Filmdokumentationen sind schwer zu bewertende Objekte in Zeiten, wo derlei in kurzer Featurette und Making-Of-Funktion wie Wegwerfprodukte auf jede Kauf-DVD mitgepreßt werden, so daß man hinreichend über die Machart und Produktion informiert ist. Daher ist es schon lohnenswerter, wenn man Filmemacher, Schauspieler oder Genres einer spezielleren Untersuchung unterzieht, auf zeitgeschichtliche, soziokulturelle oder politische Aspekte hin abklopft und einen Gesamtzusammenhang zu der Zeit herstellt, in der sie von Relevanz waren.
Sehr beliebt ist es in den letzten Jahren geworden, entsprechende literarische Werke auch noch für das Medium Film aufzuarbeiten. Filmgeschichtliche Werke werden nun schon mal in eine dem Filmfan affine Form gepreßt, damit man nicht selbst zum Buch greifen muß, aber meistens leidet darunter arg die Substanz, wie z.B. geschehen mit "Easy Riders, Raging Bulls", eine viel zu verknappte und oberflächliche Bildbetrachtung mit Voice-Over, die in gerade mal 90 Minuten einer ganzen Filmepoche (das "New Hollywood" von 1967-1980) nicht im geringsten gerecht werden konnte.
Ein ähnliches Schicksal hat jetzt das Buch "Mitternachtskino" von Jonathan Rosenbaum und J.Hoberman erfahren, deren sagenhaft gut recherchiertes und mehr als umfassend informierendes Manuskript über die Kultur der sogenannten speziellen "Mitternachtsvorstellungen" in den US-Kinos, vom surrealen Experimentalfilm über die gesellschaftlich, religiös oder geschmacklich schockierenden Reißer bis hin zu den Nischenfilmen für spezielle Naturen, ein Juwel für jeden filminteressierten Sammler darstellt, der sich nicht nur Bilder anschauen will, sondern an Motiven, Hintergründen, Zusammenhängen und Personen interessiert ist.
Das Buch bereitet eine vergangene Zeit auf, die von 1960-1980, ehe das Aufkommen von "home video" und Videotheken einen Besuch in den "midnight movies" nicht mehr nötig machte - man konnte sich irgendwann all das aufsehenerregende Zeug still im eigenen Kämmerlein zu Gemüte führen und im Kino auf die Blockbuster der 80er zurückgreifen.
Währen die Autoren im Buch jedoch die Wurzeln und Anfänge zu einen steten Fluß mit politischen und kulturellen Hintergründen verdichten, der folgerichtig erscheint (obwohl kapitelhaft schon individuell voneinander getrennt), simplifiziert der Film leider den großen Gesamtzusammenhang, indem er exemplarisch auf sechs spezielle Filme eingeht, die zeitlich chronologisch aufbereitet nacheinander besprochen werden, wobei man individuell auf die Motive und die Zielgruppen (bzw. das Publikum, das zufällig von den Filmen angesprochen wurde) einzugehen versucht.
So krallt sich die Doku ins Offensichtliche: "The Rocky Horror Picture Show", "Night of the Living Dead", "Eraserhead", "El Topo", die üblichen Verdächtigen, ergänzt durch einen John-Waters Film, in diesem Fall "Pink Flamingos" und das zwar ungewöhnliche, aber an sich nicht so turmhoch herausragende jamaikanische Gangsterfilmchen "The Harder they come".
An sich ist das nicht die schlechteste Vorgehensweise, denn die Komplexität des Themas würde eher nach einer mehrteiligen Mini-Serie verlangen, als nach einem einzelnen Projekt in normaler Spielfilmlänge. Um dem Publikum einen generellen Eindruck zu verschaffen, eine gewisse Übersicht über den zeitlichen Ablauf dieses cineastischen Phänomens, funktioniert diese Aufteilung in der Theorie sogar ausgesprochen gut. Also widmet man sich bei Jodorowskys "El Topo" den Anfängen und den religionskritischen Aspekten; bei "Pink Flamingos" den Angriffen auf den guten Geschmack; bei "The Harder they come" den Auswirkungen auf Musikrichtungen; bei "Night of the Living Dead" den politischen Implikationen der Flowerpower- und Nixon-Periode mit dem generellen Mißtrauen gegen den Staat und den Echos des Vietnamkriegs, bei "Rocky Horror" dem Kult der sexuellen Erfüllung und des Auslebens (und dem Kult an sich) und bei "Eraserhead" dann der totalen Fremdartigkeit und der totalen Beunruhigung eines Films, der mal keine Zielgruppe hatte.
Doch da ist noch das Problem der Umsetzung: kapitelweise wird man hier nun mit einem Szenenfestival in Stakkatofrequenz bombardiert, der wohl das Happeningfeeling des Skandalösen aus der Vergangenheit in die Gegenwart retten soll. Zwar hat man die meisten Regisseure, Experten, Verantwortlichen, Kinobetreiber, Journalisten und ein paar Schauspieler (inclusive der Autoren und des Midnight-Movie-Kinokönigs Ben Barenholtz) ins Studio geholt, aber die Interview- bzw. Zitatfetzen, die sie beisteuern, sind oft so gedrängt und kurz, daß man nie zur nötigen Ruhe kommt, sich ausgiebig dem Sujet zu widmen. Der Hauch des Sensationellen umweht so die Abschnitte, aber die vielen Doku-Schnipsel und Filmausschnitte kommen in rascher Folge hintereinander, zwischendurch unterbrochen oft durch kurze Aussagen von so vielen Leuten, daß es schon schwierig ist, den wirklichen Gehalt und die Tiefe des Geschehenen zu erfassen, wenn man das Buch nicht kennt. Kennt man zudem auch noch die Filme nicht, wird es wirklich eher bizarr und holprig.
Man kann sich trotzdem an dieser knallig-bunten Collage erfreuen, die jedoch im MTV-Generations-Stil angelegt ist, ständig schauen bekannte Gesichter vom Bildschirm, vor typischen MTV-Hintergründen mit krachigen Filmplakaten und Szenenfotos, aber das Atemlose läßt sich nicht abstellen. Mitternachtsfilme waren und sind ein Thema aus einer vergangenen Epoche, die man langsam erfühlen muß, anhand der exemplarischen Einteilungen schneiden die Macher zwar so ziemlich alles an, aber nur wenig sättigt davon wirklich - das Gefühl des "Mehr-Sehens-Wollens" bleibt hartnäckig. Natürlich kann man so das Fiebrige, das Revolutionäre noch einmal beschwören, aber die Kraft, die die Beschreibungen und Erzählungen auslösen könnten, wären in ruhigen Bildern und einer nicht nur aus endlosen O-Tönen bestehenden Narration besser aufgehoben gewesen. Wie überhaupt das alles sehr führungslos und chaotisch wirkt.
Für einen generellen Einblick, einen informellen Rundumschlag genügt das sicherlich, wer überhaupt mal reinschnuppern möchte, kann sich hier ganz gut den Mund wässrig machen, aber das beißend interessante Thema mit einer Art hastigem Best-Of abzuspeisen, kann man maximal als Empfehlung nehmen, sich irgendwoher eine Kopie des Buches zu besorgen (das es übrigens auch auf deutsch gibt).
Ein wenig zuviel Form über Inhalt, aber für junge Gemüter sicherlich annehmbar wild und hinreichend erhellend. (6/10)