Subconscious Cruelty & Divided Into Zero DVD
Wer immer mit dem Schaffen herausragender kanadischer Filmemacher vertraut ist, vor allem Cronenberg und Egoyan, der weiß, daß zumindest das Potential dieser Industrie weitaus mehr verspricht als nur günstige Rahmenbedingungen für schlechte Hollywood- Produktionen. Was allerdings Karim Hussain hier vorlegte, ist ein in allen Belangen ungewöhnlicher Film, der die ästhetischen und narrativen Stilmittel der kommerziellen Filmemacherei weit hinter sich läßt und sich statt dessen auf ein Erlebnis weitaus tiefgründigerer Art konzentriert…
„Die Idee hinter dem Film war die, ihn wie einen langen Fiebertraum zu strukturieren; manchmal narrative Momente einzufügen, die gleich wieder zu freien, surrealistischen Vignetten werden, um mit etwas zu enden, das zwischen diesen beiden Konzepten steht… Nicht nur würde der Inhalt die dunklen, erschreckenden Aspekte des menschlichen Daseins angreifen, er würde auch im Bereich der rechten Hirnhälfte entstehen, der ‚puren’ Arena der Kreativität, wo es weder Zensur noch Lügen gibt. Man würde eine Idee oder eine Vision haben und diese intuitiv und frei in den Film einarbeiten…“, das sagte der Regisseur über seinen Film, der es dem Zuschauer nun alles andere als einfach macht. Weil SC aber gleichzeitig mit unterbewußten Farbencodes und generell Stimmung und Atmosphäre arbeitet, ist es auch ein Film, dessen Zugang man, so man mit einigen zutiefst verstörenden Bildern leben kann, intuitiv findet und der sich dem Zuschauer vielleicht nicht wirklich erschließt, ihn dafür auf einer tieferen Bewußtseinsebene anspricht, so daß er, immer vorausgesetzt, er steht ihn bis zum Ende durch, eine tiefgreifende Erfahrung mitnimmt, die ihn noch lange nach Sichtung des Filmes beschäftigt. Dies wird jedoch nicht nur durch Bilder, sondern auch durch einen ambientartigen, mit niedrigfrequenten Tönen, Dronsounds (von David Kristian) und eine monotone, hypnotische Narration erreicht.
Oberflächlich gesehen, besteht der Film aus kurzen Stories, die jedoch in einem homogenen Stil daherkommen und zwar selten Platz für hellere Momente lassen, dafür jedoch auch mit hoffnungsvollen Bilder angefüllt sind, die ihn keinesfalls zu einem so niederschmetternden Erlebnis machen, als man dies zuerst vermuten würde. In Geschichte Nummer 1 beobachtet ein Mann seine schwangere Schwester. Scheinbar aufopfernd kümmert er sich um sie, doch in seinem verwirrten Kopf hat sich ein finsterer Plan festgesetzt: Die gotteslästerlichste Handlung, die er sich ausdenken kann, ist es, ein Kind im Augenblick der Geburt (der Schöpfung) zu töten. In Geschichte Nr. 2 ist eine Gruppe von Menschen in einer ekstatischen Orgie mit der Natur verbunden. In Nr. 3 dann geht es um einen Geschäftsmann, der den ultimativen Alptraum eines Mannes durchleben muß und am Ende wiedergeboren (?) wird. In Geschichte Nr. 4 wird dann die Aufforderung, das Fleisch und das Blut Jesu in sich aufzunehmen, ein wenig zu direkt interpretiert. Wie man an diesen knappen Angaben schon sieht, gibt es wenig in der Richtung einer konventionellen Inhaltsangabe über SC zu berichten, ein abschließendes Bild muß sich ein jeder selbst machen. Aufbauend mehr auf einer Motivation als einem Plot, hängen sich an eine offene Struktur Bilder und Töne, die man selten so konzentriert und emotional wirksam gesehen hat. Unglaublich, wie allein die finstere erste Episode das Geschehen bis ins Unendliche zerdehnt und dann am Ende unbarmherzig schockiert. Dabei sind wenig bis gar keine Aspekte zu erkennen, die den meisten bewußt künstlerisch gehaltenen Low Budget- Filmen beinahe immer auch eine Aura des Trashigen verleiht. Hussain hat bis zur Fertigstellung sechseinhalb Jahre gebraucht, und die Zeit hat er gut angelegt, so daß man nun ein äußerst ausgereiftes Ergebnis vor sich sieht, das in Teilen durchaus an das frühe, experimentelle Kino eines David Lynch erinnert- dieser Vergleich kam ja des öfteren. Aber er kann lediglich eine kleine Hilfestellung bei der Beschreibung eines Filmes sein, der, was Form, Inhalt und Tongestaltung angeht, sämtliche Grenzen hinter sich lassen will.
