Eine Kritik von vodkamartini (Bewertung des Films: 3 / 10) eingetragen am 07.02.2008, seitdem 2114 Mal gelesen
„Blutige Mogelpackung"
Death Sentence ist ein Begriff aus dem amerikanischen Rechtssystem und meint „Todesurteil". Noch immer gibt es Staaten in den USA, die die Todesstrafe praktizieren. Das dem so ist, hat ebenso historische Gründe, wie die Abschaffung dieser radikalsten aller Strafen in den Demokratien Westeuropas. Gleiches gilt für das Recht auf Selbstverteidigung. Die Frontier-Erfahrung sowie der bewusste Ausbruch aus absolutistischen Strukturen und Unterdrückung kreierte nicht nur das typisch amerikanische Individualitätsdenken, sondern auch die tiefe Überzeugung, die hart erkämpften und neu gewonnenen Freiheiten mit allen Mitteln verteidigen zu müssen und letztlich auch zu dürfen . In dieser Zeit entwickelten die Neuankömmlinge ein Werte- und Rechtssystem das sich tief in die amerikanische Seele eingebrannt hat und nach wie vor den Schlüssel zum Verständnis der Europäern oftmals so fremden US-Mentalität bildet.
Obgleich Selbstjustiz auch im heutigen Amerika eindeutig strafbar ist, so ist in Teilen der Bevölkerung nach wie vor wenn nicht Akzeptanz so doch zumindest ein gewisses Verständnis für Menschen vorhanden, die das Gesetz selbst in die Hand nehmen, sofern die zuständigen Behörden „versagt" haben bzw. machtlos erscheinen. Im „alten Europa" reagiert man auf diese Form der „Rechtsprechung" im Allgemeinen erheblich empfindlicher und kritischer. Auch Spielfilme, die sich der Thematik widmen, werden erheblich genauer unter die Lupe genommen, um Kinder und Jugendliche vor dem oftmals reaktionären Gedankegut zu schützen. Das Thema beinhaltet allerhand politischen Zündstoff und ist zudem emotional derart aufgeladen, dass oftmals simpelste Schwarz-Weiß-Malerei betrieben wird.
Simplifizierung ist auch das Hauptmerkmal der meisten filmischen Aufbereitungen. In Spielfilmen wird das brisante Thema häufig auf simple Rachegeschichten reduziert, die in erster Linie das Ziel haben, den Zuschauer mit einem „Die haben es nicht anders verdient"-Gefühl zu entlassen. Der psychologische Hintergrund bzw. die Frage, was einen zivilisierten Menschen dazu treibt, einen anderen selbst zu richten, wird in den meisten Filmen völlig vernachlässigt. Ganz zu schweigen von der gesellschaftspolitischen Bedeutung der Thematik. Vor allem die unsägliche Death Wish-Reihe ist dafür ein „leuchtendes" Beispiel.
James Wans Death Sentence scheint auf den ersten Blick erheblich vielschichtiger und differenzierter zu arbeiten. Der Film beginnt mit Bildern einer heilen Familienwelt. Die offenbar glücklich verheirateten Eltern Helen (Kelly Preston) und Nick Hume (Kevin Bacon) lieben ihre beiden Söhne. Nicks gut bezahlter Bürojob ermöglicht den Humes ein großzügiges Anwesen in einer wohlhabenden Vorstadtgegend, die Collegezukunft der Kinder scheint gesichert. Das geordnete und harmonische Familienleben wir allerdings jäh zerstört, als Nicks älterer Sohn bei einem Tankstopp auf brutalste Art ermordet wird. Er wird Opfer eines Initiationsrituals einer Jugendbande. Um in die Gang seines Bruders Billy Aufnahme zu finden, muss Joe Darly einen willkürlich ausgewählten Menschen töten. Nick gelingt es den maskierten Mörder zu stellen, der Rest der Bande kann entkommen. Als der völlig verzweifelte und innerlich gebrochene Vater erkennt, dass die Justiz den Mörder für höchstens drei bis vier Jahre hinter Gitter bringen kann, beschließt er selbst für Gerechtigkeit zu sorgen. Doch Nicks Racheakt bleibt nicht unbeobachtet. Immer tiefer gerät er in den Strudel von Gewalt und Gegengewalt, bis es nur noch einen Ausweg gibt.
