„Captain Ahab auf Indianerjagd"
Zu Beginn ist die Leinwand schwarz. Wir lesen: Texas 1868. Der erste sichtbare Lichtstrahl fällt in ein Blockhaus, als Martha die Tür öffnet. Sie gibt den Blick frei auf die rötlichen Felsformationen des Monument Valley. In der Ferne erscheint ein einsamer Reiter, der sich langsam nähert ...
Die Auftaktsequenz von John Fords The Searchers gehört zweifellos zu den Schönsten der Filmgeschichte und hat zumindest für das Westerngenre einen ikonegraphischen Stellenwert erlangt. Trotz, oder gerade wegen ihrer verblüffenden ökonomischen Schlichtheit, geht eine unglaubliche Symbolkraft von ihr aus. Ganz ohne Dialog oder Off-Kommentar umreißt Ford die zentralen Themen des Films: Es geht um den Kampf der Zivilisation mit der rauen, unberührten Natur. Um den Gegensatz zwischen traditionellen Werten wie Familie, Heim, Geborgenheit und der Brutalität einer menschenfeindlichen Wildnis. Und es geht um Menschen, die diesen Gegensatz überwinden halfen und letztlich keiner der beiden Welten mehr angehörten. Kurz: Es geht um die gewalttätige und entbehrungsreiche Geschichte Nordamerikas in den Gründerjahren.
Diese Themen ziehen sich wie ein roter Faden durch Fords über 60 Filme umfassendes Western-Oeuvre. Er hat dabei kräftig an der Legende um die harte, aber von aufrechten Gedanken, selbstloser Tapferkeit und edler Gesinnung geprägten Urbarmachung des amerikanischen (Wilden) Westens gestrickt. Das Hohelied des „American Dream" auf Individualismus, Eigeninitiative und Selbstentfaltung ist das Leitmotiv im Fordschen Western-Kosmos. Diese idealisierte, romantische Sicht auf die Entstehung der USA bekam erst im Spätwerk des Regisseurs ein paar Kratzer. Der schwarze Falke (deutscher Verleihtitel von The Searchers) kann hier als Wendepunkt gesehen werden.
Der Held des Films ist - untypisch für Ford - ein ambivalenter Charakter. Zwar verkörpert Ethan Edwards sämtliche Ideale des klassischen Western-Heroen: Souveränität, Entschlussfreudigkeit, Tatkraft und Kampferfahrung. Gleichzeitig ist er aber auch Hasserfüllt, unwirsch und antisozial. Warum der ehemalige Offizier der Konföderierten erst drei Jahre nach Ende des Bürgerkriegs zur Farm seiner Familie zurückkehrt bleibt ebenso im Dunkeln, wie seine Erfahrungen während dieser Zeit. Vom Krieg erzählt er kein Wort. Den Bruder Aaron behandelt er unfreundlich und herablassend. Der Grund mag eine unglückliche und unerfüllte Liebe zu seiner Schwägerin Martha sein, die es offenbar müde war, auf den ständig abwesenden Ethan zu warten. Auch deren Adoptivsohn Martin Pawley (Jeffrey Hunter) begegnet er feindselig. Das ist umso überraschender, da er ihn einst auflas, als seine Eltern von Indianern ermordet wurden. Ethans manischer Rassismus tritt hier bereits deutlich zu Tage. Er hasst alle Indianer und Martin ist zu einem Achtel Cherokee. Ethan ist ein Außenseiter. Die Sitten und Bräuche der zivilisierten Gesellschaft bedeuten ihm wenig. Als Aaron und Martha von Comanchen ermordet werden, unterbricht er vorzeitig deren Beerdigung, um die Verfolgung aufzunehmen. Später platzt er mitten in eine Hochzeit, ohne sich für deren Fortsetzung zu interessieren. Andererseits kennt er die indianischen Rituale genau. Einem unterwegs aufgefundenen toten Indianer schießt er beide Augen aus, damit dieser nicht in die ewigen Jagdgründe eingehen kann und „ewig zwischen den Winden wandern muss".
