Familie ist alles
Oft als einer der besten asiatischen Filme aller Zeiten genannt, als orientalischer "Magnolia" - das sind zwar stimmige Komplimente, aber Edward Yang's "Yi Yi" ist auch noch viel mehr, unheimlich eigenständig, in sich fast perfekt. Man muss allerdings ruhige Familiendramas mögen, Grossstadtballaden lieben, bei 3 Stunden Laufzeit Sitzfleisch & Geduld mitbringen. Wenn man sich auf ihn dann aber einlässt & am Ball der dargestellten problematischen Familie bleibt, zahlt der Film es einem mit emotionalem Zinseszins zurück. Nicht unmittelbar danach, sondern eher in den folgenden Tagen, Wochen, Monaten oder sogar Jahren...
"Yi Yi" gilt als Meilenstein der Jahrtausendwende, als wegweisendes Werk. Allerdings musste er sich dorthin erst entwickeln, erste Kritiken waren gar nicht so hervorragend. Ein weiteres Indiz, dass der Film sich nicht nur Zeit nimmt, sondern auch Zeit braucht. Seine poetische Wucht & humane Weisheit gut versteckt, unter einer nicht durchgängig aufregenden, spannenden oder unterhaltsamen Oberfläche. Der Film folgt einer Familie in Taipeh über ein Jahr - von einer lustig-chaotischen Hochzeit (weder das erste noch der letzte Meisterwerk mit Hochzeit zu Beginn) bis zu einer herzzerreißenden Grabrede auf einer Beerdigung.
Zwischen diesen zwei Gegensätzen mit mehr Gemeinsamkeiten als man vermuten könnte, passiert der Familie Einiges - z.B. Fremdgeflirte des Vaters mit seiner alten Liebe des Lebens oder die aufkeimende Pubertät des kleinen Sohnes. Keine besonderen, nervenzerfetzenden Dinge - aber gerade deswegen so nah an unser aller Leben. Egal ob Liebesleben des Vaters, der Tochter, des Onkels oder des Sohnes, egal ob Tod oder Leben, egal ob Glück oder Versagen, egal ob Klein oder Groß, egal ob Taipeh oder Köln - "Yi Yi" scheint das Kunststück gelungen zu sein, Essenzen des Lebens einzufangen & diese aufzuzeigen. Mal lustig, mal traurig, mal langweilig. Und dann doch irgendwie nie langweilig. Denn nichts ist für mich aufregender & emotionaler als genau das - Leben.
Wenn man nun auch noch besondere Darsteller & eine Bildsprache aus Beton & Blüten dazu mischt, setzt sich auch für mich alles zu einem Ausnahmewerk zusammen. Auch wenn ich ihn teilweise etwas zu lang & zäh empfinde, er kein Film ist, den ich mir direkt nochmal angucken würde. Beeindruckend & lehrreich, aber auch etwas überrumpelnd & anstrengend. Natürlich braucht er genau für seinen "Alles & Nichts"-Effekt diese berauschende Langsamkeit, seine melancholische Ehrlichkeit. Ich hätte mir allerdings ein paar Spitzen mehr gewünscht. Sei es Humor, wovon er auch genug richtig guten hat, Spannung oder Tempo. Aber seinen eigenen Rhythmus hat der Film, und den rede ich ihm auch nicht schlecht. Genauso wie ihn jeder Mensch hat. Dieser Film ist fast wie ein Mensch - oder eher wie eine ganze Familie an Menschen. Ein Ganzes & doch jeder mit seinen eigenen Problemen, seinem eigenen Leben, seinem eigenen Kopf, Charakter & seiner Bahn.
Fazit: ein Jahr, ein Tod, eine Hochzeit, eine Geburt, eine Familie - ein Film voller Leben, Liebe & Menschlichkeit! So groß, ohne den Blick für die kleinen Dinge des Lebens zu verlieren!