Death Sentence zerfällt in zwei Teile, die unterschiedlicher nicht sein könnten und letztlich nicht zusammen passen. In der ersten Filmhälfte gelingt es Regisseur Wan - vor allem Dank der starken Leistung Kevin Bacons - die psychologischen und emotionalen Auswirkungen herauszuarbeiten, die mit einem solchen Schicksalsschlag einher gehen. Nicks heile Welt fällt von einer Minute auf die andere wie ein Kartenhaus zusammen - wo vorher familiäre Harmonie und hochfliegende Zukunftspläne das Leben prägten, regiert nun Verzweiflung, Ohnmacht und unsagbarer Schmerz. Allerdings konzentriert sich Wan hier ganz auf seinen Protagonisten, wie dessen Frau und zweites Kind mit der Tragödie umgehen, wird nur angedeutet. Es ist dies bereits der erste Hinweis, dass es in Death Sentence weit weniger um die Begleiterscheinungen sowie den Umgang mit einer solchen Tragödie an sich geht, als vielmehr um die Motivation der Hauptfigur, die ihn letztlich zur Gewalt greifen lässt.
Wan versucht in der ersten Hälfte die extreme Brutalität der zweiten Hälfte gewissermaßen vorbauend zu rechtfertigen, was völlig misslingt. Zwar baut der Film geschickt Sympathie und Verständnis für die hoffnungslose Situation Humes auf, zerstört beides aber mit einer blutrünstigen und vor dem Hintergrund des entworfenen psychologischen Profils auch völlig unglaubwürdigen Gewaltorgie.
Schon der Beginn des Gewaltstrudels wirkt konstruiert. Als Nick erkennt, dass der Mörder nicht lebenslänglich bekommen wird, kann er sich plötzlich an nichts mehr erinnern und sorgt damit für einen Freispruch. Offenbar hat er sich jetzt zur Selbstjustiz entschlossen. Er war also zunächst für eine lebenslange Freiheitsstrafe, zieht aber nun die Todesstrafe einer kürzeren Haftzeit vor. Eine radikale Werteverschiebung, die der Film nicht glaubhaft zu vermitteln vermag. Die Tötung Joe Darleys entsteht dann seltsamerweise aus einer Prügelei heraus und zeigt einen über seine Tat entsetzten Nick Hume. Dass der Büroangestellte Hume das Mitglied einer brutalen Straßengang im Handgemenge töten kann, wirkt ebenfalls wenig glaubhaft.
Nach diesem holpernden und unlogischen Übergang beginnt der Action-lastige und geradlinig ablaufende zweite Teil. Zwar ist die tödliche Spirale von Gewalt und Gegengewalt nachvollziehbar inszeniert, keineswegs aber Verlauf und Ausgang. Schon bei der rasanten Verfolgungsjagd durch mehrer Straßenzüge, Hinterhöfe und ein Parkhaus gelingt es dem Mittvierziger Hume, die erheblich jüngeren und fitter wirkenden Gangmitglieder auf Distanz zu halten. Obgleich diese mit Schusswaffen vertraut scheinen und unentwegt feuern, gelingt ihnen nicht einmal ein Streifschuss. Die Szenen hinterlassen keinen verstörenden Eindruck - wie vergleichbare Sequenzen in Neil Jordans erheblich differenzierterem „Konkurrenzprodukt" Die Fremde in dir - , sondern sind gerade ob ihrer perfekten Inszenierung mitreißend und unterhaltsam.
Im letzten Viertel lässt Regisseur Wan dann endgültig die Maske der ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Thema Selbstjustiz fallen. Obgleich Billys Gang Nicks Familie bedroht und die Polizei alarmiert ist, gelingt der brutalen Bande der vermeintlich letzte Racheakt. Hier ging es wieder nur darum, den finalen Blutrausch Humes zu rechtfertigen. Da kann man schon mal auf Logik und Glaubwürdigkeit verzichten, es ist ja auch nicht das erste Mal. Aber es kommt noch dicker: Der schwer verletze Hume flieht aus dem Krankenhaus, hebt seine Ersparnisse ab und schreitet zum Waffenkauf. Dass der Waffenhändler Billys Vater ist und - obwohl er dessen Absichten durchschaut - Nick trotzdem mit einem riesigen Arsenal ausstattet, ist dann der Gipfel an Idiotie. Hier soll wohl die Annäherung zweier völlig zerrütteter Familien herbei konstruiert werden, die sich durch die gegenseitige Gewalt immer mehr angleichen. Als er seinen Sohn dann doch noch warnt, wird er von diesem kaltblütig erschossen. Eine Szenenfolge, bei der man nur noch ungläubig den Kopf schütteln kann.
