CHRIST -- THE MOVIE
"The Crass" gründeten sich 1977 und waren eine der ersten Punkbands überhaupt. Nach dem großartigen Erfolg ihrer ersten Platte gründeten sie ein eigenes Label und verlegten im lauf der Zeit rund Hundert andere Bands (u.a. "UK Subs", "Flux of Pink Indians") mit ähnlichen politischen Zielen, als da wären: ein unbarmherziger Feldzug gegen die Repressionenen und Lügen des Thatcher-Regimes, die weltweite militärische Abrüstung, insbesondere der nuklearen, der Kampf gegen die Kassengesellschaft, gegen Rassismus, Imperialsmus und Kapitalismus, gegen die Ausbeutung von Mietern (aktiv in der Hausbesetzerszene), die Ausbeutung der Frau, gegen christliche Moral, Irreführung durch die Medien und deren Zensur sowie gegen den Mord an Tieren; und vor allem gegen Gewalt. Interessant ist, daß das erwirtschaftete Geld sofort wieder in den politischen Kampf gesteckt wurde, die vertriebenen Platten wurden zudem extrem billig angeboten (ganz im Gegensatz zu den "Sex Pistols" oder "The Clash", die bald nach dem ersten Erfolg nur noch ans Geld dachten). "The Crass" stehen in der Tradition des politisch gerichteten Existenzialismus Sartres, der die politische Verantwortung (und also die Pflicht etwas zur Veränderung beizutragen) eines jeden Menschen proklamiert. In der Geschichte der Band gibt es Hunderte von wunderschönen, zum größten Teil selbst prvozierten Skandalen, die z.B. zum Boykott der Major-Labels der Bands führten ("The Crass" waren damals eine der erfolgreichsten englischen Bands, trotzdem tauchten sie plötzlich auf keiner Hitparade mehr auf, viele Platten landeten auf dem Index oder wurden ganz verboten). Desweiteren wurden die kommunenartig wohnenden Mitglieder ständig von der Polizei überwacht und schikaniert (unbegründete Festnahmen, Bestechungsversuche, Auftrittsverbote, Hausdurchsuchungen zuhauf, etc.). 1984 (im Orwell-Jahr) löste sich die Band auf (im am Gründungstag schon beschlossenen Jahr. "Wenn wir es bis 1984 nicht geschafft haben, etwas zu verändern, geben wir auf...").
Trotz der Auflösung blieben aber fast alle Bandmitglieder künstlerisch weiter aktiv und 1990 brachte Mick Duffield dann "Christ -- The Movie" heraus. Der Film ist ein aus verschiedenen Kurzfilmen (1. Autopsy 1979, 2. Choosing Death 1981, 3. Yes Sir, I Will 1984) bestehendes, fragmentartiges Gesamtkunstwerk, das die verschieden Facetten der Allround-Künstler (u.a. Maler, Bildhauer, Filmemacher, Dichter, Schauspieler, Agitatoren, Verleger und natürlich Musiker) genauso wiedergibt, wie die unmißverständlichen Kernaussagen der Anarcho-Punk-Band. Die abartigen Szenen in einer Schlachterei werden mit Bildern von Neugeborenen collagiert und Atombombenexplosionen, Vietnam, Hiroshima und Nagasaki werden gegen den normalen Spießer-Alltag gestellt. Thematisiert wird auch der, von der "Eisernen Lady" losgebrochene, wahnwitzige Falkland-Krieg, in dem es nur noch um die aufrechtzuerhaltende Fassade einer ehemaligen Weltmacht ging ("How does it feel to be the Mother of a thousand Dead?"). Dazu kommen einige (vermutlich speziell für das psychedelische-Drogen-Klientel vorgesehene) surreale und dadaistische Elemente, wie z.B. der Versuch der Hörbarmachung der absoluten Stille nach einem Atomschlag, Audio-Aufnahmen aus Kaufkäusern, Maschinen-Geräusche, und alles immer wieder verwoben mit Interviews, Fernsehschnipseln und den genialen Live-Aufnahmen- und Mitschnitten der abgedrehten Konzerte.
Herausgekommen ist ein teilweise schwer verdaulicher Horrortrip in die grauen Tage der frühen 80er in Großbritanien, als die Welt (mit Thatcher und Reagan an der Macht) am Abgrund stand und keine Lösung mehr in Sicht schien.
Fazit: Experimenteller Querschnitt durch eine wahnsinnige Gesellschaft. Ein Film der seinesgleichen sucht und für das steht, was Punk vielleicht eigentlich bedeutet: Eine unbequeme Wahrheit.
10 von 10 Punkten