Im Zusammenhang mit dem seit Jahren tobenden Bürgerkrieg in Syrien, dem Feldzug des IS im Nahen Osten und den daraus resultierenden Strömen von verzweifelten Menschen, die vergeblich auf Hilfe in den reichen Staaten der westlichen Industriewelt suchen, zeigen sich EU und UN von ihrer egoistischsten und humanitätslosesten Seite. Doch diese aktuelle Krise ist bei weitem nicht die erste Gelegenheit, bei der die offizielle "Weltpolizei" ihre so hoch gehaltenen Werte der Mitmenschlichkeit mit Füßen tritt: Als es 1994 in Ruanda zu einem Völkermord gegen die Bevölkerungsgruppe der Tutsi kam, stritten sich die Mitgliedstaaten der UN lieber wochenlang darüber, ob man den Begriff Genozid hier anwenden dürfe, anstatt das hunderttausendfache Abschlachten von Männern, Frauen und Kindern verhindern zu wollen.
Neben dem großartigen "Hotel Ruanda" ist "Shooting Dogs" einer von wenigen groß promoteten Filmen, die auf dieses schreckliche Verbrechen aufmerksam machen - und auch nicht davor zurückscheuen, die unrühmliche Rolle der UN deutlich zu zeigen. Der Großteil des Films spielt in einem belgischen UN-Quartier, in dem nach Ausbruch der Hetzjagd auf die Tutsi hunderte Menschen Zuflucht suchen. Anstatt ihnen zu helfen, verstecken sich die Blauhelm-Soldaten hinter ihren Dienstvorschriften - und flüchten schließlich, nachdem sie Europäer des Camps evakuiert haben, selbst, um die Afrikaner ihrem grausamen Schicksal zu überlassen.
John Hurt spielt einen christlichen Pfarrer, der im Missionierungsauftrag in Ruanda lebt und alles versucht, die Menschen vor ihren Mördern zu retten. Sein intensives Spiel vermittelt Mitleid und Menschlichkeit und macht jede seiner Handlungen absolut glaubwürdig. Als positiver, aber hilfloser Gegenpol steht er den Soldaten gegenüber, die zwar selbst unter der bestialischen Gewalt leiden, die sie um sich herum sehen, denen aber per Befehl die Hände gebunden sind. Die Fokussierung auf eine relativ kleine Gruppe von Europäern und ihrer afrikanischen Freunde sorgt für eine starke Intensität, die Leid, Verzweiflung, Wut und Trauer der tatenlos Zuschauenden beinahe greifbar macht.
"Shooting Dogs" konzentriert sich dabei auf diese schauspielerische Kraft. Inszenatorisch bleibt er sehr zurückhaltend: Die Kamera dokumentiert ruhig und distanziert die Eskalation der Ereignisse, spart zwar die blutigsten Details aus, scheut aber nicht davor zurück, mit blutverschmierten Leichen bepflasterte Straßen und den Mord an Mutter und Baby mit einer Machete zu zeigen. Das unmenschliche Grauen dieser Tage steigt plastisch und stellenweise kaum erträglich vor dem Zuschauer auf, auch wenn die gefühlige Musik mitunter etwas zu penetrant eingesetzt wird, um den Szenen noch mehr Gewicht zu verleihen.
An Originalschauplätzen und mit zahlreichen afrikanischen Statisten gedreht, vermittelt der Film einen sehr authentisch wirkenden Eindruck jener Ereignisse. Neben der Frage, was die Täter dazu treibt, ihre Nachbarn und Freunde brutalst zu ermorden, geht er auch dem Thema nach, wie sich die Europäer verhalten haben. Und das zeigt er ungeschönt und direkt: Die Angst um das eigene Leben lässt sie ihre hehren Ziele vergessen, wenn ein ganzer Lkw nur mit Weißen die UN-Station verlässt, ist das ein schamvoller Tiefpunkt der globalisierten Beziehungen. Dabei verurteilt er nicht, sondern zeigt an einzelnen Figuren, wie Angst und Selbsterhaltung überhand nehmen und selbst aus den edelsten Motiven feige Taten werden können. Eine menschliche Tragödie von tief emotionaler, nachhaltig bestürzender Wirkung.
Die einzigen, die hätten eingreifen können, bleiben tatenlos: In einer Szene erklären die UN-Soldaten, sie wollten die Hunde erschießen, die die Leichen auf den Straßen vor dem Quartier anfressen, damit keine Krankheiten verbreitet werden könnten - daher auch der Filmtitel. Viel mehr muss man zur Rolle der UN in einem der schrecklichsten Verbrechen der jüngsten Menschheitsgeschichte nicht sagen.