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KOPIE EINER KOPIE DER WIRKLICHKEIT

Philip K. Dick gehört zu den interessantesten amerikanischen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts, aber wegen seiner Genrearbeit im Bereich Science-Fiction fällt es Vielen immernoch leicht ihn als ernstzunehmenden Autor zu ignorieren. Ein Problem des selbstverliebten Bildungsbürgertums.

Dabei ist Dick auch innerhalb des Genres einer der interessantesten Schriftsteller: seine Science-Fiction benötigt keine Sternenkriege, keine Million Lichtjahre Entfernung, keine extraterrestrische Schreckensmonster - seine Visionen spielen in naher Zukunft, entwickeln Tendenzen unserer Gegenwart bloß ein paar Schritte weiter und der Schrecken stammt aus der Mitte der Menschheit selbst. Philip K. Dicks Science-Fiction ist gesellschafts-philosophische Psycho-Science-Fiction und dies zeichnet auch die bekannten Verfilmungen nach seinen Geschichten aus.

"Blade Runner", "Total Recall", "Minority Report", "Paycheck" (und andere) konstruieren Bilder einer Gesellschaft, die unseren Weg des Kapitalismus und der Überwachung ein paar Jahrzehnte weitergegangen ist. Dabei interessiert Dick vor allem der Mensch selbst, das Individuum mit seinem biochemischen neuronalen Haushalt und die Konflikte, die zwischen ihm und dieser Gesellschaft entstehen. Auffällig auch, dass die Außenseiter, die Freaks und Behinderten immer wieder auftauchen, um eine ganz andere Rolle zu spielen als das erwartete Klischee vom Unvollkommenen.

"A Scanner Darkly" gehört zu seinen wichtigsten Romanen und die Verfilmung geht ebenso ungewohnte Wege, wie der Autor, indem sich Regisseur Richard Linklater ("Dazed and Confused", "Before Sunrise", "Suburbia") für eine Animationstechnik entschied, mithilfe derer er bereits seinen erkenntnistheoretischen Film "Waking Life" gestaltet hat. Rotoskopie nennt sich das Verfahren, bei dem mit Schauspielern gedrehtes Filmmaterial per Projektion oder mittlerweile am Computer nachgezeichnet wird. Prominente Beispiele dieser (im Gegensatz zum 3-D motion capturing) zweidimensionalen Technik sind "Walt Disneys Schneewittchen" (1937), Bakshis "Der Herr der Ringe" (1978), Lisbergers "Tron" (1982) oder auch die Laserschwerter aus den alten "Star Wars"-Filmen. Anders als die angeführten Beispiele sind Linklaters Rotoskopie-Filme komplett in dieser Weise gefilmt und bearbeitet und damit wichtige Vertreter des Animations-Genres. In "Waking Life" ermöglichte diese Gestaltung verschiedenen Animatoren mit verschiedensten Stilen ausufernde Experimente, die die ohnehin in diesem Film fragwürdige Realität unmöglich metareal erscheinen ließen.

Die Darstellung in "A Scanner Darkly" ist hingegen einheitlicher gestaltet, die zeichnerischen special-effects halten sich in Grenzen (am wichtigsten für die Umsetzung des Romans ist hierbei der scramble suit - ein Anzug, der sich in sekundenschnelle durch ein Wirrwar von unterschiedlichsten Physiognomien und Kleidungen morpht, um die Identität des Trägers zu verstecken). Viele Einstellungen sind photorealistisch zu nennen, wobei man sich bereits die Frage stellen kann, warum Linklater diesen Film unbedingt animieren musste. Es handelt sich um Animationstechnik in Vollendung, aber zumal konventionell hergestelltes Bildmaterial zugrundeliegt entfernt sich die Darstellung oft zu wenig von realer Photographie. Die erzählerischen Möglichkeiten, die sich für "Waking Life" nutzen ließen, sind bei "A Scanner Darkly" nicht vorhanden - zumindest nicht mehr als bei anderen Zukunfts- und Identitäts-Thrillern. Wäre der Film im Realbild weniger überzeugend gewesen? Bezeichnenderweise sprechen die Animationskünstler im Making-of häufig davon, wie glücklich sie waren, wenn sie diesen oder jenen Schauspieler markant getroffen, diesen oder jenen Lichteffekt realistisch rübergebracht hatten. Es geht also um eine Kopie der Kopie der Wirklichkeit, was sich zwar inhaltlich auf die Story beziehen lässt (der drogenabhängigen Hauptfigur entgleitet die Realität zunehmend bzw. sie lebt in falschen Vorstellungen/Repräsentationen der Wirklichkeit), aber bei Weitem nicht so ergiebig ist wie die visualisierten Gedankenspiele zum Thema Bewußtsein und Realexistenz in "Waking Life".

Es gibt gute Szenen in "A Scanner Darkly", schräge Figuren und ein sozusagen schreckliches Happy-End, und dennoch weiß der Film nicht recht zu fesseln, die Dialoge sind an sich unterhaltsam aber zu einem großen Teil auch egal und austauschbar - sie führen die eigentliche Geschichte nicht weiter. Wirkliche Dramatik  weist erst der Schluß auf und damit ist der Nachgeschmack eher fad. Zu hoffen bleibt, dass Linklater, sofern er abermals animieren will, wieder zu mehr Übereinstimmung von Form und Inhalt gelangt.

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