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Kunst. Ein Begriff, der in der Filmbranche mit Vorsicht verwendet werden sollte. Nicht alles, was glänzt und jenseits des Mainstream ist, ist gleich Kunst. Selbstredend ist dieser interpretationslastige Begriff sehr dehnbar und gibt sich niemals mit nur einer Lösung zufrieden, wenn überhaupt. Kunst liegt im Auge des Betrachters. Wie künstlich wertvoll oder verkommen ein Werk ist, muss letztendlich jeder selbst entscheiden. Während eine Person ein spezifisches Drama als künstlerisch hochwertig empfindet, kann es für den anderen als ein triviales Machwerk vorkommen, dessen künstlerischer Aspekt als fehlinterpretiert oder themenverfehlt bezeichnet wird. Doch was genau ist Kunst? In welchem Rahmen und in welchen Bezügen spricht man von Kunst? Ist Kunst immer gut? Ist jeder Film, der sich selbst als Kunst bezeichnet auch für den Zuschauer Kunst? Man sieht also, wir befinden uns im Augenblick auf einem sehr breitläufigen Gebiet, welches man wohl nie komplett beantworten kann. Aber das ist hier nicht der springende Punkt. Was hier weitaus mehr interessant ist, ist die Frage, ob sich alles auch für Kunst eignet. Eignet sich zügelloser Sex tatsächlich als Kunst? Kann man eine groß- als auch freizügige Sexszene so hindrehen, dass sie Kunst wird? „Lie with Me – Liebe mich“ versucht sich auf diesem Terrain.

Leila (Lauren Lee Smith) ist eine promiskuitive, junge Frau, welche sich alltäglich Pornos jeglicher Art anschaut und sich dementsprechend dann auch selbst befriedigt. Sie meint, der Höhepunkt sei gar nicht das Besondere, was sie anmacht. Was sie anmacht, ist die Lust an sich. Allein der Gedanke, „in den Arsch gefickt“ zu werden oder den „Schwanz in den Mund zu nehmen“, macht sie an. Sei es einen Schüchternen oral zu befriedigen oder mit einem für sie anfangs Fremden ohne auch ein Wort zu wechseln leidenschaftlichen Sex zu haben. Sie schreckt vor nichts zurück. Dass sie so selbst aber nicht genau weiß, was sie will, ist ihr voll und ganz bewusst. Eine innige Beziehung will sie auf keinen Fall eingehen. Sie weiß zwar, wie man richtig „fickt“, aber wie man liebt, dass ist ihr fremd. Bis sie David (Eric Balfour) kennenlernt, mit dem sie sich mehrmals – mehr oder weniger heimlich – trifft, um eben nur das zu tun, worauf Leila Lust hat. Liebe hat hier gar nichts verloren. Aber wie es das Schicksal so will, empfindet sie nach mehreren „Sitzungen“ immer mehr etwas für David, auch weil sie ihn dadurch besser kennenlernt, obwohl sie selbst nie etwas von sich preisgibt. Als dann aber Davids Vater an Alterschwäche stirbt, vergeht im die Lust am Sex, verstoßt Leila ohne ihre Gefühle zu merken – obwohl er insgeheim selbst etwas für sie empfindet. Anschließend reden sie mehr oder weniger immer einander vorbei, versuchen es wieder mit Sex – doch die Liebe bleibt aus. Als jedoch Leilas beste Freundin dann endgültig heiratet, finden auch David und Leila zueinander. Ein Happy-End, muss doch sein, oder?

