Review

Der investigative Journalismus ist ein zweischneidiges Schwert. Wo fängt das öffentliche Interesse an und wo werden die Persönlichkeitsrechte einzelner Schicksale einfach nur noch ausgeschlachtet? Für Berichterstatter die reinste Gratwanderung:  Überschreite ich die Grenze, schmeiße ich meinen Berufsethos über Bord, halte ich mich zurück, mache ich wohlmöglich selbiges mit meiner Karriere - denn dann liefert der Kollege von der Konkurrenz die quotenbringenden Bilder. Insofern ist "Mad City" ein hochgradig aktueller Beitrag zur Medienkritik - auch wenn hollywoodmäßig ins Negative überspitzt.

Mehr Klischées konnte Costa-Gavras wahrlich nicht mehr in seinen Spielfilm einbringen. Ein Täter, der zum heillos überforderten Spielball der berichtenden Zunft mutiert, die sich aus skrupelosen Starreportern, schmierigen Mitläufern und oppoturnistischen Nachwuchsjournalien rekrutiert. Ein wütender Mob voller Aasgeier, der sich rücksichtslos auf befreite Geiseln stürzt und diese mehr bedrängt als der eigentliche Amokläufer selbst. Schwarz-Weiß-Malerei at it's best - schon gut, wir haben es ja begriffen!

Oder etwa doch nicht? Der Spruch "jeder bekommt das Fernsehprogramm, das er verdient" kommt nicht von ungefähr. Solange der Konsument nach der reißerischen Berichterstattung, die mit jedem Schulmassaker einhergeht, dürstet, gibt es für die Medienanstalten keinen Grund, die gängige Praxis in Frage zu stellen. Und die wird in "Mad City" ungeschönt präsentiert: Da werden Statements aus dem Zusammenhang gerissen und instrumentalisiert. vermeintliche Freunde und Angehörige aus dem Hut gezaubert und gefährliche Halbwahrheiten verbreitet, nur damit man fünfzehn Minuten eher als die Konkurrenz "On Air" gehen kann. Natürlich grasen in der Medienlandschaft nicht nur "schwarze Schafe" umher, aber je mehr Menschen nach Ansicht dieses Filmes die nächste Sensationshascherei der Regenbogenpresse hinterfragen, dann kann "Mad City" nicht viel falsch gemacht haben. Die vielen wohlwollenden Kommentare auf amazon und ähnlichen Portalen dürfen gerne als Beleg ins Feld geführt werden. Dass das bereits aufklärte Bildungsbürgertum keiner weiteren Belehrung durch Costa Gavras' Brachial-Medienschelte bedarf, leuchtet ein - und in der Tat gibt es weitaus tiefgründigere und subtilere Werke, wie Billy Wilders "Reporter des Satans" oder "War Photographer", oder bissigere Satiren wie "Truman Show" oder "Wag The Dog".

Also stellen wir das Sinnieren ein und betrachten das, was uns über die Medienkritik hinaus geboten wird - nämlich ein spannendes Geiseldrama. Etwas überkonstruiert zwar - der simpel gestrickte, aber gutmütige und kinderliebe Sam Bailey nimmt ausgerechnet eine Schulklasse auf Museumserkundungstour gefangen - aber dennoch effektiv. Eigentlich ist Bailey ein armer Hanswurst, der nun unter Einflussnahme des Journalisten Max Brackett zum Helden der Arbeiterklasse hochstilisiert wird. Zunächst, weil Max eben die große Story wittert, später allerdings, um dem eher unglücklich ins Geiseldrama geschlitterten Sam einen glimpflicheren Abgang zu verschaffen. Sicherlich stellt sich hier die moralische Frage, ob Waffengewalt überhaupt legitimiert werden kann - wobei wir es in "Mad City" mit wohltuend weniger rührseligem Gutmenschentum zu schaffen haben, als in dem unsäglichen "John Q - verzweifelte Wut", wo Protagonist Archibald (Denzel Washington) fast ungeschoren mit seiner Tat davonkommt (sieht man von seiner Verurteilung wegen Freiheitsberaubung ab). "Mad City" verzichtet auf ein halbgares Happyend - schließlich sind Max' Bemühungen ein Dorn im Auge der Polizei (die die Geiselnahme möglichst fix beendet sehen will) sowie der übrigen Presse (die lieber blutige Bilder über den medialen Ähter schicken will). Ein Schlusspunkt, der wie Wasser auf den Mühlen der Kritiker wirkt, denen die Medienkritik in "Mad City" zu profan erscheint, der dem eigentlichen Drama allerdings gut zu Gesicht steht.

Gut zu Gesicht - das ist auch das Stichwort für die ganz große Stärke des Streifens. Dustin Hoffman - der nach seinem furiosen Auftritt in "All The President's Men" zum zweiten Mal in die Rolle eines Journalisten schlüpft - trumpft groß auf und ergänzt sich wunderbar mit John Travolta, der den einfachen Sam Bailey überraschend überzeugend darstellt. Für die Academy reichts zwar nicht ganz, doch wenn er seiner Ehefrau gegenüber mit tränengetränkter Miene seinen Fehler eingesteht, geht das nicht nur Lucinda Jenney an die Nieren. Kurzum: Die Chemie zwischen den beiden Hauptstellern stimmt, was sich insofern auf den FIlm auswirkt, als dass er doch recht eindringlich rüberkommt,  wenn man sich nicht bloß allein auf die - zugegeben - oberflächliche Medienkritik versteift. 7/10 Punkte

Details
Ähnliche Filme