An vielen Stellen des Films wird deutlich, dass Ethan den verhassten Indianern näher steht, als seiner eigenen Rasse. Er spricht ihre Sprache, kennt ihre religiösen Vorstellungen und ihre Denkungsart. Wie sie fühlt er sich in der rauen Natur am wohlsten. In der Gemeinschaft der zivilisierten Gesellschaft hält er es dagegen nie lange aus. Er ist von einer inneren Unruhe und Wildheit getrieben, die ihn zu einem Fremdkörper macht. Wie sein indianisches Äquivalent - Comanchenhäuptling „Scar" (Henry Brandon) - wird Ethan vornehmlich von blinder Wut getrieben. Während Scar Rache für seine von weißen ermordeten Sohne will, sinnt Ethan auf Rache für die Ermordung von Aaron und Martha. Die für die Milizionären Texas Ranger zentrale Rettung der beiden verschleppten Kinder Lucy und Debbie ist dabei nebensächlich. So will Ethan das Indianerlager stürmen, obwohl dies den sicheren Tod der Mädchen bedeuten würde.
Wiederholt sind die Männer schockiert von Ethans ungezügelter Brutalität. Als die Comanchen nach einem Gefecht ihre Toten und Verwundeten bergen wollen, schieß er weiter auf sie. Später schießt er wild in eine vorbeiziehende Büffelherde, um den Indianern die Nahrungsgrundlage zu nehmen. Nachdem sie Debbie nach jahrelanger Suche endlich in einem Indianerlager aufspüren, kann Martin ihn nur mühsam davon abhalten, seine durch ihr Leben bei Scar „beschmutzte" Nichte zu töten.
Westernlegende und Ford-Freund John Wayne brilliert in der Rolle des unsympathischen (Anti-)Helden. Eine mutige Entscheidung des auf charakterlich integre Haudegen abbonierten Stars. Gleichzeitig aber auch eine clevere Idee des Regisseurs, da die Grundsympathie für Wayne das Publikum bis zum Schluss bei der Stange hält und die Figur trotz seiner Deformationen nie völlig ablehnt.
Das ist essentiell für das Funktionieren der Geschichte, denn The Searchers ist eine Reise in die Finsternis von Ethan Edwards Seele. Seine innere Zerrissenheit, seine inneren Kämpfe stehen sinnbildlich für die Gegensätze von Wildnis und Zivilisation, die sich sehr häufig in grausamen Brutalitäten entladen. Diese pessimistische und düstere Metapher auf die Entstehung der USA wird allerdings durch zwei Figuren deutlich abgefedert. Sowohl die verschleppte Debbie (Natalie Wood), wie auch der auf Ethan immer wieder ausgleichend wirkende Martin stehen zumindest für die Chance auf eine friedliche Lösung des Konflikts.
Zu diesem Zweck hat Ford die literarische Vorlage bewusst verändert und Martin Pawley zum Halbblut umgeschrieben. Trotz seiner teilweise indianischen Abstammung ist er die zivilisierteste und vor allem menschlichste Figur des Films. Als er bei einem ersten Gefecht auf Indianer schießen muss, bricht er zunächst in Tränen aus. Demgegenüber erschießt Samuel Clayton (Ward Bond) - Captain der Texas Rangers und gleichzeitig Pastor seiner Gemeinde - die heranstürmenden Feinde mit lauten „Halleluja-Rufen. Er tötet niemals aus Rache. Sein Antrieb ist nicht Hass, sondern Liebe. Es ist sein Verdienst, dass die Suche nach Debbie nicht aufgegeben wird und sie letztlich gerettet werden kann. Gegen Ende des Films schleicht er sich unter Einsatz seines Lebens ins Indianerlager, da Captain/Pastor Clayton den (für Debbie vermutlich tödlichen) Sturmangriff befiehlt. Bei der jahrelangen Suche hat er einen ausgleichenden Einfluss auf den verbitterten Ethan, der durch die langsam entstehende Freundschaft einen Teil seiner Menschlichkeit zurück erlangt.
