… oder wie die Form dem Inhalt das Wasser abgräbt!
Die Filmgeschichte hat bewiesen, dass bei der Adaptionen von Buchvorlagen – oder auch im Fall von Computerspielen – oftmals besonders essentielle Aspekte nicht oder nur ungenügend Berücksichtigung finden. Im Fall von Robert Montgomerys „Die Dame im See“ („Lady in the Lake“, 1947) gingen die Verantwortlichen das Projekt hingegen besonders wohlwollend an und übernahmen aus Raymond Chandlers gleichnamigen Roman die Ich–Perspektive in einem filmisch interessanten Experiment gleich mit. Das Resultat ist ein Werk mit Seltenheitswert, welches seine Geschichte von Anfang bis Ende aus der subjektiven Perspektive des Protagonisten erzählt. Inhaltliche Aspekte der Vorlage blieben hingegen auf der Strecke.
Der Privatdetektiv Philip Marlowe erhält den Auftrag, nach der leichtlebigen Gattin des Pulproman-Herausgebers Derace Kingsby zu suchen. Jene soll sich nach Mexiko abgesetzt haben und scheint unauffindbar. Für Marlowe zunächst kein besonderer Fall, gäbe es nicht auffällige Querverbindungen zu zwei Morden, die aus der gesuchten Chrystal Kingsby eine potentielle Verdächtige machen.
In über 100 Jahren Filmgeschichte hat sich ein kleines Repertoire an (erzähl)technischen Gimmicks angesammelt, die sich – sei es aus ökonomischen oder narrativen Aspekten – nie wirklich durchsetzen konnten. Zu diesen zählt unter anderem das 3D-Verfahren ((„Jaws 3 – D“ ( 1983 ) , „Und wieder ist Freitag , der 13“. ( 1982 ) , „Amityville 3“ ( 1983 ) , „Spy Kids 3 : Game Over“ ( 2003 ))), aber auch das Erzählen einer Geschichte durch rein subjektive Einstellungen. Robert Montgomery wagt in „Die Dame im See“ diesbezüglich einen interessanten Versuch, der innerhalb Hollywoods Schwarzer Serie zweifelsohne ein Unikum darstellt. Durch direkteren visuellen Zugang zur Geschichte soll der Zuschauer stärker vom Medium Film absorbiert werden. Menschliche Sehgewohnheiten werden versuchsweise mimetisch reproduziert, eine Zuspitzung des unsichtbaren Schnitts angestrebt. Genau das Gegenteil ist jedoch der Fall. Anstatt Nähe bildet sich kühle Distanz, hervorgerufen durch den Fremdkörper der durchgängig subjektiven Einstellungen. Die Erzähltechnik beansprucht die gesamte Aufmerksamkeit des Publikums und führt dem Zuschauer, dessen filmische Sehgewohnheiten bis dato bei weitem anderen Maximen folgten, in jedem Moment die Künstlichkeit der Inszenierung vor Augen. Die Erzähltechnik steht hier ihrer Intention selbst im Weg.
Ein Nebeneffekt der gewählten Erzählform ist die stärkere Fokussierung der Mise-en-scène. Bedingt durch die angestrebte Kontinuität der Erzählung funktioniert „Die Dame im See“ primär über die Kameraarbeit, nicht über den Schnitt. Strukturelle Auswirkungen sind vornehmlich lange Einstellungen, die dem Film durch die oftmals statisch ausgefallene Mise-en-scène ein hohes Maß an Vitalität rauben. Des Weiteren ist auch die starke Dialoglastigkeit, welche kaum Spielraum für visuelle Ausschmückungen lässt, nicht förderlich. Oftmals steht die Kamera – respektive der Protagonist Marlowe – minutenlang vor einem Gesprächspartner, der wie ein Fisch in die Kamera stiert und sich nur ab und an ein wenig nach links oder nach rechts bewegt. Mehr aber auch nicht. Konventionell erzählte Filme arbeiten in derlei Fällen beispielsweise mit Schuss/Gegenschuss-Aufnahmen, um potentiell starr wirkende Szenen – oder hier: Plansequenzen – aufzulockern. Montgomery verzichtet auf solche Methoden hingegen mit beharrlicher Konsequenz, um dem auferlegten Konzept treu zu bleiben.
