Review

 3 Sat titelt: „Drama im Bankermilieu“ (ACHTUNG: SPOILER!)

Ein weiterer Beitrag zum Genre: „Schattenseiten im Leben der Erfolgreichen“. Unweigerlich fallen mir da DEUTSCHE Beispielfilme ein, wie EIN FLIEHENDES PFERD oder SILBERHOCHZEIT. Welch Zufall: in beiden spielt Ulrich Noethen mit! Offenbar bestens geeignet als deutscher (Spieß- und Bildungs-) Bürger, dessen Welt in Trümmer fällt, oder wenigstens demontiert wird.
Auch Loriots Dramen, besonders z.B. DER KOSAKENZIPFEL, bieten da reichlich Anschauungaterial. Xaver Schwarzenberger steuerte aus Österreich, fast zu harmlos, O TANNENBAUM und O PALMENBAUM bei. Und NACHBEBEN ist ein Schweizer Beitrag zu diesem Genre. Hauptunterschied zum deutschen Bürgertum ist wahrscheinlich die Sprache, weshalb NACHBEBEN untertitelt ist. Da er im „Banker“-Milieu spielt, ist die Schweiz als Ort natürlich besonders legitimiert.
AMERICAN BEAUTY könnte uns auch einfallen, entwickelt sich jedoch auf einer ganz anderen Ebene. Aber eine auffällige Übereinstimmung ist das männliches Einzelkind, das seine Umgebung mit Videotechnik überwacht...


NACHBEBEN gehört dabei zu dem Sub-Genres „Kammerspiel“ und: „Ein fröhliches Fest läuft aus dem Ruder“, wobei die Handlung in einem sehr kurzem Zeitraum spielt: an nur einem Abend (SILBERHOCHZEIT) oder einem Tag (NACHBEBEN) oder einem Wochenende (O TANNENBAUM). Dabei hakt NACHBEBEN, fast schon wie ein Musterschüler, den ganzen Katalog von Symptomen für „Scheitern“, „kaputte Beziehungen“ und „verlorene Lebensträume“ ab. All das spielt, wie passend, im Milieu moderner Materialisten, unter kurzfristigen Gewinnern des neoliberalen Finanzmarktkapitalismus. Zur Veranschaulichung der Elemente jetzt die Handlung von NACHBEBEN. Nicht chronologisch, aber sehr vielsagend.


Morgen, Luxus, Sonnenschein. HP ordert noch schnell per Handy ein paar Xanprox-Pillen; schließlich muß er topfit sein, lädt er doch zum Grillabend in seine Designer-Villa am Zürichsee. Dort lebt der attraktive Erfolgs-Banker, der sich gern vor dem Spiegel als „cool“ inszeniert, mit seiner attraktiven Frau Karin, dem gemeinsamen Sohn Max und ihrem attraktiven dänischen Au-pair-Mädchen Birthe. Max zockt am Computer und spioniert hinter Birthe her.

HP's Gäste an diesem Abend sind sein Chef Philip und dessen hochschwangere Frau Sue, deren Familie „altes Geld“ in Philips Bank eingebracht hat. Sie selbst ist eher „übergewichtig“ zu nennen. Kinder seien ein „großartiges Investment“, da stimmen bei Sues Auftritt die Männer überein.

Schon morgens fällt HP (eigentlich, mit bürgerlichem Namen, „Hans-Peter“, aber das paßt natürlich nicht zu seiner coolen Bankerwelt) seinem langsamen, dicklichen (debilen?) Sohn auf die Nerven, indem er ihn erst mit Gartenschlauch nassspritzt und dann mit Weisheiten wie „Du mußt zusehen, daß Du nicht der Idiot bist“ zur Gegenwehr aufstacheln will. Auch als HP den Sohn mit einem vom aufreizenden Au-pair-Mädchen geklauten Kondom überrascht, muß Max gleich eine Vater-Sohn-Verbrüderung über sich ergehen lassen. Zukünftig kann doch HP bei der Kondom-Organisation helfen! <br /
Doch zuvor will HP den lockeren Grillabend nutzen, um seinen Chef Philip erneut zu einem wichtigen „Deal“ zu drängen. Die beiden stellen sich stets als „alte Freunde“ dar, aber daran scheint HP inzwischen mehr zu liegen als Philip. Kein Wunder, denn HP ist „total verschuldet“, Geschäfte sind gescheitert, das Haus steht zum Verkauf - was er seiner Frau erst im letzten Drittel des Films beichtet.

Aber Philip hat andere Sorgen als HP's Deal. Erstens: Seine Affäre mit Birthe, die allmählich beendet werden muß. Dabei hat er nicht mit Birthes heftigem Widerstand gerechnet. Zweitens: Sein Personal. Denn HP ist schon auf der Abschußliste. Philip bringt ihm, ungefragt, einen weiteren Störfaktor ins Haus: Den jungen, ehrgeizigen Gutzler. Der ist ungebunden, Shooting-Star in der Investmentbank, knattert per Motorrad vor, zitiert beim Koksen „Pulp Fiction“ (wie John Travolta posiert er vorm Spiegel, zu Sätzen von Bruce Willis) und umgarnt gleich HP's Gattin mit seinen Design-Kenntnissen: Karin studiert, passenderweise, Innenarchitektur und übt am eigenen Heim, was HP als Kostenfaktor empfindet, aber für Karin gleich eine tiefinnige Verbindung zu Gutzler schafft.
Wie verliebt hat Karin die neu eingetroffenen Design-Bücher gestreichelt, deren hoher Preis HP beunruhigt. Auch daß der naßgespritzte halbwüchsige Sohn sich zu seiner Mutter ins Bett kuschelt, oder HP morgens mit dem Au-pair-Mädchen in Unterwäsche Kinderspielzeug auf dem Teppich rumschiebt, läßt auf eine Ehe schließen, in der nicht alles rund läuft.

