In Zürich an der Langstrasse: Der alte Bäckermeister Zürrer hat drei erwachsene Kinder: Richard, sein ganzer Stolz, ist Geschäftsmann (allerdings entgegen seines Vaters Wissen kein besonders erfolgreicher, so dass er sich mit bloss halblegalen Geschäften über Wasser halten muss), Trudi hat nie geheiratet und sich stattdessen nach dem Tod der Mutter um ihren kleinen Bruder Heini gekümmert. Dieser steht mit seinem Vater auf Kriegsfuss, träumt er doch von einer Karriere als Radrennfahrer und hat ausgerechnet mit Gina Pizzani, der Tochter des italienischen Nachbarn, angebändelt. Gegen das Versprechen, sich mit dieser nicht mehr zu treffen, kriegt er vom Bäckermeister aber schliesslich doch noch das lang erwünschte Fahrrad bezahlt.
Doch der Frieden hält nicht lange vor: Gina ist schwanger. Der Bäckermeister wirft seinen Sohn daraufhin aus dem Hause und bleibt selbst der Hochzeit fern; Heini findet bei den Pizzanis Unterschlupf. Inzwischen wechselt Zürrers Mitarbeiter Berger (der sich eben seinem Sohn zuliebe eines Besseren besonnen und sowohl seine Arbeit als Schlagzeuger als auch die Affäre mit einer sündigen deutschen Sängerin aufgegeben hat) zu einer erfolgreicheren Bäckerei, Trudi hat sich in einen Westschweizer verliebt und zieht mit ihm nach Yverdon; Richard hat sich hoch verschuldet, stiehlt Geld von seinem Vater, um seine Geschäfte zu retten, und ist schliesslich doch ruiniert. Verlassen und am Boden zerstört lässt Zürrer seine Bäckerei verkommen und mietet sich in eine Pension am Stadtrand ein.
Durch eine List Ginas lässt Heini sich dazu überreden, seine Radfahrer-Karriere an den Nagel zu hängen und die Bäckerei wieder auf Vordermann zu bringen. Der Laden floriert, doch der alte Zürrer, rasend vor Wut, verspricht das Gebäude einem Architekten, der es abreissen will…
Kurt Früh (POLIZISCHT WÄCKERLI, HINTER DEN SIEBEN GLEISEN, DÄLLEBACH KARI) konnte diesen Film ganz seinen Vorstellungen entsprechend verwirklichen und schuf in Ahnlehnung an den italienischen Neorealismus, ohne aber vor Dramatisierungen zurückzuschrecken, ein grossartiges Meisterwerk des Schweizer Films, das zu seiner Zeit grosse Erfolge feierte, bis nach Japan verkauft wurde und auch heute noch ordentlich was hermacht.
Langeweile stellt sich so schnell nicht ein: Neben den verschiedenen Handlungssträngen sorgt ein steter Wandel von Melodrama zu Komik und wieder zurück für eine Menge Abwechslung. Es geht hier hoch zu und her, was oft etwas von einer (komprimierten) Soap Opera hat, aber halt eben auch ungeheuer packend und unterhaltsam ist.
Angelpunkt des Ganzen ist der alte Bäckermeister, ein engstirniger, hartherziger Patriarch, verhaftet in längst vergangenen Wertvorstellungen (wo der Familienvater noch die unumschränkte Autoritätsperson ist), Rassist (eine Anfreundung mit dem italienische Marronibrater liegt unter keinen Umständen drin) und Sexist (die schwangere Gina ist nichts anderes als ein Luder, das seinen Sohn verführt hat). Für die Wünsche und Gefühle seiner Kinder ist er blind, verhalten sie sich nicht so, wie von ihm erwünscht, sind sie nicht mehr willkommen. Dargestellt wird diese personifizierte, äusserst gallige Kritik an veralteten, verkrusteten Strukturen und Werten auf geniale Art und Weise von Emil Hegetschweiler (DAS GESPENSTERHAUS; ULI, DER KNECHT; ULI, DER PÄCHTER). Den Alten muss man einfach gesehen haben.