Eine stärker elliptisch durchstrukturierte Erzählweise hätte dem Film besser zu Gesicht gestanden und nicht unwesentlich dazu beigetragen, das Interesse des Zuschauers länger aufrecht zu erhalten. So hingegen verliert sich der Film oftmals in Banalitäten, nur um seinem visuellen beziehungsweise narrativen Gimmick zu frönen. Doch die dadurch vergeudete Zeit muss an anderer Stelle kompensiert werden. So gibt sich „Die Dame im See“ im Gegensatz zu anderen, wesentlich gekonnter ausbalancierten Chandler-Verfilmungen (Howard Hawks „The Big Sleep“ (1946) oder Edward Dmytryks „Murder, My Sweet“ (1944)) inhaltlich nicht so werksgetreu, wie man es sich als Liebhaber von Chandlers Romanen gewünscht hätte. Bestes Beispiel ist die Titel gebende tote Dame im See, die innerhalb des Romans eine essentielle Funktion besitzt. Die Verfilmung hingegen spart die Ereignisse am Little Fawn Lake, Chrystal Kingsbys letztem Aufenthaltsort und kurz darauf Fundort von Mildred Havelands Wasserleiche bis auf eine kurze Erwähnung aus. Des Weiteren degradiert die Verfilmung Marlowe zu einem Hobbyautoren für Krimigeschichten, der durch „Zufall“ bei einem Verlag – wir erinnern uns Chrystal Kingsbys Mann ist ein Herausgeber für Pulp-Romane – an seine künftigen Auftraggeber gerät. Warum man nicht die klassische Einleitung des Romans beibehalten hat, in der Kingsby keine Schundheftchen verkauft und Marlowe nicht seine Profession gewechselt hat, bleibt offen. Sicher hingegen ist, dass die Verschiebung des Fokus der Dramaturgie schwer schadet.
Es gibt nachvollziehbare Gründe, warum Filme dieser Gattung eine Rarität geblieben sind. Neben obigen Aspekten ist es vor allem die fehlende Identifikationsfigur, die in einem POV-Film weitgehend außen vor bleibt. Abgesehen von drei eher störenden Szenen, in denen sich Marlowe als Erzähler direkt ans Publikum wendet, sieht man ihn nur ein paar Mal durch Spiegelreflexionen und es wird schmerzlich klar: das ist nicht Bogie, das ist nicht einmal Dick Powell – der Marlowe aus „Murder, My Sweet“. Spätestens dann ziehen spöttische Hintergedanken auf, die den gesamten POV-Zirkus einzig und allein der Tatsache zuschreiben, dass man Bogart nicht für den Film verpflichten konnte.
Der ebenfalls im Jahr 1947 unter der Regie von Delmer Daves entstandene „Die Schwarze Natter“ nutzt dieselbe narrative Technik wie „Die Dame im See“. Bezeichnenderweise ist es dort Humphrey Bogart, durch dessen Augen wir – zumindest eine Zeit lang – schauen. Auch wenn „Die Schwarze Natter“ durch inhaltliche Schwächen ebenfalls nicht zu den Perlen des Genres gezählt werden kann, gelingt es in letztgenanntem wesentlich besser mit diesem Stilmittel umzugehen. Dort ist es weniger ermüdende Zeigefreudigkeit, sondern vielmehr ein spannender, durchaus motivierter Kniff, um die Handlung zu akzentuieren. Ließe sich ähnliches über „Die Dame im See“ sagen, hätte sein besonderer Status als äußerst interessantes Experiment innerhalb der Film Noir-Strömung sicherlich nicht diesen äußerst faden Nachgeschmack. So bleibt Montgomerys Dame allenfalls aus filmhistorischer Sicht interessant. Alle Zuschauer, die etwas mehr von einer Chandler-Verfilmung erwarten, seien deshalb auf die weitaus gelungeneren Werke wie „The Big Sleep“ und „Murder, My Sweet“ verwiesen.