Kurz bedient Birthe auf der Party und erregt Aufsehen mit der Eröffnung, in Zukunft für eine soziale NGO in einem Entwicklungsland arbeiten zu wollen. Die Banker geben sich begeistert von der Verwertbarkeit sozialen Engagements: „Ohne Social Skills bist Du heute nichts mehr! Sowas sollte für jeden Mitarbeiter einmal Pflichtprogramm in der Firma sein!“ Später zeigt sich, daß nicht nur Birthe und Karin von einem anderen Leben träumen: Auch Sue wollte einst, wie Birthe, sozial arbeiten; jetzt bleibt ihr nur der Versuch, Birthe mit heimlich zugestecktem Bargeld bei ihren Plänen zu unterstützen. Sie weiß zwar als Einzige nichts von Birthes Affäre mit Philip, findet aber trotzdem genug Grund, heimlich auf dem Klo zu weinen. Karin raucht heimlich in den Büschen.

Während bei der Grillparty im Garten der Alkohol in Strömen fließt, versucht Philip, seine Geliebte im Haus mit Geld ruhigzustellen. Aber Birthe dreht weinend den Spieß um und verlangt eine horrende Summe: Erpressung. Handgemenge. Philip fordert HP auf, Birthe herunterzuhandeln. Dafür muß Philip versprechen, endlich HP's großen Deal abzusegnen: Erpressung. Der Handel wird mit Handschlag bekräftigt, Motto: „Wir sind wieder Freunde!“

Aber leider ist Birthe auch für HP's Überredungs“künste“ wenig zugänglich. Keiner Wunder: Macho HP ist, ebenso wie Philip,wenig kompetent mit menschlichen Gefühlen. So mobilisiert er seine Frau für die Verhandlungen mit Birthe. Sie habe doch „so einen guten Draht“ zu dem Mädchen. Doch Karin, trotz HP's morgendlicher Mahnung „Halt Dich heute bitte mal zurück!“, schon schwer alkoholisiert und dem charmanten Gutzler zugetan (auch er studierte übrigens einst Innenarchitektur, fand das aber bald „zu schwul“), geht nur kurz und halbherzig auf Birthe ein. Lieber setzt Karin den Sohn Max, der sich ohnehin kaum bewegt, und dann nur auf allen Vieren – die meiste Zeit herzt er seine Kaninchen oder bespitzelt die Party inVideobild und Ton - als Wachposten vor Birthes Tür.

So scheint einen Moment lang alles geregelt, noch einmal lachen und johlen alle ausgelassen, die bisherigen Hahnenkämpfe des eifersüchtigen HP gegen Gutzler scheinen vergessen, die Spielfigur-Rennen, das Angeben mit Zeitschriftentitelbild, das „Praktikant, Du mußt blasen!“ sind vorbei - bis Birthe dann doch zur Party erscheint, leider völlig hysterisch schreiend: „I don't want your money!“ Letzte Lügen nützen nichts, die reichen, coolen Leute sind hilflos gegenüber einem jungen, naiven, idealistischen Au-pair-Mädchen: „You all make me so fucking sick!“

Da ist Schluß mit lustig. Vorher fanden die Handgemenge zwischen HP-Karin und Philip-Birthe noch hinter verschlossenen Türen statt; jetzt setzt es Ohrfeige, Schwitzkasten und unfreiwilliges Bad mitten in der Partyzone. Natürlich verzeiht Sue dem Gatten nicht, natürlich wird Versager HP gefeuert, die Ehefrauen nennen sich „trächtige Kuh, nur für den Genpool verantwortlich“ und „Alkoholikerin, die als Mutter versagt“. (DER KOSAKENZIPFEL lässt grüssen.)

Denn die privaten und geschäftlichen Deals im „Milieu“ haben längst die ehemalige Freundschaften zerfressen. Auch der dritte Freund im Bunde, Lollo, hatte einst schon einen „bankertypischen Abgang“ gemacht: Selbstmord in Anzug und Krawatte. Der Abend ist gelaufen. Nur Nachwuchsstar Gutzler ißt seelenruhig weiter, bis er rausgeworfen wird. Wo andere sich zerfleischen, hat er gut lachen. Und am Morgen gehen noch mehr Leute baden...


3 Sat sagt: „Regisseurin Stina Werenfels erzählt mit "Nachbeben", was sich seit dem Börsencrash 2001 im Milieu der Banker verändert hat und was geschieht, wenn Männer der Finanzwelt ihre Handelsweisen direkt auf das Privatleben übertragen.“


Ich sage: Der Film überrascht nicht, aber fasziniert. Die Reichen und Schönen kriegen eins auf den Deckel, wir TV-Glotzer können triumphieren. Das Geschehen läuft zwar wie erwartet, ist aber gründlich recherchiert, spannend geschrieben, erstklassig edel fotografiert und superb gespielt. Fast scheint der Fernseher den Gestank des Verfalls, existenziell und moralisch, zu verströmen. Die Figuren changieren stets zwischen ekelhaft und bemitleidenswert und laden auch noch zur Identifikation ein. Denn bewundern wir nicht auch ihre raubtierhafte Geschmeidigkeit, ihren gewissenlosen Elan? Doch der bieder-brave Fernsehzuschauer in uns bekommt recht: Wo alles als käuflich betrachtet und auf „Deals“ reduziert wird, wo auch das Privatleben geschäftlichen Zwecken dient, da nützt die schönste Villa nichts. Aber ein Zweifel bleibt: „Realität, wo bist Du? Gibt es diese Gerechtigkeit auch in der Wirklichkeit?“

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