Manchmal gebärt Hollywood tatsächlich kleine Schätze und "Pleasantville" ist definitiv einer davon. In ein leichtes Fantasy-Gewand gekleidet, schleicht sich hier eine wunderbare Satire auf den Mittelstand und die USA zur Hintertür herein und hinterläßt dabei sogar noch gute Laune.
Der Plot läßt schon einen unterhaltsamen Film vermuten, wenn zwei Teenager mittels einer Zauberfernbedienung ungewollt in eine 50er-Fernseh-Soap einsteigen und die dort herrschenden Verhältnisse durcheinanderbringen.
Die Ausführung übertrifft das Konzept, daß an eine reine Komödie erinnert, jedoch bei weitem.
"Pleasantville" stellt sich als schwarz-weiße Klischee-Familien-Soap vor, die so porentief rein und sauber ist, wie nichts es jemals sein könnte. Es gibt zwar Handlung, doch die ist so weichgespült, daß sie nicht einmal Ähnlichkeit mit echten menschlichen Problemen hat. Diese Serie ist sowohl weltfremd wie weltflüchtig und kommt dem Wunsch nach einem sicheren, heilen Heim entgegen. Gerade in den 50ern, wo Kommunistenhetze allgegenwärtig war, suchten die Leute nach etwas, was gut und rein war. Heute erscheint diese falsche Idylle wie die reinste Parodie.
So wirkt denn auch der Kunstgriff, beim Sprung aus der wirklichen in die TV-Welt von Farbe auf schwarz-weiß umzuschwenken.
Von da an konkretisiert der Film bildlich seine Botschaft, ohne sie mit dem Pferdehaarpinsel aufzutragen. Während sich David (Tobey Maguire) bemüht, sich völlig anzupassen, da die Serie eh seinen Wunschvorstellungen entspricht, wehrt sich seine Schwester Jennifer (Reese Witherspoon) dagegen, sich in dieser fremden Umgebung unterzuordnen. Sie ist nicht bereit, ihren Charakter dem Umständen entsprechend zu unterdrücken, sondern lebt ihre Individualität aus.
Das bringt den Knackpunkt für den ganzen Film, denn indem sie "Fehler" in das intakte System bringt, bringt sie das ganze System durcheinander. Das äußert sich nicht nur, indem die Leute ein fremdes Verhalten an den Tag legen, sondern hat auch Auswirkungen auf die Sicht der Dinge, denn plötzlich erscheint Farbe im schwarz-weißen Städtchen.
Dabei stellt sich die Frage, ob das intakte, funktionierende System auch ein lebendiges System war, denn ebenso wie eine Serie durch ihre inhaltlichen Vorgaben begrenzt ist, sind auch die Charaktere begrenzt auf eine Reihe von Verhaltensschemata. Im übertragenen Sinne sind sie "tot", erwachen aber zum Leben, indem sie bemerken, daß ihr Leben mehr Möglichkeiten bietet.
Das führt zum zentralen Konflikt des Films, denn während die einen die Veränderungen (Farbe, Wissen, Sex, die Möglichkeit zur freien Entscheidung) genießen, fühlen sich andere entwurzelt, ihnen wird der Boden unter den Füßen weggezogen, ihre Welt bricht zusammen.
Diese Form von Angst anhand einer beschränkten Weltsicht führt zu Reglementierungen bzw. zu Agressionen, die sich in Repressalien, Bücherverbrennungen und einem Aufruhr niederschlagen.
Ungeachtet dessen sind die Veränderungen davon natürlich nicht aufzuhalten, denn der wache Geist und freie Wille läßt sich nicht auf Dauer unterdrücken.
Der Film nimmt somit auch eine politische Position ein, wirft demokratische Ideen mit der Rassenproblematik (Farbige unerwünscht!) in einen Topf, serviert sie seinen Zuschauern jedoch auf verdauliche Art und Weise. Still und unterhaltsam entrollt sich vor unseren Augen ein Panoptikum von Typen und Figuren, die ihre ersten Schritte in der wirklichen Welt machen und machen können.
Neben Maguire und Witherspoon, die "natürlich" agieren, glänzt Daniels als konturloser und leicht zurückgebliebener Everyman, dem die Hamburgerbraterei nicht mehr genügt, als das künstlerische Talent in sich entdeckt. Joan Allen gibt eine stille, nuancierte und traurige Vorstellung als die Mutter ab, der die üblichen Aufgaben nicht mehr behagen, während William H.Macy den klinisch reinen Dad abgibt, dann aber beinahe an der Veränderungen zerbricht. Wenn Macy im Zustand der totalen Verwirrung feststellt, daß daheim plötzlich nichts mehr so ist, wie er es gewohnt ist (und wie es "richtig" ist), naht der Zusammenbruch seiner heilen Welt nur durch den hilflosen Ausspruch "Wo ist mein Essen?" und bricht dem Zuschauer, der im ganzen Film auf wirkliche "Böse" oder Feindbilder verzichten muß, glatt das Herz.
J.T.Walsh muß als Bürgermeister zwar wieder die unangenehme Rolle spielen, ist aber auch darin wahrhaft sympathisch, denn das wirklich Böse ist fremd in Pleasantville.
All seine Botschaften transportiert der Film auf ruhige, sympathische Art, provoziert Lächeln, manchmal auch Lachen, setzt aber niemals auf einzelne Gags, sondern baut sie in den natürlichen Prozeß mit ein. Gary Ross einfühlsame Regie hält den Film beständig im Fluß und transportiert seine Inhalte über die volle Laufzeit.
Leider geraten dem Skript auf der Zielgeraden ein paar Fäden aus der Hand, wenn Witherspoon in der TV-Stadt, die jetzt komplett farbig ist, bleibt und Maguire nach Hause zurückkehrt, wo das Verschwinden seiner Schwester wohl schwerer zu erklären sein wird.
Auch nimmt zum Schluß Allen Maguire als einen fremden Besucher wahr, obwohl sie die beiden sonst als ihre Kinder erkannt hat, wobei ihre wirklichen "Serien"-Kinder verschollen bleiben. Auch der Moral-von-der-Geschicht-Schlenker mit Maguires Mutter ist eigentlich überflüssig, leitet aber über zu einem letzten Blick nach Pleasantville, wo sich eine sehr ambivalente Szene im Park abspielt, die an "Die Reifeprüfung" gemahnt, weil Allen, Macy und Daniels jetzt keine Ahnung haben was als nächstes geschehen wird, denn für diesen Fall ist kein Drehbuch geschrieben.
Jetzt wird die Zukunft zum offenen Buch - eine unbequeme, aber sicher auch aufregende Freiheit.
Das Leben als Wundertüte: 10/10.