Der „Train Man" ist Manga, Roman, eine Fernsehserie und ein Kinofilm. Zudem, darauf bestehen die Quellen, ist der „Train Man" ein echter Kerl und seine Geschichte wahr. Wahr. Wahr. Wahr! „Train Man" ist waschechter urbaner Mythos, „Train Man" wurde gar zur Lebenshilfe. „Train Man" nährt aber auch die tückische Hoffnung auf ein Wunder, das einmal verbrieft, auch ein zweites Mal passieren kann.
Otakus in Love
Ein später Zug aus Tokio. Lautes Schweigen. Das Abteil, die Passagiere - wie ein mitten in der Bewegung eingefrorenes Standbild. Mit zitternder Stimme, höflichst, wiederholt der Nerd seine Bitte, der angetrunkene Businesstyp solle doch die junge Frau nicht länger begrabschen. Der Anzugmann holt aus. Eine Ungeheuerlichkeit ... dass so ein Otaku es wagt den Mund aufzumachen. Alle andere schauen weg. So wie immer. Jeder für sich. Natürlich bekommt der Nerd eine gelangt, aber er stolpert auch kopfüber in das Abenteuer seines Lebens - eines Lebens, das er bis dahin noch gar nicht wirklich begonnen, sondern vornehmlich erträumt und in Chaträumen mit anderen Otakus zurechtgesponnen hatte. Er will die Frau, die er gerettet hat, die er später nur noch Hermes nennt. Er will sie für sich, so wie er bisher nur nach einer raren Actionfigur gierte, und er ist bereit, alles für seine neu entfachte Passion geben. Seine abgetragenen Klamotten abzulegen und zum Friseur zu gehen, ist nur ein erster, kleiner Schritt.
Die Anteilnahme an der Geschichte des „Train Man", die über das Internet, über Mangas, Anime, eine Fernsehserie und nun auch einen Kinofilm immer weitere Kreise zog, hat aus den geschilderten Vorgängen einen waschechten urbanen Mythos werden lassen. Längst ist es unerheblich, ob sich das nun alles so zugetragen hat wie es die Medien, sich auf sich gegenseitig berufend, verbrieft haben wollen. Genau wie die disperse Community, die dem unwahrscheinlichen Helden in der Geschichte mit ihren Kommentaren beistehen möchte, hat sich das Publikum nur zu gut in den fremden Avataren wiedererkannt und deren Erlebnisse für sich auszudeuten begonnen. Der „Train Man" ist wahrhaftig geworden, ein Spiegel einer Gesellschaft, die sich wohl eingestanden hat, dass sie als Gesellschaft nicht mehr funktioniert. Isolation. Selbstaufgabe. Menschen, die nicht mehr miteinander, sondern parallel zueinander leben. Probleme, die sich in keinem Land tiefer durch alle sozialen Schichten schneiden mögen als in Japan. Und dennoch lässt sich der erfolgreiche Export des Pop-Phänomens „Train Man" nach jenseits der obskuren Pazifiknation eventuell nicht anders deuten als mit der Erkenntnis: Wir sind viele und wir sind allein.
Kongenial, aber durchaus mit einem ganz eigenen Schwung und lockernden, dem Medium angemessenen visuellen Spielereien, adaptierte Regisseur Masanori Murakami diesen Stoff im letzten Jahr für die Leinwand. Der Erfolg an der Kinokasse stellte sich zwangsläufig und augenblicklich ein - es gab wirklich wenig, was Murakami hätte falsch machen können, um das Projekt für seine Investoren in den Sand zu setzten. Darüber hinaus ist ihm aber auch wahrhaftig ein Film gelungen, dem man selbst dann noch unterhaltend finden kann, wenn man des allgegenwärtig zelebrierten Kultes um den „Train Man" schon längst überdrüssig ist.
Ohne wahnwitzig in die verkultete Geschichte selbst einzugreifen, spielt Murakamis Inszenierung jedoch mit den normativen Elementen seiner Vorlage. Er distanziert sich in ironischer Überzeichnung von einer Geschichte, die sich selbst mit Ironie ihrem Thema genährt hatte. Denn wirklich zu fabelhaft, zu deutlich motivierend wurde der schwere Weg des „Train Man" bisher beschrieben. Er wurde heraus dirigiert aus seinem verkramten Kinderzimmer, in dem der 23jährige nie erwachsen geworden ist. Zu signalhaft wirkte der Aufstand gegen das eigene Verkümmern, um dahinter nicht eine Agenda zu vermuten, der die sorgfältig weiter über Cliffhanger und Spannungsbögen gesponnene Liebesgeschichte zwischen dem Protagonisten und seiner vergötterten Hermes nur ein hervorragendes Vehikel war.
Auch bei Murakami bekommt das ungleiche Paar sich schließlich, doch besteht er selbst in dem Moment, in dem er sie endlich zusammenführt, noch immer auf die Frage, die viele bis dahin, glücklich verheult und Nase schnäuzend, völlig vergessen haben: Was, um Gottes Willen, findet die an ihm? Ist es nicht vermessen, selbst der großen Magie Liebe ein solches Wunder aufzubürden?
Vor Hermes, der gebildeten, beinahe großbürgerlichen und reichlich steifen Geschäftsfrau, steht ein Kerl, der nicht nur augenscheinlich einige Jahre jünger ist als sie selbst. Er führt sich zudem auf, als wolle er ihr den Altersunterschied noch deutlicher machen. Er sabbert, er flennt, er krümmt sich und der einzige Erwachsene, dem er ähneln mag, ist Mr. Bean. Er bekommt kein verständliches Wort heraus. Was, um Himmels Willen, findet die an ihm? Ist es ein seltsamer Mutterkomplex, der schließlich die drei großen Worte von ihren Lippen fliegen lässt? Vielleicht ist es genau das, ein ganz spezieller Fall. Und wenn so ein Wunder tatsächlich geschehen ist, dann wahrlich nur dies eine mal. Vergesst Hoffnung, die ihr hier raus wollt, möchte man für die vielen Otakus in dieses Finale interpretieren, die vielen Otakus, die sich „Train Man" zum Idoru erkoren haben und wieder an Wunder, jedoch noch immer nicht an sich selbst glauben. Vergesst Hoffnung, wenn ihr wirklich hier raus wollt, und lauft endlich, lauft!