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Der Name des Patienten lautet “Renaissance”. Er leidet an den gleichen Symptomen wie Patient “Final Fantasy” vor fünf Jahren. Eine innovative Methode der Visualisierung genießt höchste Priorität gegenüber einer erschreckend uninspirierten Story, die bodenständig, aber altbacken durchläuft, ohne jeden dramaturgischen Höhepunkt. Derer sind deutlich sichtbar im Storyboard einige vermerkt, nur befindet sich die durch Motion Capturing realisierte Optik noch in einer Entwicklungsphase. Die Folge: Emotionslosigkeit, Durchsichtigkeit, Gefühlsstarre beim Zuschauer.

Das Einzige, was inzwischen eine Renaissance erlebt, ist der Schwarzweißfilm. Seit Jahrzehnten vom Mainstream verpönt und gemieden, allenfalls noch in ein paar Arthaus-Werken als stilistisches Mittel zur Anwendung gekommen, haben Frank Miller und Robert Rodriguez ihn mit “Sin City” für die neuen Generationen wieder salonfähig gemacht. Konnte und kann man jungen Menschen nach wie vor keine Filme mehr zumuten, die schon ein halbes Jahrhundert und mehr auf dem Buckel haben, so hat der Markt inzwischen eine neue Nische gefunden, das Spiel mit dem Extremkontrast aufzunehmen. Wieso auch nicht, hat die Videoclipästhetik von Regisseuren wie Michael Bay oder Tony Scott doch schon wunderbare Vorarbeit geleistet durch Überkontrastierung, Farbfilter und sonstige Spirenzchen. Der Schwarzweißfilm, einst ein Synonym für das Altmodische, springt nun am anderen Ende der Skala wieder an und ist plötzlich der “next step”, das logische höhere Extrem der MTV’schen Videoclipästhetik. Und so wiederholt sich Geschichte, so erlebt ein ausgedientes Stilmittel seine Wiederauferstehung, aufpoliert und 2000er-Generations-kompatibel gemacht.

Und ja, zumindest auf kurze Distanz ist “Renaissance” eine optische Pracht. Als lebendig gewordener Holzschnitt setzt sich flüssig ein Frame ans andere und verschiebt dabei die Proportionen und das Zusammenspiel von Schwarz und Weiß, wagt sich in Hintergründen und bei der Darstellung von Glas auch mal in zwei oder drei Graustufen. Es entsteht dabei natürliche Bewegung, die eben auf dem Motion Capture-Verfahren basiert, aber stilistisch so entfremdet ist, dass jedes Einzelframe an sich wie ein handgefertigter Schwarzweiß-Print aussieht.
Regietechnisch hat Volckman einige Asse in petto, aus seinen beiden minimalistischen Darstellungsmöglichkeiten eine beeindruckende dreidimensionale Welt zu erschaffen, mit perspektivischen Wechseln, raffinierten Szenenübergängen und Beleuchtungstricks. Besonders hervorstechend sind die intelligent umgesetzten Szenenübergänge, die das menschliche Auge jeweils kurzzeitig desorientieren, bis klar wird, wo man sich befindet. So blickt eine Figur in den Himmel, Regen tropft auf sie hinunter und es bildet sich ein Kreis in der Mitte - und plötzlich steht man per Egoperspektive in der Dusche und schaut hinauf zum Duschkopf, aus dem das Wasser strömt.

Nun beherbergt der gerade in den ersten Minuten aufregende Stil allerhand Tücken eines unfertigen Prototyps, die dem Film alsbald auch das Genick brechen. Im Gegensatz zum feiner detaillierten “Sin City” stellt “Renaissance” nämlich enorme Anforderungen an das menschliche Auge, das schon nach einer Dreiviertelstunde weitgehend übersättigt ist von den extremen Kontrastwerten, die wie wild auf das Rezeptionsinstrument einhämmern. Man versucht das damit zu vermeiden, dass sich die futuristisch-dystopische Story im Neo Noir-Stil sehr behäbig entwickelt und Actionszenen eher die Ausnahme bleiben. Der Inszenierungsstil ist ruhig und in einen Schnittewahn verfällt das Werk nie, was einerseits selbstverständlich lobend hervorgehoben werden muss. Andererseits sind es die Schießerei im Garten und der Flucht durch die Tunnel, die im Gedächtnis überdauern. Alles weitere wäre im Normalfall solide Charakterentwicklung mit der nötigen Ruhe und Abgeklärtheit.

