Beim Wiederansehen dieses populären Dokumentarfilms über die Schieflage der weltweiten Nahrungsmittelindustrie hat sich bei mir ein überraschender Effekt eingestellt: In einer Zeit des erstarkenden Rechtspopulismus, Nationalismus und Isolationismus, in der die Idee eines gemeinsamen, friedlichen Europa so gefährdet scheint wie nie, wirkt es doch ein wenig befremdlich, einen mittlerweile knapp 20 Jahre alten Film zu sehen, der sich derart kritisch mit den Praktiken der EU auseinandersetzt.
Dabei ist diese Kritik vollkommen berechtigt: Fangquoten und internationale Regelungen, die kleine unabhängige Fischer in den Ruin treiben und die riesigen Fischereischiffe der Großkonzerne begünstigen, die die Ozeane leer fischen, Subventionen für genmanipuliertes Gemüse, dank derer europäische Konzerne die afrikanischen Märkte zerstören und Millionen afrikanischer Bauern ihrer Existenzgrundlage berauben, oder Massentierfabriken, in denen Hühner innerhalb ihres gerade einmal acht Wochen umspannenden Lebenszyklus' ein fürchterliches Dasein fristen müssen, sind Auswucherungen des profitorientierten Kapitalismus, die weder ethisch noch logisch vertretbar sind.
Solcherlei hässliche Realitäten thematisiert der stark bebilderte Dokumentarfilm "We feed the World" deutlich und ungeschönt. Der österreichische Regisseur Erwin Wagenhofer hält sich selbst mit Kommentaren weitgehend zurück - bis auf immer wieder eingeblendete kurze Texte - und lässt zahlreiche an der modernen Lebensmittelindustrie Beteiligte zu Wort kommen: Einfache Bauern und Fischer, Tierfabrikleiter, Händler und Konzernmitarbeiter bieten verschiedene Perspektiven auf die Ungerechtigkeiten der heutigen Welt. Auch der damalige Sonderbeauftragte für das Menschenrecht auf Nahrung der EU kommt zu Wort und liefert den mit Abstand kraftvollsten Beitrag: Nachdem er eine Statistik zitiert hat, laut der die Nahrungsmittelproduktion der Welt ausreichen würde, um problemlos 12 Milliarden Menschen zu ernähren, fügt er hinzu: "Jeder Mensch, der an Hunger stirbt, wird ermordet."
Wie das sein kann, zeigt der Film in klaren, rhythmischen Bildern auf, ohne erklärende Off-Kommentare. Lebensmittelgesetze zwingen die Industrie, Millionen Tonnen an Lebensmitteln wegzuwerfen, die noch gefahrlos verzehrt werden könnten; Bauern in Afrika werden enteignet, weil sie mit den subventionierten Preisen der EU-Konzerne nicht mithalten können; in Brasilien wird der Regenwald großflächig für Sojaanbau gerodet. Die Kamera zeigt immer wieder in langen Einstellungen die Produktionsweise dieser Probleme - ratternde Förderbänder, rotierende Mähdrescher, Lastwagen, die tonnenweise Brot auskippen. Durch den Verzicht auf einen Sprecher entsteht so eine dichte Atmosphäre, die von den Erläuterungen der Interviewten fundiert wird. Bilder von gigantischen Treibhausanlagen in Spanien oder dem inhumanen Umgang mit Küken und erwachsenen Hühnern in den Tierfabriken lassen einen ganz schön schlucken. Gerade diese Szene, die dann auch den Schlachtprozess vom Töten der Hühner bis zum verpackten Hühnchenschenkel nachvollzieht, macht überdeutlich, unter welchen Umständen unsere tägliche Nahrung entsteht.
Dass dabei nicht immer konstruktive Kritik geübt wird, ist ein Schwachpunkt des Films. Auch werden mitunter Behauptungen aufgestellt und einfach im Raum stehen gelassen - dass ein größeres Boot nicht zehnmal mehr Fische fängt als ein kleiner Trawler etwa, wird mit keiner Silbe erklärt. Auch richtet sich die Kritik verschiedentlich gegen EU, Konzerne und die Bevölkerung mit ihrer Gier nach Billigangeboten, ohne die komplexen Verknüpfungen zwischen diesen gesellschaftlichen Gliedern aufzuzeigen. So wirkt "We feed the World" manchmal wie ein wütender Rundumschlag ohne konkrete Zielstellung - besonders weil er auch keine echten Lösungsvorschläge präsentiert.
Dennoch handelt es sich hierbei um einen wichtigen Film, der auch heute noch nichts an Aktualität verloren hat. Mit fassungslos machenden Fakten, eindrucksvollen Bildern und einer gerade durch ihre formale Zurückhaltung starken Inszenierung (etwa der beinahe vollständige Verzicht auf Hintergrundmusik) fesselt er den Zuschauer beinahe durchgehend und gewährt einen bestürzenden Einblick in die teils katastrophalen Zustände der globalen Nahrungsmittelindustrie. Und wenn er als Abschluss einen Nestlé-Sprecher zu Wort kommen lässt, der davon redet, dass Nestlé sich doch als aktiver Wirtschaftsteilnehmer an der Lösung der Probleme beteiligen muss und dass wir alle etwas optimistischer denken sollten, zeigt er ganz nebenbei noch den Zynismus und die Heuchelei der Großkonzerne auf, die ja schließlich viele dieser Probleme erst durch ihr rücksichtsloses Verhalten verursacht haben. Ein starker, kluger, wichtiger Film - der am Beispiel der EU auch zeigt, dass man etwas grundsätzlich Gutes doch auch kritisieren darf.