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Einer der seltsamsten Vertreter der französischen Harten Welle, die in den 2000ern mit radikalen und tabubrechenden Horrorfilmen für Aufsehen sorgte, dürfte diese bizarre Genre-Mixtur sein: Mit Vincent Cassel als mörderischer Hinterwäldler (und in der wohl skurrilsten Mehrfachrolle seiner Karriere), einer vor grotesken Einfällen strotzenden Story und einem Hang zum wilden Durcheinanderwerfen genrebedingter Elemente hat „Sheitan“ definitiv so einige Alleinstellungsmerkmale zu bieten, auch wenn er diese nicht zu einem zusammenhängenden Ganzen zu verbinden vermag.

Einerseits glänzt der Film von Regisseur Kim Chapiron durch eben diesen Mut zum Aberwitzigen: Cassel walzt sich Overacting betreibend mit schmutziger Zahnattrappe und komischer Perücke, ganz zu schweigen von Latzhose und Gummistiefeln, durch ein ländliches Frankreich, das vor Hinterwäldler-Klischees nur so strotzt: degeneriert wirkende junge Burschen, die keinerlei Grenzen in ihrem Verhalten kennen und übergriffig und latent aggressiv ihre schrägen Ideen von Spaß vorantreiben; auf Krawall getrimmte Dorfjugend, die den Großstadtjungs schon bei der ersten Begegnung eins verpassen will; sexuell freizügige Dorfmädels, die Böses im Schilde zu führen scheinen – wer hier an „Deliverance“ denkt, ist nicht ganz so weit weg, auch wenn wie gesagt die Erwartungen an eine solche Storyline dann konsequent unterwandert werden.

Zum guten Teil versucht sich „Sheitan“ auch als böser Kommentar zum gesellschaftlichen Klima Frankreichs seiner Entstehungszeit. Die Jugendlichen, die offensichtlich aus einem Banlieue kommen, nur Drogen und Sex im Kopf haben, sich Frauen gegenüber permanent als die Bestimmer aufführen (allen voran die ungemein unsympathische Hauptfigur Bart) und bei ihrer Spritztour aufs Land nicht gerade mit Feingefühl glänzen, bieten spannende Ansätze einer düsteren Studie sozialer Randexistenzen. Besonders im Konflikt mit den Dorfbewohnenden entstehen hier überaus unangenehme Sequenzen, die mit unterschwelliger Bedrohung und nicht ganz einzuordnender Gefahr für ein zunehmendes Unwohlsein der Zuschauenden sorgen. Ganz im Sinne des Terrorfilms á la „The Texas chainsaw massacre“ gelingt es dem Film, das Publikum nachhaltig zu verunsichern und ein flaues Gefühl im Magen auszulösen.

Leider wird das dann aber im weiteren Verlauf nicht konsequent genug ausgebaut. Zwar bleibt die beklemmende Grundatmosphäre bestehen, doch inhaltlich zerfasert „Sheitan“ in zu beliebige Genre-Elemente, die nicht wirklich zu einer Einheit finden: Cassel hütet ein bizarres Geheimnis, hat irgendetwas mit einem der Jungen vor (es geht um Augen und eine wirklich hässliche Puppe, das scheint dann aber auch schon alles zu sein), die Dorfjugend nimmt sich grobe Streiche heraus, die ein bisschen schiefgehen, allerdings nicht allzu schrecklich, und wenn die Eskalation dann schließlich wirklich radikale Dimensionen annimmt, kommt das viel zu spät und viel zu plötzlich, um noch irgendwie mitreißen zu können, zumal das grausige Finale durch eine völlig sinnlose Traumsequenz unterbrochen wird. Auch auf ein, zwei krasse Geschmacklosigkeiten konnte man hier nicht verzichten, wohl um sich als würdiger Vertreter der Harten Welle zu beweisen – wirklich notwendig scheinen diese ekligen, zum Glück sehr kurzen Momente aber nicht zu sein. Und so kreist der Film weiter um sein seltsames, durch und durch unsympathisches Figurenarsenal, ergeht sich in grotesken Ideen und endet mit einem Schockfinale, das weit von seiner möglichen Intensität entfernt bleibt.

Was genau „Sheitan“ nun eigentlich erzählen will, abgesehen von einem abstoßenden Familienidyll, das wiederum ein wenig an die „Texas Chainsaw“-Family erinnert, erschließt sich nicht wirklich. Auch ob die grotesk überhöhten Klischees in Bezug auf seltsame Hinterwäldler etwa als Parodie gedacht sind, wird nicht ganz deutlich. Irgendwie bleibt der Film die ganze Zeit in einem seltsamen Niemandsland zwischen finsterem Psycho-Schocker und schräger Groteske stecken, am Ende noch mit einigen unnötigen und auch nicht gerade fesselnden Slasher-Momenten versehen. Was ein Charakterdarsteller vom Format Vincent Cassels in so einem Machwerk zu suchen hat, bleibt also noch die spannendste Frage.

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