Review

In der Hochzeit der Studenten-Unruhen und des politischen Aufbegehrens gedrehter Fernsehfilm, der sowohl gekonnt, als auch perfide dokumentisches Material, dokumentarisch erscheinendes Material und klares Schauspiel miteinander mischt. Gekonnt, weil die Collage der Materialien funktioniert, perfide, weil die so gemischten Materialien manipulativ und teils verfremdende Effekte haben.
Erzählt wird die fiktive Biographie des Universitätsprofessors Freudenberg, der in den 1950er Jahre nach jahrelanger Emigration nach Berlin an die Freie Universität zurückkehrt, um dort zu lehren. Im Zuge des aufkommenden Nationalsozialismus war er damals nach Amerika gegangen.
Die sich verschärfenden Studenten-Unruhen und der Umstrukturierungsdrang der Studierenden führen langsam aber sicher zu einer Lahmlegung des universitären Betriebes. Auch wohlgesonnene Lehrkräfte sehen sich zunehmend den verschiedenen Kräften in der Studentenschaft ausgeliefert, deren Ziele wirr und konturlos erscheinen. Es wird debattiert und diskutiert, gestritten, nicht zugehört, polemisiert, politisiert, agitiert. Interessanterweise überfordert der Film den Zuschauer mit eben jenen Diskursen, die eigentlich keine sind. Es wird gesprochen, aber die Worte geben nicht den Inhalt wieder, um den es eigentlich geht.
Die Diskussionen im Rahmen der Lehrenden zeigen die Facetten der Deutung der Studentenunruhen - während einige Professoren Sympathien für die Anliegen der Studentenschaft haben, sehen sich andere einer "linksfaschistischen" Radikalisierung ausgesetzt.
Professor Freudenberg muss eine Entscheidung für sich selbst fällen...

Zunächstmal: Den Film mittels Kriterien der Unhaltsamkeit zu bewerten, läuft seinem vermuteten Anliegen entgegen.
Man mag sich gar nicht vorstellen, wir der Film auf das Fernsehpublikum 1969 gewirkt haben mag. Endlos wird geredet, ohne das eine klare Linie erkennbar wird, was eigentlich das Ziel der Diskussionen sein soll. Und genauso ziellos erscheint auch der Film zunächst.
Er zelebriert die Ambivalenz und ist bemüht, ein Bild der Stimmungslage zu zeichnen, in der das Wort seiner Bedeutung enthoben wird.
Der Film mag in seiner Grundausrichtung konservativ erscheinen, aber gerade die Ambivalenz, mit der hier eigentlich kein richtiger Sympathieträger stilisiert wird, macht ihn in seiner "Aussage" (nämlich eigentlich keine zu haben) so interessant.

Viel mehr als inhaltlich aber ist die formale Seite des Films hochgradig spannend für alle, die sich für das Spannungsfeld von dokumentarischem und fiktionalem Filmemachen interessieren.

ALMA MATA übt Kritik an einseitiger Medien-Berichterstattung in dem er im Pro- und Epilog stellvertretend einen Lehrbeauftragten zu Wort kommen lässt, der bewußt gegenüber dem Fernsehen nichts sagen will, weil das ja eh aus dem Zusammenhang gerissen und verbogen würde.
Und eben jenes "reißen" und "verbiegen" leistet ALMA MATA in Reinkultur.
Texteinblendungen von Texten von Studenten-Plakaten kontrastieren die Bilder. Originaltöne aus Diskussionen werden inszenierten Bildern unterlegt - Bezüge zu fiktionalen Personen hergestellt.
Gerade die Diskussionen wirken über die Maßen authentisch, weil hier extrem sorgsam auf viele unbedeutend erscheinende Details geachtet wurde, die eine ungeheure Dynamik entwickeln, der man sich schlecht entziehen kann.
Speziell auch die krasse und zunächst verstörenden Kontrastierung der real wirkenden Szenen mit den Studierenden im Gegensatz zu den steif und "gespielt" wirkenden Szenen in der Lehrerschaft wirken nach.
Auch das verstärkt die Ambivalenz nur noch. Die einen "spielen", während die anderen in der Realität verhaftet scheinen.
Zu sagen haben beide eigentlich nichts.
Die Sprache als Kommunikationsmittel taugt nichts mehr, weil sie ihren Kontext verloren hat. Gemeinsame Grundlagen werden erarbeitet, um im nächsten Moment wieder hinterfragt und ausgelöst zu werden.

ALMA MATA ist ein schwer konsumierbares Medienereignis mit vielfachen Ausdeutungsmöglichkeiten. Hier gibt es keine einfachen Antworten - keine klare Einteilung nach Gut und Böse oder Positionsfindung, was nun richtig oder falsch sei.
Er zeigt eine Situation, die ausser Kontrolle gerät und letztlich die Grundlage für eine Radikalisierung innerhalb der Studierenden bildet.

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