Opulenter Bilderrausch, Musical der Zukunft, ein entfesselter Sturm aus Bildern und Musik - solche Einschätzungen findet man überall, wo "Moulin Rouge" besprochen wird. Diesen Äußerungen kann man zustimmen, ohne daß etwas über die wahre Qualität des Films damit ausgesagt werden würde. Denn effektiv hat Baz Luhrmann, der gefeierte Regisseur, hier nur seinen Vorgänger "Romeo und Julia" neu verfilmt, unter Aussparung der göttlichen Worte Shakespeares und unter Zuhilfenahme einer bunten Handvoll Popsongs und Evergreens.
Was aber ist das Ergebnis all dieser Bemühungen? Ist er gut, ist er schlecht? Das wird dem Betrachter hier noch schwerer als beim Vorgänger gemacht. Vielleicht kann ein Blick auf die Einzelheiten die Entscheidung ein wenig erleichtern.
Erstmal, es ist ein Bilderrausch! Und was für einer! Zumindest am Anfang...
Nachdem uns die Fox-Fanfare diesmal auf einer Variete-Bühne präsentiert worden ist, informiert uns ein ziemlich heruntergekommener Ewan McGregor, daß seine geliebte Satine tot ist und macht uns schon mal unmißverständlich klar, daß hier wieder ein Trauerspiel auf uns zu kommt. Diese Hypothek wird der Film anschließend wie ein Anker hinter sich herziehen und vergällt dem uninformierten Besucher schon mal den folgenden Spaß.
Der kann sich allerdings sehen lassen, jedoch sollte man flink mit den Augen sein. McGregor, der junge Schriftsteller, wird in stakkatohafter Schnittfolge in ein Bühnenstück hineingezogen und gerät so ins Moulin Rouge, wo der Sturm so richtig losbricht.
Hier ist Luhrmann in seinem Element. In einer genialen Melange aus "Lady Marmalade" und Nirvanas "Smells like Teen Spirit" zieht eine superhektische, unheimlich aufgedrehte Sequenz vor unseren Augen vorbei, die in punkto Farbgebung, Ausstattung, Schnitt und Kameratricks keine Wünsche offenläßt und gleichzeitig alle ferner nötigen Figuren einführt, sowohl Kidmans Kurtisane "Satine", wie auch den Leiter Zidler und den bösen Duke.
Diese Einführung ist ein wahrer Rausch und kommt mit einer aufbrandenden Leichtigkeit daher, die die traurige Einführung Lügen straft.
Anschließend geraten wir an die kommende menage a trois mit Satine, Christian und dem Duke, aufgeführt in einer Art Kammerspiel der witzigen Art. Satine verwechselt erst Christian mit dem Duke und muß ihn anschließend vor diesem verstecken. Das alles wird wieder in Luhrmanns typischem Stil geboten: überhektisch geschnitten, albern bis grotesk gespielt, mit Slapstick gewürzt und bis zum Exzess übertrieben.
Diese Fiesta reicht zwar für Schmunzler und einige Lacher, löst jedoch auch deutliche Unbehaglichkeit aus, denn seit nunmehr über 20 Minuten ist der Film jetzt nicht mehr zur Ruhe gekommen, eine Eigenschaft, die man sich allmählich zu wünschen beginnt. Darüber hinaus ist es eine getreue Kopie von Julias Zofe aus dem klassischen Vorgänger, der ebenfalls eine ausstattungstechnische Opulenz und Extravaganz ausstrahlte.
Darauf folgt die wahre Liebeserklärung Christians unter dem nächtlichen Himmel eines mythischen, so nie dagewesenen Paris, eingeleitet durch eine modernisierte Version von Elton Johns "Your Song" und dann von Christian und Satine weitergeführt durch einen ganzen Strauß von Popperlen, die den sonst nötigen Dialog ersetzen.
Diese Collage ist der absolute Höhepunkt von "Moulin Rouge", denn von jetzt an beginnt der Absturz.
Das macht sich erst nur durch die Herausnahme der Geschwindigkeit bemerkbar, die zwar noch mehrmals angezogen wird (vor allem in der Schlußnummer und dem umwerfend komischen "Like a Virgin" von Broadbent und Roxburgh), aber ansonsten konstant abebbt.
Damit verbunden verschwindet auch der heitere Ton nach und nach.
Der Duke nimmt düstere Züge an, Satine ist todkrank, die Situation spitzt sich zu.
Leider wird durch das Verschwinden der Euphorie auch gewahr, wie papierdünn die Geschichte gestrickt ist, die sich bis jetzt mit Bombenschauwerten an der Oberfläche gehalten hat. Dahin kehrt sie beim Schlußstück, einer indisch-französischen Monstrosität auch zurück, um anschließend beim tragischen Todesfall wie ein Stein zu versinken.
Es ist schon fast unerträglich zu beobachten, wie Luhrmann zum Schluß immer öfter auf das Kitschpedal drückt und bei Kidmans Tod endgültig mit der Sirupkanone kommt, um uns derart langgezogen schmalzverstopft zentimeterdick mit Tragik vollzukleistern, daß man verzweifelt nach einem Cutter betet oder hineinruft, die Gute möge doch nun endlich sterben.
