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von Stefan M

Interview Truffaut/Hitchcock

Truffaut: Ihr nächster Film, „Murder“ [„Mord - Sir John greift ein“], basiert auf einem Bühnenstück.

Hitchcock: Der war interessant. Haben Sie ihn gesehen?

Truffaut: Ja, ich habe ihn gesehen. Das ist die Geschichte einer jungen Schauspielerin, die angeklagt ist, eine Freundin getötet zu haben. Sie wird festgenommen, vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt. Unter den Geschworenen ist Sir John - Herbert Marshall -, ein berühmter Schauspieler und Autor. Von ihrer Unschuld überzeugt, stellt er eigene Nachforschungen an und findet schließlich den Mörder. Es ist der Verlobte der Angeklagten.

Hitchcock: Das ist eins der wenigen Whodunits, die ich gemacht habe. Ich habe die Whodunits immer gemieden, weil im allgemeinen nur ihr Schluß interessant ist.

Truffaut: Das ist beispielsweise bei fast allen Romanen von Agatha Christie der Fall. Eine langwierige Untersuchung, eine Vernehmung nach der anderen.

Hitchcock: Eben deshalb mag ich die Whodunits nicht. Mich erinnert das an Puzzlespiele oder an die Kästchen beim Kreuzworträtsel. In aller Ruhe wartet man die Antwort ab auf die Frage: Wer war’s? Kein bißchen Emotion.

Das erinnert mich an eine Geschichte. Als das Fernsehen aufkam, gab es zwei Konkurrenzprogramme. Das erste Programm hatte so ein Whodunit angekündigt. Und genau vor der Ausstrahlung verkündete der Ansager der Konkurrenz: „Was die Auflösung des Stücks auf dem anderen Kanal betrifft - der Butler war’s.“

Truffaut: Und obwohl es ein Whodunit ist, haben Sie sich für „Murder“ sehr interessiert?

Hitchcock: Ja, weil es voll von Sachen ist, die ich hier zum erstenmal gemacht habe. Es war Herbert Marshalls erster Tonfilm, und es war die ideale Rolle für ihn. Es zeigte sich sofort, daß er ein ausgezeichneter Tonfilmschauspieler war. Man mußte seinen Überlegungen folgen können, und da es mir widerstrebte, eine für die Handlung überflüssige Person einzuführen, habe ich mich des inneren Monologs bedient. Damals fand man, das sei eine phantastische Neuerung des Tonfilms. In Wirklichkeit war es die älteste Theateridee der Welt, angefangen bei Shakespeare, hier nur den Möglichkeiten des Tonfilms angepaßt.

Es gab eine Szene, in der Herbert Marshall sich rasiert und dabei Musik aus dem Radio hört.

Truffaut: Das Vorspiel zu „Tristan“, das war eine der besten Szenen.

Hitchcock: Ja, da hatte ich ein Orchester mit dreißig Musikern im Studio, hinter der Badezimmerdekoration. Verstehen Sie, ich hätte den Ton nicht nachträglich hinzufügen können, ich mußte ihn gleichzeitig im Studio aufnehmen.

Übrigens, was den Direktton betraf, habe ich da einige Erfahrungen mit dem Improvisieren gemacht. Ich habe den Schauspielern den Inhalt der Szene erklärt und ihnen vorgeschlagen, ihren Dialog selbst zu erfinden. Das Resultat war nicht gut. Zu viele Pausen. Sie hingen zu sehr an dem, was sie sagen sollten. Die Spontaneität, auf die ich gehofft hatte, stellte sich nicht ein. Das Timing stimmte nicht mehr. Das Ganze hatte keinen Rhythmus. [...]

Truffaut: In Wirklichkeit ging es dabei [bei „Murder“] um eine kaum kaschierte Homosexuellengeschichte, und das war damals ziemlich gewagt. Der Mörder, der in der Schlußszene als Frau verkleidet im Zirkus auftritt, gesteht, daß er das Mädchen getötet hat, weil sie seine Verlobte über ihn aufklären wollte.

Hitchcock: Ja, in dieser Hinsicht war es gewagt. Es gab viele Anspielungen auf „Hamlet“, zum Beispiel das Stück im Stück. Man gab dem mutmaßlichen Mörder das Manuskript eines Stückes zu lesen. Das Stück beschrieb einen Mord, das war eine Falle. Man beobachtete ihn, während er das Stück vorlas, um zu sehen, ob er sich verriet, wie der König im „Hamlet“. Der ganze Film war eng verknüpft mit dem Theater.

Außerdem war „Murder“ meine erste Erfahrung mit dem zweisprachigen Film. Ich mußte gleichzeitig eine englische und eine deutsche Version drehen. Ich hatte in Deutschland gearbeitet und sprach etwas deutsch, genug, um mich durchzulavieren. Der Held der englischen Version war also Herbert Marshall, für die deutsche Version hatte ich einen bekannten Schauspieler, Alfred Abel. Vor Beginn der Dreharbeiten bin ich nach Berlin gefahren, um über das Drehbuch zu sprechen. Man schlug mir viele Änderungen vor, die ich alle abgelehnt habe. Doch das war ein Fehler. Ich habe abgelehnt, weil ich mit der englischen Fassung zufrieden war und aus wirtschaftlichen Erwägungen. Man konnte nicht zwei Fassungen drehen, die zu verschieden voneinander waren. Ich bin also mit dem unveränderten Drehbuch nach London zurückgefahren und habe mit den Dreharbeiten begonnen. Ich habe sofort gemerkt, daß ich kein Ohr für die deutsche Sprache hatte. Alle möglichen Details, die in der englischen Fassung sehr komisch waren, waren es überhaupt nicht mehr in der deutschen. Zum Beispiel die ironischen Seitenhiebe auf den Verlust der Würde oder auf Snobismus. Der deutsche Schauspieler fühlte sich nicht wohl in seiner Haut, und ich merkte, ich verstand die Besonderheiten des Deutschen nicht.[...]

Quelle: Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“ von Francois Truffaut

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