Wäre. Denn die Charaktere sind so steril, dass man sie lange Zeit kaum identifizieren, geschweige denn sich mit ihnen identifizieren kann. Grundsätzlich kann man daher nicht einmal von “Neo-Noir” sprechen, denn der Film Noir beinhaltet eben auch gebrochene Figuren und Pessimismus, der wie eine schwarze Wolke über der Handlung hängt, und derartiges vermag weder der Detektiv in der Protagonistenrolle noch einer der Antagonisten zu vermitteln. Die Visuals zeigen hier ihre größte Schwäche: Die Gesichter der Figuren erinnern mehr an Michael Myers-Masken denn an die emotionale Projektionsfläche eines echten Menschen. Was in der Graphic Novel funktioniert, muss es also nicht zwangsläufig ausgedehnt auf 24 Bilder pro Sekunden tun. Grundsätzlich könnte man aus Screenshots von “Renaissance” eine funktionierende Bildergeschichte anfertigen. Der Unterschied wäre der, dass man in Panels Zeit hätte, in das karge Schattenspiel aus Schwarz und Weiß Emotionen hineinzuinterpretieren; diese Zeit hat man im Film nicht und so entsteht aus Einzelbildern nichts weiter als eine künstliche Bewegung.
Und so ist man eben wieder bei den Problemen, die schon “Final Fantasy” hatte; freilich aus anderen Gründen, aber mit der gleichen Wirkung. Die Charaktere blieben ausdruckslos und steril.

Hinzu kommt dann noch das Problem um die Story. Eine Dystopie muss, wie ich meine, grundsätzlich einen Zugang schaffen können, damit der Zuschauer nachvollziehen kann, was die Konsequenzen der dargestellten Handlungen wirklich zu bedeuten haben. Insofern bilden Story und Optik aus “Renaissance” ein problematisches Gemisch, denn der Zugang zum Geschehen ist jederzeit verschlossen. Es ist die Rede von Avalon, das einem Roman Aldous Huxleys entsprungen sein könnte; einem lebensverlängernden Produkt, einer Krankheit, Experimenten, Entführungen und Verschwörungen. Ein gebrochener Detektiv, der bei seinen Ermittlungen in einen Strudel gerät und auf der Suche nach der Wahrheit mit sämtlichen Gesetzen bricht. “1984", “Die Spur des Falken”, der Spagat wird bis in die jüngere Actionfilmhistorie gelegt, als die Infiltrierung des Hi-Tech-Gebäudes an “Eraser” erinnert. Das Storyboard kann man sich dabei bildlich vorstellen, denn gängige Handlungsabfolgen werden unvariiert und traditionell in den Raum geworfen. Der Gefolterte hat immer noch einen kessen Spruch auf den Lippen, er bekommt dafür postwendend einen Schlag verpasst. Der Tippgeber wird unmittelbar, nachdem er dem (Anti-)Helden wichtige Dinge verraten hat, geschnappt und der Held darf in die letzte Schlacht ziehen; die obligatorische Parallelmontage ist ebenso dabei wie die Flucht durch die alles entlarvenden Gedärme der Stadt. Offenbar im vollen Bewusstsein ist das Drehbuch derart klassisch gezeichnet, doch bedenkt man, dass davon kaum etwas befriedigend umgesetzt wurde, ist das schon ein wenig frustrierend. Denn die Storybemühungen bemerkt man zwar, doch man verinnerlicht sie nicht.

Der Trend zum “Neo-Schwarzweißfilm” ist prinzipiell zu begrüßen, da er für die Zukunft noch einiges an Potenzial verspricht. “Renaissance” sollte aufgrund seiner optischen Ungewöhnlichkeit allerdings nicht überbewertet werden; er stellt noch nicht viel mehr als einen eher schlecht als recht funktionierenden Prototypen dar, der den klassischen Schwarzweißfilm noch nicht vergessen machen kann. In den Anfängen des Films war die Schwarzweiß-Optik in erster Linie eine technische Begrenzung, die nach dem Grundsatz “aus der Not mache eine Tugend” für die eigenen Zwecke umgeformt wurde. Bei Christian Volckmans Spielfilmdebüt läuft es noch umgekehrt - hier ist die Story die Not, die tugendhaft, aber mit vielen funktionalen Problemen der Optik angepasst wird. Die wirkliche Renaissance lässt trotz eines herben visuellen Erlebnisses noch auf sich warten. Das war jetzt nur ein Strohfeuer.

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