Der vermeintliche Höhepunkt ist dann schließlich das i-Tüpfelchen auf die Verlogenheit und Perfidie des Films. Obgleich er sich zuvor in den beigefügten Bedienungsanleitungen den groben Gebaruch seiner Waffen anlesen musste und große Problem beim Laden derselben hatte, pflügt Nick Hume in der finalen Abrechnung wie ein jahrelang ausgebildeter Einzelkämpfer durch die gegnerische Bande. Fast jeder Schuss sitzt, er selbst bekommt bis zum „letzten Duell" nur relativ wenig ab. Mit kahl rasiertem Kopf und schwarzer Lederjacke wirkt er wie eine Neuauflage des Punisher. An diesem Punkt unterscheiden sich die beiden Filme auch nicht mehr wesentlich. Was wohl symbolisieren soll, dass Opfer und Täter inzwischen beinahe austauschbar sind, wirkt in erster Linie cool und verfehlt daher völlig die (scheinbar) beabsichtigte Wirkung.
Sämtliche Regeln hinsichtlich Logik und Nachvollziehbarkeit sind längst auf dem Altar blutiger Actionunterhaltung geopfert. Da werden Gliedmaßen abgeschossen und Kopfschüsse gezeigt. Dieser - zugegebenermaßen rasant inszenierte - Blutrausch, steht im krassem Gegensatz zum ernsthaften Familiendrama der ersten Filmhälfte. Dass es am Ende nur Verlierer gibt, wirkt alibihaft und kann den entstandenen Eindruck nicht mehr verwischen. Als Zuschauer reibt man sich verwundert die Augen ob einer solch radikalen Abkehr von der anfangs entworfenen Szenerie. Spätestens hier fällt einem wieder siedend heiß ein, dass Regisseur Wan uns ja auch den ersten Saw-Film „beschert" hat. Willkommen zu Hause James. Da hast du ja gerade noch einmal die Kurve gekriegt.
Letztendlich ist Death Sentence eine perfide Mogelpackung. Was als subtile Herangehensweise und differenzierte Annäherung an das hochbrisante Thema Selbstjustiz beginnt, entpuppt sich im Verlauf des Films als klar dem Actiongenre verschriebener, ultrabrutaler Rachethriller. Kurz: Die Action ist zwar perfekt in Szene gesetzt, die anfangs ernsthafte Auseinandersetzung mit Trauer, Schmerz und Rachegefühlen wird davon allerdings regelrecht weggeblasen.Am Ende versinkt jegliche Subtilität im Gewaltrausch.Wenn man weiß, dass Death Sentence auf einem Roman Brian Garfields basiert - der wiederum ein Sequel zur Romanvorlage für Charles Bronsons ersten Death Wish-Einsatz darstellt -, hält sich die Überraschung allerdings in Grenzen.Dass es durchaus differenzierter und besser geht, haben unlängst Neil Jordan und Jodie Foster mit dem ebenfalls nicht unumstrittenen Die Fremde in dir bewiesen. Die innere Zerrissenheit eines selbsternannten Rächers sowie die selbstzerstörerischen Begleiterscheinungen der Lynchjustiz werden hier jedenfalls wesentlich subtiler und glaubwürdiger herausgearbeitet.
In Death Sentence dagegen mutiert der zunächst als gebrochener und von Schuldgefühlen malträtierter Familienvater porträtierte Nick Hume unvermittelt zu einer eiskalten, Rambo-ähnlichen Killermaschine. Das ganze ist nicht nur total unglaubwürdig, sondern in seiner völligen Ignoranz des zuvor mühsam entwickelten Charakterbildes auch absolut unverständlich und am Ende nur noch lächerlich. Dass Hume am Schluss nicht als Sieger dasteht, tut der Verlogenheit des Films keinen Abbruch. Gerade weil der Film professionell inszeniert ist, durchgängig Spannung aufbaut und mit einem sehr guten Hauptdarsteller aufwarten kann, ist das Endprodukt so ärgerlich. Wer einen brutalen und reißerischen Actionthriller drehen will, sollte sich nicht an solch einer ernsten und tragischen Thematik vergreifen.
Auch in den USA wurde dieser Widerspruch moniert und Death Sentence keineswegs uneingeschränkt positiv rezensiert. Vor allem in der New York Times und im San Francisco Chronicle waren sehr kritische Töne zu lesen. Das mag einige (positiv) überraschen, beruhigend ist es allemal.
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