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  „Europe strikes back" - Erfolgsformel Made in France

Das moderne französische Kino bringt immer wieder Filme hervor, die durchaus mit amerikanischen Mainstream-Produktionen mithalten können. Vor allem in den einträglichen Genres Horror, Science-Fiction, Action und Thriller - die zudem häufig munter gemischt werden - kommen alljährlich Beiträge, die auch außerhalb des Mutterlandes funktionieren. Internationale Stars sind gern genommen (Bruce Willis in Das fünfte Element) oder werden einfach gemacht (Jason Statham in den Transporter-Filmen). Die europäischen Nachbarn  können dabei meist nur neidvoll applaudieren. Vor allem Luc Besson (Léon - Der Profi, Das fünfte Element) hat diese bis heute anhaltende Entwicklung angestoßen und forciert. Der 41-jährige Mathieu Kassowitz gehört fast schon zur zweiten Generation dieser neuen französischen Erfolgswelle.
Sein aktueller Film Babylon A.D. vereint sämtliche Ingredienzien der inzwischen etablierten Erfolgsformel. Man entscheide sich für eines der oben genannten „Winner-Genres" (in diesem Fall Science-Fiction mit einer Prise Action-Thriller). Man nehme ein für europäische Verhältnisse ordentliches Budget (70 Millionen US-$) und engagiere einen international bekannten Genrestar (Vin Diesel). Man würze das Ganze mit einer Reihe knalliger Actionsequenzen und garniere das Werk mit einer ungewöhnlichen und/oder beeindruckenden bzw. stylischen Bildästhetik. Fertig ist der neue (potentielle) Blockbuster „Made in France".

Aber geht diese simple Rechnung in diesem Fall auch auf? Größtenteils ja. Zunächst einmal bietet die Story eine Reihe interessanter Ansätze und Einfälle. In nicht allzu ferner Zukunft erhält der desillusionierte Söldner Toorop (Vin Diesel) den Auftrag das Mädchen Aurora (Melanie Thierry) aus einem anarchisch anmutenden und von diversen Mafia-Clans beherrschten Osteuropa in die USA zu bringen. Aus einem abgelegenen Kloster stammend umgibt Aurora ein mystisches Geheimnis, das lediglich ihre ständige Begleiterin Schwester Rebecca (Michelle Yeoh) zu kennen scheint. Auf dem Weg nach New York muss das ungleiche Trio eine Menge gefährlicher Situationen meistern, nur um festzustellen, dass das Hauptproblem am Zielort lauert.

Natürlich hat man das alles schon einmal gesehen und der häufige Vorwurf Babylon A.D. sei eine wenig originelle Mixtur aus Children of Men und Das fünfte Element ist nicht völlig von der Hand zu weisen.  Allerdings bedienten sich diese beiden Filme ebenfalls fröhlich bekannter Versatzstücke und erfanden das SF-Rad keineswegs neu. Regisseur Kassowitz gelingt es jedenfalls, die etwas ausgelutschte Geschichte rasant und unterhaltsam zu erzählen. Lediglich in der Schlussviertelstunde geht ihm (da allerdings gehörig) die Puste aus, als er mit einer für die zuvor geschürte Erwartungshaltung viel zu banalen und unspektakulären Auflösung enttäuscht. Des weiteren werden gesellschaftspolitisch hoch brisante und aktuelle Themen wie "Klonen", Genmanipulation oder die Allmachtsphantasien diverser religiöser Sekten nur angerissen.

Neben der flott erzählten Escape-Story kann Babylon A.D. aber vor allem auf visueller Ebene punkten. Set Design und Kameraarbeit gehören eindeutig zur Oberliga und strotzen vor ungewöhnlichen Einfällen. Das düstere Szenario eines von Kriegen zerrütteten und von Gangsterbanden beherrschten Osteuropa fängt eine apokalyptisch anmutende Stimmung ein, die beunruhigend nahe an der Realität scheint.  Auch der Gegenentwurf der glitzernden Neon-Metropole New York kann beeindrucken. Die Interieurs und Requisiten bieten moderat eingestreute technische Spielereien, die den Eindruck einer nahen Zukunft stimmig abrunden. Insbesondere die Verpflichtung von Kameramann Thierry Arbogast (Léon, Das fünfte Element) erweist sich als Glücksgriff. Ausladende Kamerafahrten über Schneewüsten und  diverse Endzeitszenerien sowie eine Reihe visueller Kunstkniffe und ungewöhnlicher Perspektiven geben Babylon A.D. einen avantgardistisch-futuristisch anmutenden Look.

Vin Diesels Charakter „Toorop" erhält eine Einführung, die innerhalb kürzester Zeit dessen Wesen umreißt: wortkarg, lakonisch, sarkastisch und extrem schnell mit der Waffe. Diesel knüpft nahtlos an seinen Durchbruch in Pitch Black an und gibt eine ultracoole Vorstellung als Einzelkämpfer-Söldner, ohne die Figur der Lächerlichkeit preiszugeben. Einen vergleichbar starken Eindruck hinterlässt nur noch der französische Superstar Gerard Depardieu als skrupelloser und vernarbter Mafiaboss Gorsky. Die kurze Szene in der er Toorop den lukrativen „Lieferauftrag" anbietet, reicht Depardieu völlig um den schmierig-bedrohlichen „Charme" des Gangsters herauszuarbeiten.
Die drei Frauenrollen - Michelle Yeoh, Charlotte Rampling und Melanie Thierry - fallen demgegenüber einigermaßen deutlich ab, ohne allerdings gänzlich zu enttäuschen. Vor allem Yeoh und Rampling bekommen einfach zu wenig Gelegenheit, ihre jeweiligen Stärken auszuspielen. Die Martial-Arts-Expertin darf nur in einer (viel zu schnell geschnittenen) Szene ihre Fähigkeiten ausleben und Charaktermimin Rampling wird im unausgegorenen Schlussakt schnöde fallen gelassen.

Ein klarer Pluspunkt sind die zwar wenigen, dafür aber wuchtig und bildgewaltig inszenierten Actioneinlagen. Wenn auch teilweise etwas hektisch und fahrig geschnitten (die Stakatto-Schnitttechnik der Bourne-Trilogie ist leider zum allseits beliebten Stilmittel avanciert), zählen sowohl der finale Shootout in New York wie auch eine rasante Schneemobiljagd mit Stealth-Dronen  zu den absoluten Höhepunkten des Films.
Babylon A.D. ist sicherlich nicht die Speerspitze einer neuen „Französischen (Film-)Revolution", aber doch ein ordentlicher Beitrag der von Luc Besson etablierten neo-französischen Erfolgsformel. Am Ende bleibt ein visuell beindruckender Science-Fiction-Thriller, der ob seiner vor allem im Finale sich in kruder Banalität auflösenden Story leider einiges an Potential verspielt. Vin Diesel gibt eine durchweg überzeugende Vorstellung als wortkarger Einzelkämpfer. Zumindest qualitativ ein beachtliches Comeback. Cooler war in den letzten Jahren eigentlich nur Bruce Willis in Die Hard 4.0. Und damit schließt sich der Kreis, war es doch der amerikanische Actionstar, der seinerzeit als futuritischer Taxifahrer das französische Mainstream-Kino wieder in die internationale Erfolgsspur manövrierte.

(6,5/10 Punkten)                                            

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