Dabei kann man ihm durchaus den Vorwurf machen, zu gewollt Tabus zu herbeizukonstruieren, um diese dann brechen zu können. Dies ist nicht immer der gelungenste Weg, einen Film aufzubauen, und an der Stelle macht sich durchaus das jugendliche Alter der Filmproduzenten bemerkbar. Andererseits sind die Bilder, die uns in SC erwarten, zu komplex, um sie aus dem Zusammenhang heraus zu interpretieren. Man nimmt sie, wie gesagt, eher unterbewußt wahr.
Es sind keine typischen „Splatter“- Szenen mit eingebaut, wie das verschiedentlich zu lesen war, auch, wenn manche Szenen sehr extrem sind. Statt dessen empfängt SC den Zuschauer mit hochmetaphorischen Eindrücken, z.B. einer toten Taube, die von Filmstock umwickelt ist, oder einer nackten Frau, der mit einem Skalpell der Bauch geöffnet wird. Dann greift eine Frauenhand hinein und bringt ein Auge zum Vorschein. Am schönsten ist die kurze, stumme Orgienszene, die ein wenig Hippie- Mentalität verrät (was nicht so weit hergeholt scheint, denn in einem Interview beschreibt sich Produzent Mitch Davis als „Industrial Hippie Punk Pazifist“). Der Film wurde anders als ursprünglich geplant, aber in sechseinhalb Jahren ändern sich schon einmal Ansichten. Denn Hussain war erst 19, als er die Arbeiten daran begann, und davor hatte er schon an einer Super 8 Version des Filmes gearbeitet. Beide nennen Regisseure wie Fulci, Carpenter oder Jodorowski als großen Einfluß. Dem in einer Review gerecht zu werden, geschweige denn SC zu beschreiben, ist ein fast aussichtsloses Unterfangen, eben weil er nicht mit „rationalen“ Mitteln arbeitet (Hussain beschreibt ihn als offenes Medium, in das ein Traum der letzten Nacht problemlos am nächsten Tag in den Dreh eingearbeitet werden konnte). Immerhin fordert er, man solle die linke Hirnhäfte zerstören, den Sitz der Ratio und des Verstandes.
Ein wichtiger Partner bei der Fertigstellung des Projektes war Produzent Mitch Davis, dessen eigener Kurzfilm „Divided Into Zero“ ebenfalls in dieser DVD- Edition enthalten ist, der von einem Kindermörder handelt. Laut Davis versuchte der Regisseur auf diese Art und Weise, seine eigene jahrelange Drogensucht zu verarbeiten. Auf eine ähnlich künstlerische, aber ähnlich wirkungsvolle Art wie Karim Hussain (mir fällt es überhaupt schwer, diesen Film einem ANDEREN Regisseur zuzuordnen), der an dem Film als Lichttechniker arbeitete, wirft Davis den Zuschauer in ein Wechselbad der Gefühle, denn eine klare moralische Instanz ist nicht erkennbar. Statt dessen wird man mit Bildern aus Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft bombardiert, die die inneren Obsessionen des Mannes nach außen kehren. Hier wird nicht mit der moralischen Instanz eines Ermittlers gearbeitet, statt dessen ist der Kindermörder ein zutiefst einsamer, alternder, aber ganz klar sexuell devianter Mensch (er erregt sich seit seiner Kindheit an feinen Schnitten in menschliche Haut), der sich vor seinem letzten Opfer seines verfallenden Körpers schämt.
