Eine Serie über den Irakkrieg vom Fox-Kabelsender FX? Da erwartete manch einer rechtskonservative Patriotengrütze, die Fox News sind ja berühmt-berüchtigt, doch „Over There“ präsentierte sich als überraschend ausgewogenes Portrait des Soldatenlebens da drüben.
„Over There“ folgt dem Schicksal von mehreren Soldaten, Bo Rider (Josh Henderson), Frank ‘Dim‘ Dumphy (Luke Macfarlane), Avery ‘Angel‘ King (Keith Robinson), Maurice ‘Smoke‘ Williams (Sticky Fingaz) und Tariq Nassiri (Omid Abhati), ihrem Vorgesetzten Sergeant Chris ‘Scream‘ Silas (Erik Palladino) und den Fahrerinnen Brenda ‘Miss B.‘ Mitchell (Nicki Aycox) und Esmeralda ‘Doublewide‘ Del Rio (Lizette Carion) bei ihrem Einsatz im Irak. Einer der Soldaten wird am Ende der ersten Folge durch eine Mine zum Kriegsversehrten, die Fahrerinnen kreuzen immer wieder den Weg der kleinen Einheit, die das Zentrum der Handlung ist und anhand von deren Einsätzen „Over There“ das Kriegsgeschehen schildert.
Tatsächlich merkt man schnell, wie sehr das Format Fernsehen und die Erzählstruktur der Serie zusammen gehen: Viele Episoden behandeln eine bestimmte Soldatentätigkeit, sei es die Bewachung einer Straßensperre, Vermittlungstätigkeiten für zivile Auftraggeber oder Wachdienst in improvisierten Gefängnissen, welcher die Hauptfiguren für genau eine Episode zugeteilt sind. Das wirkt hin und wieder mechanisch, gibt der Serie aber gleichzeitig die Möglichkeit viele Facetten des Soldatenlebens im Einsatz widerzuspiegeln. Gleichzeitig gibt es auch genug folgenübergreifende Elemente, seien es häusliche Probleme einzelner Soldaten, fortwährender Streit mit einem unqualifizierten Vorgesetzten oder der Plotstrang um das Bombenopfer, welche „Over There“ dramaturgisch dicht genug zusammenhalten, damit dieses Manko nicht weiter auffällt.
Auch politisch ist „Over There“ ein weitestgehend ausgewogener Beitrag, der US-Verfehlungen im Irak anspricht, etwa wenn ein ziviler Auftraggeber mit westlicher Überheblichkeit in einem Dorf tätig wird und nichts weiter erreicht als dass eine Dorfbewohnerin gesteinigt wird, wenn das Versprechen, bestimmte Leute zu verhaften und nicht via Bombardierung zu töten, gebrochen wird oder wenn in einer Folge gar die Frage aufkommt ob einer der Soldaten nicht kurzen Prozess mit einem inkompetenten Vorgesetzten gemacht hat. Gleichzeitig wird diese Kritik auch wieder durch einen entscheidenden Umstand abgemildert: Die Hauptfiguren von „Over There“ sind fast alle Verkörperungen des guten Soldaten. Sie haben ihre Fehler, gerade Smoke, doch sie tun meistens das Richtige und ihre negativen Eigenschaften sind sie nie zu ausgeprägt, wobei vor allem Scream als moralischer Befehlshaber des kleinen Trupps mit rauer Schale schnell zum Idol wird – seine Selbstlosigkeit wird gerade in der Folge mit dem Kinderheim klar zum Ausdruck gebracht. So wird es dann nie zu unangenehm für den US-Zuschauer, auch wenn „Over There“ heikle Themen anspricht und das US-Vorgehen kritisiert.
Fans oberflächlicher Action dürften mit „Over There“ dagegen kaum glücklich werden, denn es gibt zwar Feuergefechte und Kampfhandlungen, diese sind kompetent inszeniert und relativ realistisch, aber sie sind nicht das Hauptaugenmerk der Serie. Vielmehr geht es um die Unsicherheit der Soldaten, die mit einem unklaren Feindbild konfrontiert werden, die erkennen müssen, dass gängige Gut-Böse-Schemata nicht immer so einfach funktionieren und deren Werte sowie Vorurteile überdacht werden müssen. So entlassen viele Folgen den Zuschauer gemeinsam mit den Figuren zum Nachdenken über das Gesehene, während im Hintergrund der famose, eingängige Titelsong der Serie zu hören ist, den Co-Creator Chris Gerolmo selbst singt und komponiert hat.
So gehört die Figurenzeichnung auch klar zu den Stärken von „Over There“, denn man folgt den Charakteren gerne bei ihrer inneren und äußeren Reise, die sich durchaus feinfühlig gestaltet: Selbst ein großmäuliger Gangsta-Typ wie Smoke offenbart emotionale, ja sogar verletzliche Seiten, Tariq ist den Feinden oft kritischer gegenüber eingestellt als der Rest der Truppe, wobei er sowohl großes Fachwissen als auch viele tief verwurzelte Vorurteile in die Runde wirft und Dim mag zwar anfangs wie ein intellektueller Kopfmensch erscheinen, beweist dann aber immer wieder Toughness. Insofern ist es schade, dass die letzten Folgen der Serie deutlich abflachen: Es findet wenig Weiterentwicklung bei den Charakteren statt, alle relevanten Tätigkeiten und Themenfelder des Irakkriegs scheinen abgegrast, doch die Serie ist glücklicherweise vorbei bevor diese Abnutzungserscheinungen sie allzu weit herunterziehen.
Die eine Staffel von „Over There“ war für keinen der Beteiligten ein Karrieresprungbrett, doch die Leistungen aller Beteiligten sind durch die Bank weg gut. Gerade Erik Palladino als Sergeant, dem nichts Menschliches fremd ist, überzeugt mit Charme und Charisma, ähnlich vielschichtig ist Luke Macfarlane und überraschenderweise ist auch Rapper Sticky Fingaz hervorragend. Der Rest der Darsteller kann ebenfalls punkten, allenfalls Josh Henderson wirklich gelegentlich etwas eindimensional, aber reicht an diese drei nicht heran.
Gegen Ende lässt „Over There“ etwas nach und ist bei der Kritik an der Rolle der USA im Irakkrieg immer darauf bedacht dem Zuschauer durch die Hauptfiguren positive Gegenbeispiele zu geben, doch insgesamt weiß das Portrait des Soldatenlebens im Kampfeinsatz durch seine Charakterzeichnung, die vielschichtige Darstellung verschiedener Problematiken des soldatischen Alltags und die Besetzung zu überzeugen. Durchaus eine Empfehlung für alle am Thema Interessierten.