Das ist deine Welt. Beobachte sie und schau genau hin, denn Nebel und Schatten kaschieren einiges. Wir nennen es "Syriana". Regierungen kämpfen um Rohstoffe (in diesem Fall Öl), damit sie ihren eigenen Vorteil herausschlagen. Alle Mittel sind recht. Korruption, Desillusion und schlichtweg alles, was hilft, um die Macht zu steigern. Kein Vertrag, kein Handschlag zählt mehr. Alles muss überprüft werden, weil das Vertrauen ausgenutzt wird. Firmen fusionieren, damit einen Gegenpol zum Vormachtsstreben anderer Länder gebildet werden kann. Die Umstände stehen im Zwielicht, Leute werden beauftragt, um den Vorgang öffentlichkeitstauglich zu machen. Was dahinter steckt, ist schleierhaft. Der Schein trügt. Leute mit anderen Interessen werden zu Feinbildern stigmatisiert. Feinde werden zu Freunde, solange man mit ihnen Gewinn machen kann. Die Gewinnmaximierung erfordert Wirtschaftsopfer, deren Not von islamistischen Hasspredigern ausgenutzt wird. Die Oberfläche ist in dieser Umgebung nur noch da, um Hintergründe zu vertuschen und falsche Fährten zu legen. Wer möchte da noch von Lebensfreude oder Glauben sprechen?
Es ist ein Teufelskreis, den man in seiner ganzen Tragweite gar nicht verstehen kann. "Syriana" degradiert den Betrachter zum Beobachter unschöner Zusammenhänge, deren zugrunde liegende Machtkämpfe die Erde von einer dunklen Seite beleuchten. Dramatik entsteht aus der Distanz heraus. Die Aufnahmen vermitteln einen dokumentarischen Stil, der einerseits Ferne vermittelt, andererseits aber auch knallharte Authentizität. Die Handlager und Teilnehmer an diesem diabolischen System leben nicht in einer fernen Galaxie, sondern im Hier und Jetzt. George Clooney als CIA-Agent, der den politischen Schmutz souverän und seinen Händen trägt. Der charismatische US-Amerikaner saugt die Rolle förmlich auf und gibt Robert Barnes mit stoischer Ruhe und prägnanter Gestik und Mimik wieder. Er ist ein Teil des Ganzen, ebenso wie Matt Damon, der als Wirtschaftsanalyst eine gute Figur macht, indem er im Einklang mit dem filmischen Grundton, auch bei persönlichen Schicksalen stets einen kraftvollen Gesichtsausdruck bewahrt.
Massentauglichkeit kann man "Syriana" trotz bekannter Gesichter nicht bescheinigen. Zahlreiche Ortswechsel und scheinbar unabhängige Handlungsstränge sorgen dafür, dass der Überblick schnell verloren geht. Das widerspricht aber nicht der Intention. Unser Planet ist so globalisiert, die Abläufe sind derart komplex, dass man alle Facetten gar nicht mehr wahrnehmen kann. Eines steht jedenfalls fest und geht in der Verwirrung nicht unter. Die Augen kann man davor nicht schließen. Das ist nicht die Welt, wie man sie sich vorstellt. Der Spiegel reflektiert Unschönes, das den Glauben an alles hinterfragt.
Hollywood ist wieder das, was es mitunter sein will. Die kritische Instanz im eigenen Land, politisch engagiert auf eine Weise, die in Ordnung ist. "Syriana" ist keine plakative Propaganda oder Hetze, eher ein nihilistischer Moloch, der das weltpolitische und wirtschaftliche System hinterfragt. Weder die Amerikaner noch die Araber werden explizit an den Pranger gestellt. Trotz gravierender Ähnlichkeiten zur aktuellen politischen Lage, ist der Film vordergründig eben keine präzise Kritik an eine bestimmte Adresse. Es geht stattdessen um einen Kreislauf, den die Globalisierung hervorgebracht hat. Die Wirtschaft ist so weitläufig, dass Interessenkonflikte entstehen müssen, weil nun jede Nation die Möglichkeit hat, vom weltlichen Kuchen zu essen. Dabei geht mit dem großen Duell um Macht jede Art von Menschlichkeit verloren, die positiven Aspekte des Zusammenwachsens sind nur Schein. Die Illusion wird demontiert.
Der Film entgeht trotz der vermittelten Dramatik der Übertreibung, was auch an der Inszenierung liegt. In der Ruhe liegt die Kraft. Die Kamera fängt dokumentarische Bilder ein, die eine Distanz vermitteln. Emotionen liegen auf Eis, das Gezeigte wird nicht hochstilisiert oder dramaturgisch aufgeblasen. Im übertragenen, bildhaften Sinn ist die Stilistik ein Befehl genau hinzusehen - nüchtern, mit der Aufmerksamkeit eines scharfen Beobachters. Dabei ist es nicht wichtig alles bis ins letzte Detail zu verstehen, vielmehr zählt die Wahrnehmung, dass dies eine andere Welt ist, die man selbst nicht unbedingt sieht. Trotzdem ist es genau der Planet, auf dem wir leben.
Wir atmen die gleiche Luft, in der die Intrigen und Machenschaften von "Syriana" gedeihen. Wer beobachtet und sich darauf einlässt wird mit dem Hintergrund des Gezeigten alleine deshalb erschrecken. Distanz bringt manchmal mehr Nähe, als man denkt, vor allem, wenn dadurch die Gelegenheit, alles ohne Manipulation wahrzunehmen, geboten wird. Regisseur Stephen Gaghan lenkt den Blick unaufdringlich in eine Richtung, die wir nicht wahrnehmen können bzw. nicht wollen. Die nächste Welt ist das wahre Leben - starker Tobak. (8/10)