Sein Sohn Heini (Peter Brogle, siehe in POLIZISCHT WÄCKERLI, ANNE BÄBI JOWÄGER oder Werner Herzogs LEBENSZEICHEN) verkörpert das genaue Gegenteil: Er hört Jazz, ist eben Radrenn-Fan und lässt sich mit Ausländern ein. Kein Wunder, dass er seinem Vater schliesslich den Stinkefinger zeigt (sozusagen). Gina (Ursula Kopp) ist ein nettes Mädel (allerdings hätte ihr Charakter durchaus etwas weniger wehleidig und „fraulich“ geschrieben sein dürfen), eine voll integrierte Ausländerin der zweiten Generation, die von den Alteingesessenen aber immer noch schräg angeguckt wird. Diese Ausländerproblematik (zu der Zeit lebten ca. eine halbe Million Fremdarbeiter in der Schweiz, die nicht nur herzlich aufgenommen wurde) zeigt sich ebenso an Vater Renzo (Ettore Cella, zu sehen in CAFÉ ODEON, DIE PLÖTZLICHE EINSAMKEIT DES KONRAD STEINER oder vor seinem Tod 2004 noch in STERNENBERG) und seiner Frau. Ironischerweise bieten gerade diese Fremdarbeiter eine intakte Familie und sind fähig zu bedingungsloser Liebe und Toleranz (und sind auch für die lustigsten Szenen verantwortlich), was den zerstrittenen Schweizern völlig abgeht.
Von seinem Vater ins Unglück getrieben sieht sich auch Richard (Walter Morath), der eigentlich bloss ein Mechaniker werden wollte, aber zu einem Medizinstudium gedrängt wurde und nach Abbruch des Studiums als erfolgloser Geschäftsmann endete. Trudi (Margrit Winter aus MARIE-LOUISE, ANNE BÄBI JOWÄGER oder DÄLLEBACH KARI) wird vom Alten schlicht nicht beachtet und hat folglich wenig Skrupel, zu verschwinden, als sie ihre grosse Liebe trifft.
In einer weiteren Nebenhandlung geht es um die Bergers: Der Vater (Fred Tanner; HINTER DEN SIEBEN GLEISEN, ANNE BÄBI JOWÄGER) gibt seinen Beruf als Bäcker auf, um sich mehr schlecht als recht als Schlagzeuger durchzuschlagen. Nachdem sein Sohn Fredi ihn dabei erwischt, wie er mit der deutschen Sängerin (die hier übrigens einen ganz formidablen, hübsch schmissigen Song zum Besten gibt!) schäkert, zerstört er das väterliche Instrument. Berger sieht seinen Fehler ein: Er lässt das Musikerleben sein, um wieder einer handfesten, anständigen Arbeit nachzugehen.
Dieser eher konservative Unterton scheint auch dann auf, wenn Heini seine Träumereien vom Radrennfahren aufgibt, um die Bäckerei zu übernehmen: Er und Berger mögen vielleicht rebellieren, aber schlussendlich werden sie doch angesehene, funktionierende Mitglieder der Gesellschaft. Und pünktlich zur Weihnachtszeit setzt auch beim alten Zürrer ein Läuterungsprozess ein, so dass der erlösenden Versöhnung nichts im Wege steht. Anders sieht’s dann allerdings für die drei Bettler aus, die erst als lustige Gesellen eingeführt werden, jedoch in ihrer Einsamkeit schlussendlich ein erbarmungswürdiges Bild abgeben. Für die randständigen Mitglieder der Gesellschaft gibt’s kein Happy End.
Abwechslung auch im Stil: Auf eher dokumentarisch angehauchte Szenen (teilweise wurde auf der Strasse mit versteckter Kamera gedreht) folgen stark dramatisierte (besonders beliebt plötzliche Grossaufnahmen, meist noch mit schnellem Zoom, mit einem Anheben der Musik). Teils gibt’s gewitzte Szenenübergänge (z.B. von der Kirchenorgel während der Trauung zur Spielorgel auf dem Jahrmarkt, wo die Hochzeitsgesellschaft im Nachhinein feiert – richtige Flitterwochen kann man sich natürlich nicht leisten) und einige geradezu expressionistische Einsprengsel bleiben ebenfalls im Gedächtnis (wenn z.B. der sich in seinem Elend betrinkende Zürrer die Welt verzerrt und beängstigend wahrnimmt). Die Musik von Walter Baumgartner (POLIZISCHT WÄCKERLI, HINTER DEN SIEBEN GLEISEN; ICH, EIN GROUPIE; BLUTJUNGE MASSEUSEN, LIEBESBRIEFE EINER PORTUGIESISCHEN NONNE) passt sich dem Auf und Ab an, ist oft hübsch melodramatisch, geht manchmal aber auch zu Herzen.
Fazit: Ein Film, der das Schweizer Kleinbürgermilieu sehr kritisch beäugt und ziemlich bitter werden kann (anscheinend aber auch ein bisschen vor dem eigenen Mut zurückschreckt), aber auch eine Menge Humor (und etwas Romantik) zu bieten hat und stilistisch hervorragend umgesetzt ist. Wird verdientermassen als Meilenstein der Schweizer Filmgeschichte gehandelt.