmer sind sehr zerzaust und dreckig, der Boden ist matschig und die "Stadt" ist mehr ein Provisorium. Lediglich Shanes etwas kitschiges Wildleder-Fransen-Kostüm ist wohl ein Zugeständnis an die Erwartungshaltungen der damaligen Zuschauer. Fast alles wurde on location in den Bergen Wyomings gedreht, so dass der zeitgemäß übliche Effekt "Totale - Weite Landschaft - Held reitet herbei - Schnitt - Nahaufnahme im Studio" entfällt. Es wurden bei den Aussendialog-Nahaufnahmen sogar extra 70mm-Zoomobjektive verwendet, um die Berge weiter „heranzuholen“, die bei nahezu jedem Dialog im Hintergrund mitwirken. Durch diese Vermeidung von Studioatmosphäre erhält der Film etwas sehr lebensnahes und rohes.
Das Drehbuch, das spärliche Dialogbuch und die feinsinnige Personenführung sind auf allerhöchstem Niveau. Ein Film, der über Zwischentöne, Blicke und Gesten funktioniert. Ein Beziehungsgeflecht der Protagonisten baut sich auf, wie es für die Zeit eher ungewöhnlich ist, zumal im "Unterhaltungs“-Genre Western. Mit leisen Andeutungen wird eine übergroße Sympathie zwischen Shane (Alan Ladd) mit Jean Arthur, der Ehefrau des Sympathieträgers Van Heflin aufgebaut, aber - und das macht den Film groß - NIE ausformuliert. Die Mimiken der Darsteller geraten auch nie ins große Bühnenhafte, sondern kleine, kaum wahrnehmbare Bewegungen der Gesichtsmuskeln verraten das Innenleben der Darsteller: ein leicht verzogener Mundwinkel, ein für Millisekunden zu langer Blick, eine angedeutete gehobene Augenbraue....
Alan Ladd - heute vergessen, damals ein beliebter Star der Paramount - war begeistert von der Regie George Stevens‘. Dieser lasse ihm Zeit und nach eigenem Bekunden empfand sich Alan Ladd nicht "als weltbesten Schauspieler. Aber ich kann gut Pausen machen." Deutlich zu sehen in diesem Film.
Ungewöhnlich auch der verhaltene Spannungsaufbau und die recht spärlich vorhandenen Shoot-Outs. Fast möchte man von einem pazifistischen Western sprechen. Schließlich trägt der titelgebende Held und Revolvermann seinen Colt gerademal die letzten 10 Minuten des Films. Stevens war noch beeindruckt durch seine Erlebnisse im Krieg und empfand die Wayne-Western der Zeit als Farce, in denen "Menschen angeschossen werden, aufstehen und weiterschießen". Stevens wusste, was eine Kugel anrichten konnte und dies hat seine gesamte Einstellung zur Gewalt verändert. So gibt es in diesem Film auch nicht die klassischen Bösen. Eher zwei Generationen von Menschen, die mit ihren jeweils subjektiv gerechtfertigten Meinungen aufeinanderprallen: Die Pioniere und die nachrückenden Siedler. Wenn Shane dem Bösewicht Ryker sagt, er gehöre zu einer aussterbenden Spezies, erwidert Ryker, dass er - Shane- doch ebenso zu dieser Spezies gehöre. Shane erwidert, dass er sich darüber aber bewusst sei. Ein Western, der seine eigene Überwindung proklamiert. Eigentlich sind dies Motive, die erst wieder im Italo-Western en vogue kommen.
Auch die Landschaft Wyomings unterscheidet sich vom Fordschen Death Valley. Sattgrüne Weiden, schneebedeckte Berge als Kulisse... einsame, aber nicht unfreundliche Natur. Eingefangen durch eine versierte Bildgestaltung, die an die technischen Gegebenheiten der Zeit ihren Tribut zollen muss, jedoch effektvoll und einfühlsam das Drama unterstreicht.
Komische Sidekicks wie in Hawks- oder Ford-Western gerne eingebaut sucht man hier gottseidank vergebens. Alle Personen werden ernstgenommen, wenn auch manche der schrulligen Farmer etwas Tragikomisches ausweisen. Dann entspricht dieses jedoch ihrer Figur und ihrem Charakter und folgt nicht dem Verlangen des Publikums nach komischen Elementen. Überhaupt empfindet Stevens offenbar eine ausgeprägte Lust an der Ausgestaltung der Nebenrollen. Alle werden plastisch und nachvollziehbar ins Bild gerückt, was die Empathie mit deren Schicksal deutlich verstärkt und so zum Gelingen des Filmes erheblich beiträgt. Eine der stärksten Szenen ist sicher die Beerdigung des alten stolzen Südstaaten-Veteranen "Stonewall", wenn auf der Harmonika eine traurige Version des 'Dixie'
- Erkennungsmelodie der "Grauen" - gespielt wird und die Kamera plötzlich die Akteure am Grab verlässt und zwei Kinder beim Spielen mit einem Hund beobachtet. Ganz großes Kino!!!
Apropos Musik: Victor Young hat mit dem Titelthema zu SHANE nicht mehr und nicht weniger als eine klassische Westernmelodie geschaffen, die wohl auf ewig im filmischen Unterbewusstsein verankert bleiben wird. Aber auch die inszenierte Musik (s. o.g. Begräbnisszene) ist fantastisch nahegehend und realistisch.
Der Regisseur George Stevens fiel ja auch vor SHANE bereits mit einigen großartigen Filmen auf. WOMEN OF THE YEAR (Die Frau von der man spricht) von 1942 ist mit Sicherheit eines der besten Hepburn/Tracey-Vehikel, A PLACE IN THE SUN (Ein Platz an der Sonne) mit Liz Taylor und Montgomery Clift hätte fast zur Besetzung von Monty Clift als Shane geführt und nach SHANE kam natürlich GIANT (Giganten) mit James Dean und THE GREATEST STORY EVER TOLD (Die größte Geschichte aller Zeiten) im Jahre 1965.
Für den Kinogänger von heute ist übrigens interessant, dass sich Kevin Costner's OPEN RANGE vom sattgrünen Look, dem Set Design und auch von der reduzierten Inszenierung her deutlich an SHANE anlehnt.
Alles in allem ist SHANE nicht nur der proklamierte Klassiker, wie überall genannt sondern nichts anderes als ein Meisterwerk.
Trotz der Fransenjacke gibt’s von mir noch knapp 10/10 Punkten.
Mirco Hölling (12.05.2004)