Review

Ich hatte viel Negatives über Revolver gehört. Aber als bekennender Ray Liotta und auch Jason Statham Fan war es natürlich nur eine Frage der Zeit bis ich auch Revolver in der loop hatte. Im Nachhinein kann ich die oftmals negativen Kritiken durchaus verstehen. Erwartet man ein – nennen wir es - klassisches Ritchie/Statham Vehikel á la carte, muss der Film zwangsläufig verstören oder enttäuschen. Mir persönlich erscheint es der gelungenste Film von diesem Duo. Man muss sich natürlich auf den Film (wie immer) einlassen (wollen). Am Anfang handelt es sich scheinbar noch um die normale Ritchie Gangster-Groteske. Aber dann entwickelt der Film ein ungeahntes Potenzial , entfremdet und entfernt sich aus dem gewohnten Terrain und mausert sich zusehends zu einem durchaus psychologisch oder psychologisierend lesbaren Film, der die alltäglichen Bedrohungen des Ichs (Erving Goffman hätte sein helle Freude gehabt) sowie die Gefahren, Risiken und Lock-Ins der täglichen Identitätsarbeit sehr schön einfängt und metaphorisch wieder zu geben versucht. So steht vielen Menschen – und ich sehe dies mehr oder weniger täglich in meinem daily business – ihr nach außen getragenes und durch Impression Management forciertes und fixiertes Ego (nicht zu verwechseln mit dem Ich) oft genug im Wege, mal weniger auffällig, mal im Alltagsstrom des Geschehens untergehend und mal desaströs berufs-, partnerschafts- und existenzschädigend. So zeigt bder Film eben clever, wie man Mister Fucking Gold Mister Mistery eben durchaus in einem cleveren Gedankenzug zwischen irreführender Gottmetaphorik (nämlich uns alle bestimmend) und individueller und individualisierter Egoproblematik oszillieren lassen kann, vielleicht muss. Und da ist es nur konsequent das Mr. Green (der sich ja sichtlich für ein intelligentes Bürschchen hält) seine inneren Zwistigkeiten und seine vielen Stimmen in seinem inneren Team in der Metapher des Schachspiels ausdrückt mit den Endpolen des klugen, meist geniushaften Schachspielers und dem ausgebufften, und ebenso an Genialität grenzenden Gauners. Für mich ein cleverer Schachzug von Herrn Ritchie. Und da wird im Film bei Green (Statham) und Macha (Liotta) nicht nur die innere Vielzahl der Stimmen thematisiert und reflektiert, sondern auch und gerade die verborgenen Schattenseiten des Ichs, die keiner in der Außenwelt normativ kennen soll, vielleicht nicht einmal darf. Und des Weiteren werden auch die Seiten, die wir selber an uns nicht kennen bzw. wahrnehmen (wollen), sondern nur andere an uns wahrnehmen bzw. wahrzunehmen glauben sowie auch die (eben ganz im Sinne von Freud und Kirkegaard) irrealen Ängste und Befürchtungen narrativ eingefangen, die uns in den städnig ablaufenden virtuellen Interaktionen unseres Wish Selfs, unseres nach außen getragenen Egos und unserer inneren Ich-Stimme(n) immer wieder plötzlich oder auch andauernd situationbedingt bewusst werden. Werden sie uns bewusst oder sind sie uns anhaltend bewusst werden wir diese natürlich durch politische Manöver, verbale Attacken, Zynismen, Lügen, Projektionen, Rationalisierungen oder eben auch durch Gewalt zu verschleiern oder zu kompensieren versuchen, vor anderen genauso wie vor uns selbst. Dies alles zeigt sich für mich sehr schön über den gesamten Film verteilt.
Die Schlussfolgerungen, die der Film betreffend die Befreiung aus dem Iron Cage des Egos zieht muss man nicht mit gehen, kann man psychologisch und soziologisch auch nur schwer mit gehen. Zu einfach der Weg, zu banal die Eskapismusformel, zu platt die Ausradierung des Egos und zu ungelenk die Hervorhebung eines (wie auch immer gearteten) wahren Ichs – das letztlich eben immer von unserem nach außen getragenen Ego maßgeblich und sozial imprägnierend mitbestimmt wird. Hier ist der Film zu sehr verhaftet in einem 70er Jahre New Age pop-psychologischen, pop-philosophischen, ja sicher auch kabbalistischen Denken, vielleicht auch in humanistischen Vorstellungen der 70er Jahre über eben das Wahre in einem selbst, das die tägliche Identitätsarbeitsproblematik und -thematik vereinfachen will, geradezu eigendynamisch (autopoietisch) muss. Macht aber nichts, den Weg muss man ja nicht mitgehen.


Nichtsdestotrotz bleibt für mich ein herausragender Film, der metaphorisch exzellent eine psychologisch immens interessante Thematik zu umkreisen versucht (eben to revolve) und der die innere Zwiespältigkeit, die jeder kennt – Kenneth Gergen spricht von Multiphrenie, Schulz von Thun vom inneren Team, einige Individualisierungstheoretiker um den Soziologen Beck sprechen vom Ich-Mosaik - hervorragend in Bilder und Narrationen fasst. Dadurch wird einem im Film auch immer wieder aufgezeigt, wie unterschiedliche Sebst-Teile (ganz unpathologisch) in uns in der Situation handeln würde. Man mag edler Schenker sein, aber innerlich sind Stimmen (Selbstteile) in einem, die für die Gabe auch die Anerkennung haben wollen bzw. einen rationalen Tausch dafür bekommen wollen oder die sich mit physischer Gewalt das Seinige zurückholen wollen usw. usf. Der Schweinehund in uns, der eben auch der alten Lady, wenn nötig rein aus Prinzip den Hund wegnehmen würde. All das, ich kann mich hier nur wiederholen, ist für mich und meinen Geschmack im Film hervorragend umgesetzt.


Zum Film kann ich nur soviel sagen:Wenn man Filme psychologisch/soziologisch/philosophisch bzw. psychologisierend/soziologisierend/philosophiesierend lesen will, dann eignet sich dieser Film hervorragend. Und da in anderen Kritiken oft genug der Vergleich zu Lynch gelegt wurde, möchte ich hier doch auch anmerken, dass im Gegensatz zu dem recht psychologisch einfach gestrickte und schnell durchschaubaren Lost Highway, Revolver durchaus einigen Interpretationsspaß mehr gewähren kann. Was beiden Filmen gleich ist, will man sie konsequent psychologisch lesen: Sie spielen nicht einfach nur bzw. ausschließlich in der interaktiv geteilten Welt, sondern sind Kopfkino und verlagern permanent die Selbste bzw. Selbstteile als Akteurgeschehen scheinbar nach außen in die interaktiv geteilte Welt, spiegeln aber nur die inneren Möglichkeiten der Selbstanteile wieder und wie sie in die Welt handeln würden.


Ich hatte meinen Spaß an dem Film und gebe daher aus meiner Sicht verdiente 9 Punkte. Zu den Schauspielern gibt’s aus meiner Sicht wenig zu sagen. Was soll man über Ray Liotta und Jason Statham sagen, wer die beiden kennt macht sich seinen Reim.

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