Regisseur, Co-Autor und Co-Produzent Clément Virgo versteht sein Werk als ein erotisch angehauchtes Drama mit mehreren Etappen, bis sich seine beiden Hauptprotagonisten dann doch noch in die Arme fallen. Das Problem ist, dass es hier weit mehr als nur um angehauchte Erotik geht. Gewisse Szenen machen diversen Softporno-Filmchen referenziell Ehre, wobei sie auch ab und an den Schritt zum Hardcore-Gebiet wagen. Das ist jedoch weder prickeln noch aufregend, sondern nur nervtötend. Die beiden „Stars“ Lauren Lee Smith und Eric Balfour schaffen es nicht, ihren schon skripttechnisch schwachen Charakteren Leben einzuhauchen um der an sich interessanten Grundthematik die nötige Würze zu verleihen, die man für einen Liebesfilm braucht. Jedoch agieren beide ziemlich hölzern miteinander – vor allem jedoch Eric Balfour, der den ganzen Film über stets den einen, ihm anscheinend bekannten Gesichtsausdruck hat. Lauren Lee Smith wurde immerhin vom optischen her relativ gut gecastet, denn hübsch und bis zu einem gewissen Grad süß und niedlich ist sie auf jeden Fall. Sobald es jedoch heißt, zusammen zu agieren oder gar etwas zu sagen, möchte man als Zuschauer am liebsten Augen und Ohren gleichzeitig zu halten.

Leila meint zu Beginn des Films, die Männer würden denken, sie seien das stärkere Geschlecht. Ihnen gehört die Stadt. Doch wenn es um Sex geht, denken alle nur mit dem Schwanz. Und daraus zieht Leila dann ihren Vorteil. Sie meint zu glauben, in dieser Beziehung das stärkere Geschlecht zu sein. Dementsprechend klischee- und vorurteilhaft schreitet der gesamte Film im Schneckentempo voran. Einen roten Faden vermisst man gänzlich, alles scheint lose irgendwie miteinander zusammenzuhängen. Gut 1/3 des Films besteht nur aus reinem Sex, jedoch macht gerade dieser repetitive Versuch, Leilas krankhaftes Verlangen nach Akzeptanz in Form von Sex zu verdeutlichen, den Film ungemein langläufig und substanzlos. Ein weiterer Grund ist auch die Tatsache, dass die Szenen nicht besonders originell gestaltet sind. Während die eintönige und nervenraubende Musik von Byron Wong dem schablonenhaften Skript alle Ehre macht, ist einzig noch der Versuch hervorzuheben, das gesamte Werk als ein (Kunst-)Drama zu verkaufen. Das ist mit Sicherheit der größte Fehler, den der Film machen kann. Als ein obszönes und freizügiges Erotikdrama mit etwas „Blabla“ zwischen „den Szenen“, funktioniert der Film wunderbar, auch wenn er in allen Belangen weit über einem indiskutablen Pornofilm liegt. Jedoch verdeutlichen vor allem die ersten 20 Minuten den Anschein, dass man hier etwas Spezielleres drehen wollte, das sich etwas von den üblichen Erotikdramen abhebt. Vor allem Leilas Monolog, welcher teilweise sehr deplaziert eingesetzt wurde, trägt viel zu diesem Schein bei. Heraus kam aber definitiv kein anspruchsvolles Drama, das mit den Ängsten der scheinbaren Opfer ihrer selbst spielt.

„Lie with Me – Liebe mich“ ist ein artifizielles, trotz der kurzen Laufzeit von knapp 89 Minuten langwieriges Erotikfilmchen, das zwar öfters die Kriterien eines handelsüblichen Dramas erfüllt, sein Augenmerk jedoch mehr auf das legt, was auch Leila am besten gefällt. Gegen diesen Streifen wirkt der thematisch etwas ähnliche „Secretary“ von Steven Shainberg wie der „Citizen Kane“ unter den misslungenen Dramen, die versuchen, Erotik künstlerisch zu präsentieren. Aber hier wird wie so oft künstlerisch mit gekünstelt verwechselt. Und diesen schwerwiegenden Fehler kann auch die hübsche, aber steif agierende Lauren Lee Smith nicht wettmachen. Interessant bleibt das Gesamtwerk dennoch, da man als Zuschauer immer hofft, endlich eine unerwartete Wendung zu sehen. Erhofft euch bitte nicht zu viel!
Um die Eingangsfrage noch zu beantworten, ob Sex auch Kunst sein kann. Nein, kann er definitiv nicht, da er überhaupt keine Interpretationen bietet oder gar provokativ wirken kann, da jener eben nur visuell überzeugen kann.

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