Review

Dieses äußerst obskure Filmchen ist wohl ein ziemlich typischer Exponent des siebziger Jahre Kinos. Vielleicht liegt es ja an meinem Alter, aber irgendwie machten die damals schon bessere Filme als heute. Natürlich, im vorliegenden Fall ist die Story haarsträubend, aber "Realismus" im Film und "Realismus" in der sog. "Realität" sind nun mal zwei paar Schuhe und die "Logik" der Story funktioniert im Film. Es geht um eine Serie von in einer Londoner U-Bahnstation verschwundenen Menschen, die erst dadurch wirklich Aufmerksamkeit erregt, als ein Adeliger, der sich im übrigen gern in der zweifelhaften Vergnügungsmeile Soho herumtreibt, nicht mehr nach Hause kommt.
Der mit den Untersuchungen beauftragte Polizist - szenefressend dargestellt von Donald Pleasance - spürt den Druck von oben und soll sogar vom MI5 ersetzt werden, denn verschwundene Adelige werden oder wurden zumindest in GB offenbar als Staatsaffäre gehandelt. Hier deutet sich schon die Kritik am Klassensystem in England an, die sich unaufdringlich durch den Film zieht.. Ein amerikanischer Student und seine britische Freundin werden in die Sache gezogen, weil sie den Adeligen noch auf den Stufen des Ausgangs der Station liegen sehen und ihn für betrunken halten.
Die Dinge nehmen ihren Lauf und es stellt sich heraus, dass in der Nähe der berüchtigten Station zu Zeiten des Londoner U-Bahn Baus in den letzten Jahren des 19.Jahrhunderts ein Stollen verschüttet wurde und die Baugesellschaft kurz darauf Bankrott ging und also kein Geld mehr zur Rettung der Eingeschlossenen zur Verfügung hatte. Natürlich sprang der Staat im spätviktorianischen London nicht ein, um ein paar niedrige Arbeiter zu retten, sodass diese sich im Stollen durch Kannibalismus über Generationen am Leben erhielten. Klarerweise wird nicht näher erläutert, wie die Frauen, die beim U-Bahn Bau tatsächlich in diesen Zeiten Hilfsdienste erledigten, überhaupt unter diesen Umständen Kinder gebären konnten, die auch überlebten. Oder wie sich die Menschen ohne Vitamine außer den wenigen aus Fleisch gezogenen ausreichend gesund erhalten konnten, doch die bedrückende Atmosphäre der unterirdischen Landschaft und der in liebevollen Set-Designs dargestellten Gegenstände (und Leichen!) tun dennoch ihre Wirkung.
Dem letzten Überlebenden dieser Leute stirbt jedoch seine Frau, trotz Fütterung mit adeligem Menschenblut (oder gerade deswegen?), die noch dazu schwanger ist, sprichwörtlich unter den Händen weg und so sucht er neben frischer Nahrung auch einen Paarungspartner. Es muss nicht hinzugefügt werden, wen er dazu auserwählt.
Dass "Raw Meat", "Death Line", "Der Tunnel der Lebenden Leichen" (die Leichen leben allerdings auch hier nicht mehr) oder wie auch immer er sonst betitelt wurde, trotz der Tatsache, dass Gary Sherman in Horror-Fankreisen keinen schlechten Ruf aufgrund seines kultigen "Dead and Buried" genießt (aufgrund der diversen Poltergeist-Rehashes wieder weniger), eigentlich fast völlig unbekannt geblieben ist, liegt wohl daran, dass dieser Film klassisch zwischen den Stühlen sitzt: als Horrorfilm ist er zu spannungslos, denn es ist jedem klar, der den Film sieht, worum es geht und das wird auch sehr linear weiterverfolgt; als früher Splatterfilm liegt die Betonung zu sehr auf Story und Dialog (obwohl es die ein oder andere herbere Einlage gibt) und als sozialkritisches Drama ist einfach nicht genug Deutlichkeit in dieser Unterströmung der Geschichte, was aber durchaus ein Glück ist.
Mir selbst ist aber gerade die Mischung sehr zupass, denn dadurch wird der Film äußerst atmosphärisch und wenn der pestkranke Kannibale (die Ratten sind dort unten ja Haustiere), der von dem seine Freundin retten wollenden Amerikaner ins Gesicht getreten wird, heulend und enttäuscht wegkriecht, dann kommt auch ein gewisses Gefühl für die ganze Tragik dieser horriblen Situation auf, ohne jedoch den Zeigefinger unpassend zu entblößen. Wer also auf obskures Off-Cinema steht, sollte sich die US-DVD zulegen, denn soweit ich weiß, gibt es sonst keine andere digitale Fassung. Das Bild ist sehr gut (Lichtjahre von der "Tunnel..." Kopie, die ich mal in einem kleinen Kino gesehen habe), das große Manko allerdings, neben der kargen Ausstattung (Trailer, paar verschiedene Untertitel, das war's) der Ton. Schon Dolby -rauschunterdrückt aber die Dialoge verhallen dermaßen im Raum, dass man den Ton schon sehr aufreißen muss, um irgendwas verstehen zu können - dann wiederum sollte man aufpassen, wenn die Musik einsetzt! "Raw Meat" wurde nur on Location gedreht, das mag ein Grund für den üblen O-Ton sein, denn die Klangverhältnisse in Stollen und auch den Räumen sind eben keine Soundstage-Qualität.
Alles in allem sicher nicht der beste Film der Welt, aber eine lohnende Alternative zum Schrott, der dieser Tage in die Kinos gespült wird.

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