So erfüllt sich denn auch die düstere Prophezeiung des erzählerischen Rahmens, da ist das dicke Ende, von dem wir immer gewußt haben, daß es kommt, aber das es so ekelhaft klischeevoll wird, haben wir uns nicht gedacht, sonst hätten wir vorher nichts gegessen.
Und auch das kennen wir von vorne bis hinten vom alten Onkel Shakespeare-Luhrmann: Romeo ist tot, Julia ist tot, Satine ist tot und McGregor sieht gar nicht gut aus. Zumindest sollte er sich rasieren.
Und mit dem ständig mittendrin wiedergekäuten Liebesgeschwafel endet der Film dann, gleitet ins Nichts, ohne Neustart, ohne Moral, ohne Antimoral. Traurig, offen, Fade-Out.
That's it. That's it? That's criminal.
Versteht mich nicht falsch, man kann sich an "Moulin Rouge" hochziehen, wie an der leckersten Zuckerstange, von wo gibt. Die Ausstattung ist oscarreif, die Kostüme ebenso, der Schnitt ist, wenn er einen nicht gerade zum Wahnsinn treibt, effektiv, die Kamera rotiert und die Musik sollte zum Sturm auf die Soundtrackabteilung veranlassen.
Aber das sind reine Äußerlichkeiten, sicherlich Dinge, auf die junge Kinogänger heutzutage abfahren, aber können die Qualität nur bedingt retten. Aber die jungen Leute fliehen schon die angekündigte Liebesgeschichte, stattdessen kommen die Twens und die sind schlicht überfordert, weswegen sich auch diverse Pärchen schon zur Filmmitte aus dem Kino verabschieden. Und auch bei mir gab es zum Schluß diesen Impuls, als die Schlußszene kaum noch zu ertragen war.
Also ein Jahrmarkt der Eitelkeiten - immerhin mit schauspielerischen Leistungen. McGregor bietet eine für Musicals ansprechende, wenn nicht sehr gute Leistung, wenn ihn das Drehbuch nicht der Vorhersehbarkeit preisgibt. Broadbent ist reif für einen Award, Leguizamo gibt wieder mal einen bezaubernd verkrüppelten Freak ab und Roxburgh chargiert so dick aufgetragen, daß Nicholson von ihm lernen könnte. Dagegen fällt Nicole Kidman jedoch deutlich ab. Sicherlich, sie arbeitet hart und gibt alles. Aber das ändert nichts daran, daß sie für die Rolle fehlbesetzt ist. Mit Blicken und Kostümen kommt sie zwar der konventionellen Variete-Erotik entgegen, doch ihr fehlt sowohl die Dirty-Ader, die eine Kurtisane mitbringen würde, als auch die nötige Leichtigkeit und Koketterie, um wenigstens verspielt geheimnisvoll herüberzukommen. Es liegt kein Zauber um Satine, was auch Luhrmanns krudem Slapstickhumor zuzuschreiben ist, sie selbst ist nicht erotisch, höchstens mal ihr Blick oder ihre Unterwäsche. Dabei gibt sich wirklich alles, doch in Verbindung mit dem uneinheitlichen Script und der Tatsache, daß sie der falsche Typ Schauspielerin ist, reicht das am Ende eben nicht aus.
Noch schlimmer ist das Fehlen eben jeglicher Balance, die die heiteren und tragischen Teile der Handlung verbindet und gegeneinander ausgleicht. Luhrmanns Regie ist wie eine Fahrt mit einem Off-Roader: da steckt mächtig was unter der Haube und man kann bärig auf die Tube drücken, aber das macht die Fahrt noch lange nicht angenehm oder genußvoll, sondern ruckelig und unbequem.
Außerdem sollte er sich für sein nächstes Projekt dringend mal ein neues Sujet suchen, denn die Wiederholungen aus seinem Vorgänger sind doch allmählich ärgerlich. Und noch etwas: ein Film sollte sich immer zum Ende hin steigern und nicht verflachen.
Trotzdem fällt eine echte Bewertung schwer. "Moulin Rouge" ist totaler Wildwuchs und zeitweise totale Anarchie. Optisch kann es hier nur die Höchstnote geben und das ist für viele wohl auch der ausschlaggebende Grund, aber inhaltlich stellt sich für zwei Drittel des Films ständig die Frage, wann man endlich wieder nach Hause darf.
"Romeo und Julia" habe ich im Kino auch genossen, weil es neu und unverbraucht war, doch später habe empfand ich den überlangen Volltext im Fernsehen nur noch als dramatische Zumutung, die mit bunten Bildern aufgepeppt war und nicht zur Sache kam.
So wird es auch mit "Moulin Rouge" sein. Einmal gesehen ein Rausch, aber zuviel Sitzfleisch und Geduld für einen zweiten Durchgang verlangend.
Film als Trip - Hirn nicht notwendig!
Das kann man nicht mit einer Zahl ausdrücken, aber die Einschätzung, daß das alles total durchwachsen war, bedeutet wohl 5/10.
Und das ist in so einem Fall schon fast ein Flop.