Das minutiöse Drehbuch beschreibt die Suche des "Mannes", wie er schlicht und anonym im Abspann betitelt wird, nach seinem "Fleisch". Beschwerlich ist es, den Kontakt zu einem Gleichgesinnten herzustellen, viele Anläufe scheitern in der ersten Hälfte dieses Filmes mit seinen selbstredenden Bildern, eine zweifelslose Stärke dieser sehr visuell ausgeprägten Produktion. Dialoge finden sich erst im zweiten Abschnitt dieses schockierenden Dramas um zwei Menschen, die sich über ein Internetforum kennen lernen und deren Obsession der absoluten körperlichen Nähe, ein Mensch als Teil eines anderen durch Verspeisen ist. Diese Vorstellung seelischer Übertragung war bekanntlich schon in altertümlichen Kulturen mit kannibalischen Gewohnheiten oftmals der Fall, nicht von ungefähr spiegelt sich dieses in einem ausgeprägten Faible für Menschenfresser von der Antike bis zur Neuzeit nieder, die der Täter hegt. In der Nähe eines idyllischen Rotenburg mit seiner malerischen Altstadt trifft der Mann seine Vorbereitungen in seinem abseits gelegenen Bauernhof wie zu einem Ritus, einem besonderen Moment in seinem Leben. Die Musik, klingt sie zuerst noch ein wenig nach dem Klavier aus "Nekromantik 2", mal an Neofolk wie von "Sol In Victus" erinnernd und schließlich knackig wie elektronische Sounds, die gewöhnlich aus Powerbooks kommen, wird düsterer, analog zum sich verfinsternden Treffen der beiden, das auf den unweigerlichen Höhepunkt zustrebt. Tatsächlich verbergen sich hinter dem gelungenen Soundtrack Ghazi Barakat (Boy from Brazil), Alexander Hacke (Einstürzende Neubauten) und J.G. Thirlwell aka Foetus, da macht ein bisheriger Second Unit Director eines gewissen Ulli Lommel scheinbar alles mit geringem Budget richtig, während Lommel selbst, seines Zeichens eher untalentierter Altmeister mit seinem ein Jahr später gedrehten gleichnamigen Werk in der Versenkung verschwindet. Eingebettet in ein intimes, homoerotisches Kammerspiel begeht Regisseur Marian Dora nie den Fehler, die Nähe zu den beiden Protagonisten zu vernachlässigen, die permanente Präsenz hat dieser Film vielen True Crime Darstellungen voraus. Trotz aller expliziten Szenen, und die sind gerade am Ende mehr als ausgewalzt, mit einer abseitigen und abgründigen Sexualität bis in die letzte Konsequenz, wäre es herabwürdigend, diesem Film allein eine exploitative Zurschaustellung eines durch die Medien kursierenden spektakulären Falles, wie das vom Kannibalen von Rotenburg Armin Meiwes, als Grundhaltung zu unterstellen. Inwieweit sich das Gezeigte als authentisch bis ins letzte Quentchen nachvollziehen lässt, sei einmal dahingestellt und wäre auch erbsenzählerisch, daran scheiterten bekanntermaßen schon die Filmkollegen mit ihrem clever "Rothenburg" betitelten Versuch, welcher per Gerichtsbeschluss noch vor der Premiere verboten wurde. Soweit es anhand von Pressemeldungen nachvollziehbar ist, hält sich das Drehbuch erschreckend genau in vielen Details an der bizarr erscheinenden Realität, verändert die grundsätzliche Geschichte kaum und schafft es sogar stellenweise, eine Art erhellende Aufklärung zur Intention der beiden Menschen zu schaffen. Die Stärke von "Cannibal" liegt in der persönlich wirkenden Darstellung der beiden Charaktere, wie man sie in Independentproduktionen nur äußerst selten zu sehen bekommt, erstaunlich gut agieren die beiden Schauspieler im Vordergrund, besonders dann, wenn man, neben Debütant Victor Brandl, Carsten Frank aus Gurken von Jess Franco kennt. Gleichzeitig wirft deren Vereinbarung des blutrot verschmelzenden Opferrituals auch Fragen auf, die sich dem gängigen Ethos manchmal zu entziehen vermögen, so eng ist der Zuschauer am Geschehen und an die Emotionen gebunden. Moralisierende Gesten bleiben trotz ausgenommen appetithemmender Szenen außen vor, was angesichts einer reichhaltigen Palette von detailliert gezeigten Splattereien und des Wunsches, es möge von ihm, dem Fleisch, nichts übrig bleiben, doch erstaunt. Wer den entsprechend gesunden Magen mitbringt und mehr Interesse als das an einem banalen Schocker hat, bekommt ein in sich stimmiges, eindringlich gefilmtes Erlebnis in Bild und Ton präsentiert, dass man ohne Zweifel in die Nähe von Gerald Kargls "Angst" stellen kann. Etwaiger Humor, der wie bei Jörg Buttgereits Filmen auflockernd wirken könnte, fehlt komplett, danke, das es so etwas noch gibt.
Fazit: Solche eher kleinen Produktionen, die scheinbar aus dem Nichts kommen, zeigen, wie wenig der wahre Schrecken mit phantastischen Ideen zu tun haben muss. Geniale Umsetzung eines bekannten Tötungsfalles, gleichzeitig einfühlsam inszeniert und grafisch explizit.10/10 Punkten