Dass ein Filmtitel auch mal im Original und nicht etwa durch eine unglückliche Übersetzung für Verwirrung sorgen kann, zeigt sich nur allzu deutlich beim elften Teil der Rathbone/Bruce-Reihe mit dem seltsamen Namen „The Woman In Green". Abgesehen davon, dass es dem Film aufgrund seiner Schwarz-Weiß-Farbe schwer fallen würde, eine wie auch immer gewollte Assoziierung mit einer Farbe dem Zuschauer näher zu bringen, viel merkwürdiger ist hingegen, dass das Titel gebende Grün eigentlich keine wirkliche Funktion zu erfüllen hat. Da ist der alternative Titel „Die weiße Blume des Vergessens" weitaus treffender, denn wenn die geheimnisvolle Lydia Männer umgarnt, sie in ihre Wohnung auf einen Drink einlädt und dann in einer Schale mit Wasser weiße Blüten kreisen lässt und ihr Opfer in das Land der Träume transportiert, haben wir einen wunderschönen Einstieg für einen ungewöhnlichen Kriminalfall.
Das Grundgerüst der Story wäre tatsächlich ein Garant gewesen für eines der finstersten Kapitel in dieser Filmreihe, denn wenn jungen Frauen in den nebeligen Gassen von London des nachts heimtückisch ermordet werden und dabei jedes Mal einen Finger verlieren, dann erinnert das schon stark an ein berühmtes Vorbild. Es bleibt allerdings ein Rätsel, warum der Chef vom Yard eben diese Parallelen zieht, aus Jack the Ripper allerdings ein seltsamer Jack O'Brian wird. Schade auch, dass die Morde nur geschildert werden, statt in die dreckigen Gassen abzutauchen und wenigstens mit ein wenig Gruselatmosphäre aufzuwarten. Sicher, frontale Gewaltszenen waren noch nie ein Stilmittel der Serie gewesen, aber das angedeutete Grauen a la „Hund von Baskerville" war da schon überzeugender als hier. Löblich allerdings, dass man den zuweil doch etwas albernen Lestrade durch den weitaus seriöser wirkenden Inspektor Gregson austauschte, was zu der dunklen Stimmung auch besser passte. Dass er mit seinem dabei allerdings gegen Holmes nicht sonderlich hervorstach, ist wohl nicht nur seinem ruhigem Wesen, sondern eher dem gewohnt sicheren Auftreten des Detektivs zu verdanken.
Seltsamerweise erinnert die Konstellation der kriminellen Gegnerschaft frappierend an die aus der „Perle der Borgia": Der Schreibtischtäter, der im Hintergrund die dunklen Fäden spinnt, ein leicht psychopathisch veranlagter Handlanger, der gerne mit Puppen und chirurgischen Werkzeugen spielt und damit auch eine leicht sexuell gestörte Komponente ins Spiel bringt und eine femme fatale als Gehilfin, die hier zur Venusfalle wird und den willigen Opfer nach erfolgter Hypnose glauben lässt, sie hätten gemordet, was nach dem in der Tasche platzierten abgetrennten Finger diesen auch glaubwürdig vorkommen könnte und die Erpresserfalle zuschnappen lässt. Doch wird der ungewöhnlichen Dreierbande weitaus weniger Raum gelassen als im angesprochenen „Pearl of Death". Weder erfährt man, was diese Personen zusammengeführt hat, noch welch Beziehungsgeflecht diese beieinander hält. Abgesehen davon ist es recht abenteuerlich, dass Moriarty in die Anführerrolle gepresst wurde, nachdem er bereits zwei Mal in dieser Serie das Zeitliche segnete. Dass mit Henry Daniell nunmehr der dritte Schauspieler den Holmeschen Erzfeind verkörpert, macht die Wiederauferstehung auch nicht glaubwürdiger.
Hypnose als verbrecherische Waffe zum Zwecke der Manipulation - für einen Krimi ist es sicher eine ungewöhnliche, aber auch spannende Thematik. Hypnose ist ja schon seit Menschengedenken angewandt worden, jedoch fehlte in früheren Generationen der wissenschaftliche fundierte Hintergrund. Auch die Medizin hat erst in der Neuzeit die Bedeutung der Hypnose als mögliche Behandlungsmethode erkannt und weitergehende Forschungserfolge auf diesem Gebiet erzielt. Es muss also nicht verwunderlich erscheinen, dass selbst Dr. Watson als ungläubiger Gegner dieser Methode gilt und dies auch dem Leiter des Mesmer Club unter die Nase reibt. Doch auch wenn die damaligen Ansichten ein Produkt der zeitlichen Umstände waren, unnötig genug war es schon, einen angeblich seriösen Verein für Hypnose zu einer inszeniert wirkenden Zaubertrick-Vorstellung zu bringen, die in jedem Wanderzirkus besser aufgehoben wäre als hier. Abgesehen mal davon, dass sich Dr. Watson mal wieder zum Deppen machten durfte oder auch musste als peinliches Versuchsobjekt.
Letztlich bleibt die „Frau in Grün" vor allem als ein merkwürdiger Film haften, der aus einer interessanten Thematik zu wenig eigene Ideen entwickelt, um mit diesen eine Brücke zu einem stimmigen Krimiplot zu schlagen. Da aufgrund der nur mager in Szene gesetzten Kulissen von London auch dieser kaum für Atmosphäre sorgt, muss dieser seltsame Flickenteppich von Rathbone alleine zusammen gehalten werden, was ihm auch in den meisten Szenen gelingen mag, auch die gekonnte - wenn auch vorhersehbare - schauspielerische Verstellkunst auf einer Balkonbrüstung, die für ein gewohnt erfolgreiches Finale sorgt. Dank des Hauptdarstellers immer noch knapp über der Mittelmäßigkeit angesiedelt merkt man dennoch, dass das Eis unter dieser Serie langsam immer dünner wird...