Ex-Knacki Johnny Clay plant mit vier Amateuren den ganz großen Coup: Mit einem sehr klug ausgetüftelten, lückenlos erscheinenden Plan sollen während eines Pferderennens zwei Millionen Dollar Wettgelder gestohlen werden. Zwei Profis sollen von dem Raub ablenken: Der eine soll ein Rennpferd erschießen, der andere in der Schalterhalle eine Schlägerei anzetteln. Alles würde gut gehen, wenn der arme Kassierer Peatty gegenüber seiner Frau die Klappe gehalten hätte...
Bereits in seinem zweiten Kinofilm „Die Rechnung ging nicht auf“ beweist Stanley Kubrick seine künstlerische Eigenwilligkeit, die er in seiner langjährigen Karriere zu keinem Zeitpunkt ablegen sollte. Diese spannende Gangstertragödie taucht zwar nie in diversen Rubriken als eines seiner besten Werke auf, doch ich zähle es unbedingt dazu. Der Aufbau ist perfekt, der Unterhaltungswert stets auf konstant hohem Niveau.
Dreist lehnt sich Kubrick gegen die erzähltechnischen Konventionen auf und läßt den ausgeführten Raubzug nicht etwa chronologisch ablaufen, sondern aus der Sichtweise der beteiligten Räuber - ein früher Vorläufer zu Quentin Tarantinos ungleich bekannterem „Jackie Brown“, aber auch „Pulp Fiction“, sozusagen. Zeitliche Überlappungen und Sprünge zurück sind also vorprogrammiert, das Einlaufen der Pferde ist mindestens dreimal - aus jeweils anderen Perspektiven - zu sehen. Dieser kunstvolle Kniff garantiert, daß der Zuschauer erst nach und nach die gesamte Komplexität und Genialität des Meisterplans, den Johnny (Sterling Hayden) sich da ausgedacht hat, erfaßt und ganz nebenbei alle Ganoven mit all ihren Schwächen näher kennenlernt, so daß man sich mit ihnen identifizieren kann. Gerade George Peatty (Elisha Cook jr.) wird nicht bloß einseitig als Bösewicht geschildert, sondern als unglücklicher Mann - ein ziemlicher Jammerlappen ohne Durchsetzungskraft -, der unter seiner dominanten, ihn ausnutzenden und (mit einem Gangster) fremdgehenden Ehefrau Sherry (Marie Windsor), der Schlüsselfigur dieser Geschichte, leiden muß, von der er andererseits dennoch nicht lassen kann. Aber auch das Schicksal des Barkeepers berührt, weil seine Frau, die er vom ganzen Herzen liebt und um die er sich liebevoll kümmert, schwer krank ist. Nicht zu vergessen ist das nervenaufreibende Finale am Flughafen, in dem man sehnlichst hofft, der mit dem ganzen Geld gefüllte Koffer möge doch unbeschadet sein Ziel erreichen.
Das Zusammenspiel der einzelnen Handlungsstränge funktioniert vorzüglich. Sicherlich mag man denken - vor allem, wenn man hört, daß die Exposition ungefähr die Hälfte (etwa vierzig Minuten) ausmacht und sich mehr mit den Figuren beschäftigt als mit dem zentralen Thema des Films, dem Raubzug -, dadurch werde der Fortgang der Geschichte verlangsamt und die Story nicht so recht in Gang gebracht, doch dies ist ein Irrtum: Die Dramaturgie wird vielmehr noch angetrieben; immerhin wird hier jedem sonnenklar, daß Sherrys Mitwissen dem ganzen Unternehmen letztendlich brandgefährlich werden wird oder ihm sogar den Todesstoß versetzen kann - und es bleibt bis zum Schluß die Frage: Können sich die Komplizen wirklich gegenseitig trauen?
Diese fein ersonnenen, besonderen Stilmittel rufen Mitleid für die insgesamt sehr liebenswürdigen Protagonisten hervor, wenn schließlich doch alles schiefläuft, was so erfolgreich angefangen hat.
Ähnlich ungewöhnlich der Einsatz eines Erzähler aus dem Off, der nicht an der Handlung beteiligt ist, und kurze prägnante Kommentare (häufig nur ein Satz) von sich gibt, um den Betrachter über die wesentlichen Details (z.B. Uhrzeit) zu informieren. Er verrät allerdings nicht zuviel, der weitere Handlungsverlauf läßt sich durch ihn nicht ansatzweise erahnen.
Zu der beispielhaften Inszenierung gesellen sich zu einer ausgesprochen passenden musikalischen Unterstreichung zusätzlich ausgezeichnete Darstellerleistungen, was um so mehr verwundert, weil hier bis auf den Hauptdarsteller eigentlich nur Namenlose agieren. Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle Sterling Hayden und Elisha Cook jr., allerdings auch Marie Windsor, die in ihrer Rolle des eiskalten, manipulierenden Biests Sherry die einzige echte Buhmannrolle neben ihrem über Leichen gehenden Liebhaber übernimmt.
Fazit: Völlig humorloses und knallhartes Frühwerk von Stanley Kubrick voller Experimentierfreudigkeit, das bewußt mit einigen kinoüblichen Konventionen (besonders auffällig: keine chronologische Schilderung der Ereignisse, sondern aus mehreren Sichtweisen) bricht und deshalb auch noch fünfzig Jahre später Interesse verdient. Dramatisch, tiefgründig und spannend, schlichtweg makellos - so muß Unterhaltungskino sein!
GESAMT: 9/10 (Unterhaltungswert: 9 - Handlung: 10 - Schauspielerische Leistungen: 9 - Kameraführung/Atmosphäre: 9 - Musik: 8)