Kurz, heftig, schmerzhaft - auf ein beeindruckend intensives Erlebnis kann sich der Zuschauer in "Camping Savage" einstellen. In nur knapp 75 Minuten präsentiert das Regieduo Christophe Ali und Nicolas Bonilauri die Amour Fou zwischen der jungen Camille (Isild Le Besco) und dem mehr als doppelt so alten Außenseiter Blaise (Denis Lavant). Bisweilen wird "Camping Sauvage" als moderne Variante von "Romeo und Julia" bezeichnet, wofür genau genommen jedoch nicht allzu viele Merkmale sprechen. Dafür ist allein die Ausgangssituation und Figurenkonstellation schlicht zu wenig vergleichbar und es mangelt auch anderen wesentlichen Aspekten einfach an Kongruenz.
Das emotional sehr aufgeladene Szenario spielt sich überwiegend auf dem überschaubaren Terrain eines Campingplatzes ab, das Setting weicht nur in wenigen Szenen aus, etwa auf ein Bootsdeck oder das Innere von Blaises Auto. Die erzählte Zeit dürfte nur einen sehr kurzen Zeitraum im Leben der Protagonisten abdecken (die Handlung lässt diese Frage einigermaßen offen, da nicht nicht immer klar ist, wieviel Zeit tatsächlich zwischen den einzelnen Szenen liegt). Diese Darstellung mag aber ein beabsichtigtes Stilmittel der beiden Regisseure sein, denn so kurz und heftig wie die Beziehung zwischen Camille und Blaise ist, so wird in "Camping Sauvage" auch alles andere auf den Punkt gebracht. Dabei sind die narrativen Mittel, egal ob verbal oder nonverbal, immer äußerst präzise, oft auch unerschrocken drastisch. Exemplarisch sei nur einmal auf einen nächtlichen Albtraum von Blaise verwiesen, der unter Umständen bei dem einen oder anderen Zuschauer echtes physisches Unbehagen hervorrufen könnte.
Somit wird auf unnötige Füllszenen positiverweise komplett verzichtet. Auf literarischer Ebene wäre "Camping Sauvage" ergo eine typische Kurzgeschichte, eine "Slice-of-Life" Story, der eine elementare menschliche Erfahrung, ein fundamentales und nachhaltig wirkendes Erlebnis zugrunde liegt. "Camping Sauvage" ist daher zumindest für die Protagonistin viel eher eine klassische Coming-of-Age Story als eine tragische Liebesgeschichte á la "Romeo und Julia".
Aber nicht nur dramaturgisch ist "Camping Sauvage" eine ziemlich runde Sache. Was letzlich der Inszenierung das wilde Leben einhaucht sind die tadellosen Leistungen des Ensembles. Dies gilt zwar gerade auch für den Anteil den die Nebenrollen an der Geschichte haben, in erster Linie jedoch ist es die Chemie zwischen Isild Le Besco und Denis Lavant. Isild Le Besco liefert hier als schätzungsweise 22-jährige die Darstellung einer pubertierenden Teenagerin ab, wie sie auch eine Actrice in eben diesem Lebensalter kaum überzeugender hinbekommen hätte. Ihre Performance ist so gesehen die perfekte Definition für diesen Lebensabschnitt, die Visualisierung der Sichtweise und der Emotionen einer Jugendlichen, die sich naturgemäß plötzlich wie eine Außenseiterin fühlen muss - und bisweilen auch so fühlen möchte.
Leider führt die Abgrenzung gegenüber ihrer bislang vertrauten, heilen Welt idealerweise nicht zu einer Identitätsfindung und damit einer Stabilisierung ihrer Persönlichkeit. Denn durch die verhängnisvolle Liebesbeziehung zu Blaise - umständehalber ebenso ein Außenseiter innerhalb der gegenwärtigen Schicksalsgemeinschaft - bleibt es für Camille nicht beim Sammeln von körperlichen oder emotionalen Erfahrungen. Für gewöhnlich ist es Lebenserfahrung, welche als grundsätzlich positives Ergebnis aus der Überwindung einer Krise resultiert. Nicht so in "Camping Sauvage", wo die wechselseitige Reibung für alle Beteiligten in der Katastrophe mündet.
Allein diese Entwicklung könnte man "Camping Sauvage" am Ende ein wenig ankreiden, da der Ausgang der Geschichte manchem Zuschauer ein wenig erklärungsbedürftig erscheinen mag. Unlogisch ist dabei jedoch lediglich der mögliche Versuch des Publikums, nach rationalen Erklärungen für die Handlungen von Menschen zu suchen, die aufgrund ihrer Gefühle längst nicht mehr rational denken.