Dieses exquisite Doppel- DVD- Set ist schon seit 2005 erhältlich, aber immer noch viel zu unbekannt. Diese ist in Deutschland jedoch z.B. auf Börsen erhältlich. Die Ausstattung ist superb zu nennen, denn neben dem Hauptfilm mit einer Einleitung und natürlich dem Trailer bietet die zweite DVD noch viel mehr Extras: Neben den Kurzfilmen „Divided Into Zero“ und „La Dernière Voix“ enthält sie ausführliche Interviews als Texttafeln mit Hussain und Davis, ein 77- minütiges (!) Making Of über den Hauptfilm, eines über „Divided Into Zero“, Clips der frühen Davis- Kurzfilme, und sogar einen „Subconscious Cruelty“- Comic Strip. Man braucht also Stunden, um das gesamte Bonusmaterial durchzugehen, beeindruckend! Die edle Covergestaltung und auch das Booklet mit einem Text (in Deutsch und Englisch) von Dr. Marcus Stiglegger machen das Set noch mehr zu einem echten Sammlerstück. Natürlich ist das Master ab und zu mit kleinen Schmutzflecken besetzt, wie man das bei 16mm- Filmen kennt, aber jedenfalls nichts Störendes, denn dies ist die von den Regisseuren selbst abgesegnete Edition, die somit besser als die davor erhältliche japanische Edition ist, denn die ist in den vielen Nacktszenen selbstverständlich zensiert.
Die 'A Subconscious Cruelty Christmas'- Dokumentation kann ich nur jedem empfehlen, denn sie zeichnet beinahe minutiös den Entstehungsweg eines Low Budget- Streifens nach, der mit fast nichts gemacht wurde, aber dafür mit einigen engagierten Leuten vor und hinter der Kamera. Christopher Piggins, der Darsteller des Businessman, mußte sich an einer Stelle sogar im Winter nackt unter einen Wasserfall stellen, und Regisseur und Produzent hatten nichts als ein paar Handtücher für ihn dabei. Die Szene endete damit, daß Hussain und Piggins sich anschrien. In einer anderen Szene, in der Piggins’ Gesicht tiefsten Schmerz ausdrücken sollte, verlangte er vom Regisseur, daß man ihm Schmerz zufügte. Dies wurde erreicht, indem man ihm Tape an seine behaarten Beine klebte und dieses dann ruckartig abzog!!! Nachdem er den fertigen Film gesehen hat, sind die beiden aber wohl wieder Freunde. Die Freuden der Low Budget- Filmemacherei.
Dies ist ein Film, der nur einmal entstehen kann, den ich überhaupt nicht als so nihilistisch empfinde, wie Hussain in der Dokumentation sagt. Obwohl er natürlich die sonst immer nur für menschelnde Sentimentalstücke empfänglichen Oscar- oder Berlinale- Jurys vermutlich in ein Koma schicken würde. Sowohl Hussain als auch Davis sind aber heute der Meinung, daß sie einen Film in der Konsequenz nicht mehr machen würden. Immer noch eine der radikalsten Umsetzungen einer vollkommen eigenständigen Konzeption davon, wie ein Horrorfilm auszusehen hat, und das in einer absolut edlen Deluxe- Edition. Unbedingt ansehen!
Subconscious Cruelty
Kanada 2000, 80 min.
Regie, Schnitt & Drehbuch: Karim Hussain
Produktion: Mitch Davis
Musik: Teruhiko Suzuki
Sound Design: David Kristian
Spezialeffekte: C.J. Goldman, Philippe Spurrell
Mit: Brea Asher, Ivaylo Founev, Eric Pettigrew, Christopher Piggins
Divided Into Zero
Kanada 1999, 34 min.
Regie, Produktion & Drehbuch: Mitch Davis
Musik: Teruhiko Suzuki
Sound Design: David Kristian
Make Up: Patrick Tremblay, George Tucci
Mit: Philippe Daoust, Max Firatli, Griffith Brewer, Stephanie Kepman, Meredith Darling, Andrea Hardy, Benoît Boucher
2 DVD- Set:
Anbieter: Sazuma
FSK: 18
Bildformat: Original 1.33:1 (Vollbild), optional 1.66:1 Letterbox- Option (16:9 anamorph)
Tonformat: Englisch Dolby Digital 5.1 Surround and Original Stereo Mix (optionale deutsche, holländische und englische Untertitel)
Extras: Disc 1: Einleitung des Regisseurs; Trailer
Disc 2: 77-minute Making of Dokumentation 'A Subconscious Cruelty Christmas'; Kurzfilm 'Divided Into Zero' von Mitch Davis; The Making Of 'Divided Into Zero'; Unreleased Tracks von David Kristian; 'Divided Into Zero' Trailer; Einführung des Regisseurs; Fotogalerie & more.
Doppel- DVD- Set kommt in Schuber mit 16seitigem Booklet mit einem Text von Dr. Marcus Stiglegger (www.ikonenmagazin.de)