In den 70ern boomte im Mainstream-Hollywood der Katastrophenfilm: Kein Hochhaus, Flugzeug, Schiff oder gleich eine ganze Stadt, die nicht durch technisches und menschliches Versagen oder Naturkatastrophen hätten zerstört werden können. Das Prinzip blieb dabei im Großen und Ganzen stets sehr ähnlich: Eine Truppe bunt zusammengewürfelter Menschen, meist mit schwierigen Einzelschicksalen, kämpft verzweifelt ums Überleben und wächst über sich hinaus. In diese ausufernde Gruppe reiht sich auch der Streifen „Erdbeben" ein, der Los Angeles durch ein gewaltiges Beben dem Erdboden gleich macht und eine Handvoll Überlebender auf ihren gefahrvollen Wegen begleitet - und der, wenn schon nicht zu den besten, dann auf jeden Fall zu den aufwändigeren Beiträgen jener Epoche gehört.
Schon die Besetzung kann sich sehen lassen: Charlton Heston, der in den 70ern seine große Zeit hatte, kämpft an vorderster Front um sein eigenes und das Leben vieler Mitmenschen. Auch dabei: Ava Gardner, George Kennedy und Richard Roundtree. Sie spielen nur einige der insgesamt knapp zehn zentralen Personen, die an verschiedenen Orten der Millionenmetropole von dem Beben erschüttert und den daran anschließenden Katastrophen - einstürzenden Häusern, Panik, Feuer, Wassermassen - gebeutelt werden. Manche der Figuren begegnen sich im ganzen Film überhaupt nicht, was dem Ganzen einen durchaus realistischen Anstrich verleiht - hier wird ein Panoptikum an verschiedenen Menschen und Situationen gezeigt, die von dem Ereignis betroffen sind, von Polizisten, Motorradfahrern, Militärs bis hin zu Geologen, die das Beben vorausgeahnt haben (und deren Warnungen natürlich zu lange ignoriert wurden).
Diese leicht episodenhafte Inszenierung gehört zu den erzählerischen Stärken von „Erdbeben", ebenso wie einige überraschende Wendungen, etwa der Nationalgardist, der sich als psychotischer Stalker und eiskalter Mörder mit Machtfantasien entpuppt. Mit ihm werden hier auch einige der düsteren menschlichen Seiten solcher Katastrophen thematisiert - Plünderungen, Überfälle und Gewalt werden zumindest angedeutet. Auch gibt es neben den strahlenden Helden immer wieder egoistische oder feige Agierende, was zum Kaleidoskopartigen der Geschichte beiträgt.
Daneben gehört natürlich die Erdbebensequenz selbst zu den absoluten Höhepunkten des Films. Mit viel Materialaufwand wird hier die schreckliche Zerstörung der Stadt in beeindruckende Bilder getaucht. Herabstürzende Haustrümmer, ganze Wohnhäuser, die Hänge hinabrauschen, panische Menschenmassen, Blut, Staub und zerstörte Straßenzüge ergeben ein teils schockierendes und überraschend brutales Bild der Katastrophe. Und spätere Sequenzen wie die Rettung von Eingeschlossenen aus einem unterirdischen Parkhaus fallen immer wieder spannend und intensiv aus. Vor allem aber das Geschehen rund um einen Staudamm gefällt durch seine ruhige und recht realistisch wirkende Darstellung. Mit solchen Sequenzen kann „Erdbeben" immer wieder packen.
Leider schafft er es aber nicht, dieses Niveau durchgehend zu halten. Erst einmal dauert es viel zu lange, bis etwas geschieht: Wenn nach knapp 50 Minuten das Beben startet, fühlt man sich als Zuschauer regelrecht erlöst. Eher bescheidene Darstellerleistungen, schwache und belanglose Dialoge, reichlich Klischees und dünn charakterisierte Figuren machen die Zeit bis dahin ein wenig langweilig. Auch gibt es neben den gelungenen Sequenzen immer wieder Szenen, die nicht funktionieren (die geradezu peinliche Darstellung eines abstürzenden Fahrstuhls!), weil sie in sich unlogisch sind oder viel zu knapp erzählt werden. Manche Erzählstränge versanden auch einfach im Nichts - Roundtree etwa wird so betont als Stuntfahrer aufgebaut, dass man die ganze Zeit mit einer Heldentat von ihm und seinem Motorrad rechnet. Dann fährt er nach dem Beben los - und taucht nie wieder auf. Als hätte man ihn einfach vergessen. Solche Storyschwächen erstaunen umso mehr bei einem Drehbuch, an dem „Der Pate"-Autor Mario Puzo beteiligt war. Dazu passt dann auch das erstaunlich abrupte und vieles offen lassende Ende. Dramaturgisch fällt hier einiges aus dem Rahmen, und viele Figurenkonflikte sind zu klischeehaft und oberflächlich, um wirklich zu fesseln.
Für Freunde des klassischen Katastrophenfilms kann „Erdbeben" nichtsdestotrotz einiges bieten, ist er doch geradezu ein Paradebeispiel für dieses Genre. Wer Storyunebenheiten, Unglaubwürdigkeiten und manch eine seltsame Szene verwinden kann, wird hier auf jeden Fall gut unterhalten.