"Abel Ferrara is the devil", meinte Asia Argento in einem Interview und in gewisser Weise hat das was. Insofern nämlich als der New Yorker Kultregisseur immer unberechenbar geblieben ist. Mit dem vermeintlichen "Splatter"-Klassiker "Driller Killer" hat es angefangen - die Unmöglichkeit, diesen Mann in die so umsatzwichtigen Genreschubladen zu drücken. Vom lowest-budget Filmer bis zum Studioregisseur, der den verwirrenden, weil gänzlich unkommerziell wirkenden "Body Snatchers" oder ein paar Miami Vice-Folgen inszenierte reicht da die Spannweite, wobei eine Berechenbarkeit doch bleibt, nämlich dass die Erwartungen des Sehers IMMER brüskiert werden.
Natürlich hat auch Ferrara nicht jedes Mal Diamanten produziert, aber mindestens mit Ms. 45 oder zwei der besten Mobster-Filme überhaupt, King of New York und The Funeral - vom cop-flick-to-end-all-cop-flicks "Bad Lieutenant" gar nicht zu sprechen -, hat er sich schon mal unsterblich gemacht. In den letzten Jahren ist es allerdings ein bisschen stiller geworden und nachdem die erhofften kommerzielleren Produktionen nicht das brachten, was sie sollten, war es auch mit der Distribution seiner nachfolgenden Arbeiten eher schlecht bestellt, so dass man das meiste dieser Tage nicht mehr projiziert sondern nur noch komprimiert findet.
"New Rose Hotel", den ich durch Zufall in einer Wühlkiste entdeckte, ist gewissermaßen eine Art back-to-the roots Sache, denn der Produktionsaufwand hält sich in extremen Grenzen und auf Effekte (außer denen der photographischen Art) wird gänzlich verzichtet - und das bei einer Geschichte von William Gibson, wohlgemerkt! Gerade dadurch aber bekommt die Cyberpunk-Story aber ihren Reiz, dass eben die Vorstellung, mit einer Gadget-Überladenen Ausstattungsorgie á la Ridley Scott konfrontiert zu werden, nicht erfüllt wird. Ein paar Bildtelefone-cum-Handheld sind schon das höchste der Gefühle und das ist nun wahrlich nicht mehr futuristisch.
Stattdessen konzentriert sich Ferrara auf seine Figuren, wobei dort auch schon die Schwächen des Films zu verorten sind, denn Christopher Walken, der schon einige von Ferraras Filme dominant (manche Schauspieler können einfach keine Nebenrollen spielen) mitgetragen hat, wird etwas allein gelassen und spult seinen King-of-New-York-meets-The-Dead-Zone shtick relativ szenefressend herunter, während Willem Dafoe eher den tapetenartigen straight man darstellen muss.
Doch Ferraras Interesse gilt ohnehin mehr den Frauenrollen und da schafft er es in einer Mischung aus psychischer Vergewaltigung (sagen zumindest einige seiner female leads) und emotionaler Unterstützung das Letzte rauszuholen. Und wahrlich, Asia Argento war noch nie so gut (außer vielleicht in "Scarlet Diva", aber das zählt - als Autobiographie - natürlich nur bedingt)! Sie spielt eine Edelnutte und Doppelagentin sehr unübertrieben und verletzbar authentisch. Letztendlich ist sie die geheime Hauptdarstellerin und das verdientermaßen.
Wer also einen Science Fiction Thriller erwartet, mit aufregenden Sets und Actionszenen, wird diesen Film hassen, denn die Handlung spielt fast ausschließlich in austauschbaren Hotel- und Bahrinnenräumen, was der Tatsache des Gibsonschen Setups zunächst Hohn zu sprechen scheint, denn im "Globalen Dorf" sind die tatsächlichen geographischen Distanzen zwischen Wien, Tokio und Marrakesch irrelevant. Gerade deswegen aber sind die Örtlichkeiten auch so austauschbar und es ist letztlich egal, wo auf diesem Planeten man sich befindet, denn es ist ohnehin alles vernetzt und wenige Großkonzerne kontrollieren die gesamte Wirtschaft und Politik (und damit auch die exekutiven Organisationen).
Das im Titel bezeichnete "New Rose Hotel" ist dann auch konsequentermaßen ein Sarghotel im japanischen Stil (also keine Zimmer sondern Boxen), in dem Dafoe den Betrug seiner Freundin rekonstruiert, wobei die Szenen, die man vorher vermeintlich miterlebt hat, subtilen Veränderungen unterliegen, die deutlich machen, dass er in seinem Liebesrausch das doppelte Spiel Argentos nicht wahrnehmen wollte.
Man mag Ferrara vorhalten, dass er die Entwicklung des Story dezidiert von jeglichen Actionszenen ferngehalten hat (fast alle Entführungen bzw. den Hauptanschlag sieht man entweder nur virtuell vermittelt - Gibson! - in Ausschnitten auf Bildschirmen oder gar nicht) und ihm unterstellen, dies aus budgetären Gründen getan zu haben. Doch das greift insofern zu kurz, als auch die größeren Produktionen Ferraras ein merkbares Desinteresse am Budenzauber haben, was letztendlich wohl auch der Grund war, dass sie am Boxoffice keinen finanziellen solchen veranstaltet haben.
Also hat er es wieder geschafft: alle Erwartungen abgeräumt. Was bleibt ist ein Film, der sich nach mehrmaligem Ansehen wirklich entwickelt (zumal die Story bis zuletzt nicht 100% klärbar ist) und der, hätte er ein bisschen stärkere männliche Hauptrollen gehabt, durchaus das Zeug zum Klassiker gehabt hätte (man überlege nur, was für ein Flop "Bad Lieutenant" hätte werden können, wenn ein Geringerer als Harvey Keitel den Part übernommen hätte; das sind eben die Fährnisse des Schauspielerkinos). So bleibt immerhin noch eine famose Argento übrig, deretwegen allein der Film schon ansehenswert ist. Zu guter letzt sei erwähnt, dass ein Gutteil der bedrückenden Atmosphäre dem gelungenen Soundtrack von Rapper Schoolly D zu verdanken ist, der sich hier aber nicht unbedingt auf angestammten Pfaden bewegt, sondern sehr dunklen ambient/trip hop komponiert hat, welcher mich in seiner Intensität sehr positiv überrascht hat, obwohl ich dem Genre nicht so zugeneigt bin. Daher gibt es noch eine wackelige 8, oder eine starke 7, aber im Zweifel immer für den Angeklagten.