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Sie haben Angst. Angst vor der Wahrheit, von der jeder von ihnen nur einen kleinen Teil kennt. Und sie würden gerne verhindern, das die Puzzleteile zusammengefügt werden. Doch die alte Frau, die ihnen gegenüber sitzt und ihr Sohn haben sie zu einem spiritistischen Spiel überredet. Die Geister der Toten sollen durch die alte Dame sprechen und die Wahrheit ans Licht bringen…

Während Antonio Margheritis „Sieben Jungfrauen für den Teufel“ eindeutig ein Ableger der deutschen Edgar Wallace-Filme war (aber eine italienische Produktion) versteckt sich hinter dem Titel seines nachfolgenden Filmes trotz der passenden Besetzung und der passenden Produktionsgeschichte ein Film, der weder dem Giallo-Genre zuzuordnen, noch als Edgar Wallace-Epigone bezeichnet werden kann (Auch wenn er anfänglich als solche erscheint).

„Contronatura“ stellt beinahe schon so etwas wie ein Experiment dar. Denn hier ist tatsächlich ein Crossover von Edgar Wallace-Film, Okkultismus- und Gothic-Horror sowie moritatenhaftem Krimi gelungen, das eine Zuordnung zu einem dieser Bereiche durch eine überaus geschickte Verknüpfung derselbigen unmöglich macht. Und all diese Untergenres in einem Film abgedeckt zu sehen dürfte wohl trotz der ungeheuren Menge an Kriminalfilmen, die zu diesem Zeitpunkt in Deutschland und Italien, bzw. wie in diesem Fall in deren Koproduktion entstanden sind, einmalig sein.

Das Verblüffende ist, dass Margheriti mit diesem Konzept einen Volltreffer und kein Trash-Feuerwerk gelandet hat (denn das ist das übliche Schicksal von Filmen, die zu vieles auf einmal sein wollen). Es wirkt zwar zu Beginn befremdlich, doch wenn man sich erst einmal auf diesen eigenwilligen Film eingelassen hat, folgt man ihm gefesselt und erwartet jede neue Wendung mit Ungeduld.

Besonders erfrischend fällt das ausgiebige Spiel mit Schein und sein und in diesem Zusammenhang auch mit den Typen, die man von den agierenden Darstellern gewohnt ist, auf. Dies gilt für die deutsche Besetzung mit Marianne Koch (stets die nette, unkomplizierte Heldin, hier die lesbische und zerütteteVivian, die weit mehr zu verstecken hat als es scheint) und Joachim Fuchsberger (Muss ich noch etwas zu ihm sagen???) wie für die italienische Seite mit Luciano Pigozzi (dem italienischen Peter Lorre), dessen Kreditierung auf verschlagene Charaktere sich Regisseur Margheriti zunutze macht. Die Besetzung ist hier aber nicht der eigentliche Grund des Lobes (obwohl sie wirklich ein Traum ist!), vielmehr zieht die Regie dem Zuschauer genüsslich den Boden unter den Füßen weg. Je mehr von der Wahrheit ans Licht kommt, desto weniger Sympathieträger bleiben dem Publikum. Jeder hat Dreck aus seiner Vergangenheit am Stecken, und jede dieser Taten oder Schulden wird aufgedeckt. Das Drehbuch lässt kein gutes Haar an seinen Protagonisten und das Fehlen von Helden und krampfhaft „positiven“ Charakteren ist geradezu erstaunlich (für diese Zeit) und erinnert an den Film noir.

Auch die Erzählweise ist interessant. Die eigentliche Handlung spielt sich nur auf kleinem Raum ab, fast wie in einem Kammerspiel und man fühlt sich angesichts des Schauplatzes und der Situation permanent an Agatha Christies ausgezeichneten Roman „And then there were none“ erinnert, beinahe müsste man „Contronatura“ schon als Verfilmung desselbigen werten. Zwischen die Aufnahmen der „Hauptbühne“, also der spiritistischen Seancé werden die Ereignisse in Rückblenden von den einzelnen Personen nochmals ins Gedächtnis gerufen und jeder gibt dabei seine persönliche Betrachtungsweise ab (Rashomon?). Das hier über diesen Erinnerungen die berichtende Off-Stimme der jeweiligen Person liegt verwundert zunächst auch, ist dies doch auch eine Ausnahme. Dank den verklärt-bunten Bildern der Vergangenheit und der düsteren und kalten Stimmung, die über der Seance liegt, wird der Zuschauer noch weiter manipuliert. Und die letztendliche Auflösung ist auch sehr gelungen denn selbstverständlich werden einmal mehr sämtliche Theorien die man sich als Zuschauer gebildet hatte, über den Haufen geworfen. Nicht zuletzt auch der Verdienst der bereits erwähnten wundervollen deutsch-italienischen Starbesetzung die alle ihre persönlichen Klischees nutzen und ihnen anschließend entfliehen und dadurch zu Höchstleistungen angetrieben werden.

Contronatura“ („Schreie in der Nacht“) funktioniert abseits jeglicher Vergleiche und vergeblicher Versuche, ihn in irgendeine der oben genannten Schubladen stecken zu wollen, als völlig eigenständiges und gelungenes Experiment. Ein spannender, atmosphärisch wie technisch dichter und makelloser Krimi mit Gruseleinlagen, der mit der Erwartungshaltung des Zuschauers spielt und seine Protagonisten mit löblicher Konsequenz zu Antihelden macht. Ich hoffe auf eine qualitativ ordentliche DVD-Veröffentlichung...

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