Auch Debbie entlarvt die durch Ethan transportierten Vorurteile und Affekte. Sie scheint durch ihr Leben bei den Indianern keinesfalls verstört oder psychisch deformiert. Sie hat sich mit der Situation arrangiert und will den Stamm nicht verlassen. Wie selbstverständlich schläft sie mit anderen Frauen in Scars Zelt und unterscheidet sich auch äußerlich kaum von ihnen. Demgegenüber präsentiert der Film eine Gruppe von der Armee befreiter Frauen, die nach ihrer Rückkehr in die zivilisierte Gesellschaft offenbar wahnsinnig geworden sind.
John Ford ist zwar nicht gerade als Indianerhasser, aber doch häufig zumindest als ein an deren tragischer Situation eher uninteressierter Regisseur missverstanden worden. Das mag an seinem teilweise recht simpel gestrickten Frühwerk gelegen haben. Aber bereits bei seiner 1948-1950 entstandenen, das US-Militär glorifiziernden Kavallerie-Trilogie (Bis zum letzten Mann, Der Teufelshauptmann, Rio Grande) finden sich Indianerfreundliche Passagen. Auch bei The Searchers zeichnet Ford ein vor allem für die Entstehungszeit des Films differenziertes Bild der Indianerproblematik. Die von Ford in früheren Filmen verherrlichte Armee hinterlässt bei ihren wenigen Auftritten einen zwiespältigen Eindruck. Bei einer Strafexpedition werden auch reihenweise Frauen und Kinder getötet. In einer anderen Szene treibt sie gefangene Indianer wie eine Viehherde durch eine unwirtliche Winterlandschaft.
Auch die Schuldfrage thematisiert Ford nicht in der Genre-gängigen Lesart. Scars Bemerkung über die Ermordung seiner Söhne macht deutlich, wer die Gewaltspirale ausgelöst hat. Der „Held" Ethan Edwards erscheint grausamer und blindwütiger als sein indianischer Gegenspieler. Ford erreicht dies auch dadurch, dass er Ethans Gewaltausbrüche zeigt, während Scars Bluttaten nicht zu sehen sind. Das Halbblut Martin Pawley ist die „gute Seele" des Films und steht zusammen mit der verschleppten aber nicht gebrochenen Debbie für die Möglichkeit einer friedlichen Koexistenz der Rassen.
The Searchers ist nicht nur der schönste, sondern auch der inhaltlich komplexeste Western John Fords. Die charakterlich ausgefeilte Figurenzeichnung und die metaphorisch angelegte Geschichte um die zentralen Konflikte bei der Entstehung Nordamerikas entfalten aber erst durch die phantastische Bildsprache ihre volle Wirkung. Nie zuvor oder danach hat Ford die mythische Landschaft des Monument Valley symbolträchtiger und visuell beeindruckender eingefangen. Die als „John Ford-Country" in die Filmgeschichte eingegangenen Felsformationen - er drehte neun Western in der Navajo-Reservation - verleihen dem Film einen epischen und trotz seiner Kargheit erhabenen Charakter.
Fords Lieblingsdarsteller John Wayne gibt eine der besten Vorstellungen seiner langen Karriere und transportiert die inneren Kämpfe Ethan Edwards lediglich durch Blicke und Körpersprache. In mehreren Close Ups lässt Wayne den Zuschauer tief in die durch Angst, Abscheu und Hass malträtierte Seele des gebrochenen Helden blicken. John Wayne ist häufig als lediglich permanent sich selbst spielender Typ ohne sonderliche Schauspielbegabung belächelt worden. Zumindest in Der schwarze Falke straft er alle diese Kritiker Lügen und zeigt seine ganze darstellerische Klasse.
Der berühmte Genre-Kritiker Joe Hembus hat The Searchers als „Moby Dick des Westerns" bezeichnet. Tatsächlich hat Ethan Edwards als Indianerjagd „getarnte" Reise in seine inneren Abgründe viel mit Captain Ahabs psychotischer Walfang-Odyssee gemein. Beide sind Gefangene ihrer inneren Kämpfe, die sie letztlich nicht gewinnen können. Während Debbie und Martin in die zivilisierte Gesellschaft zurückkehren (können), bleibt Ethan ein Außenseiter. Das Schlussbild ist eine Umkehrung der Anfangsszene. Die Tür schließt sich und Ethan wandert der rauen Wildnis des Monument Valley entgegen. Er bleibt „ewig zwischen den Winden gefangen".
(9,5/10 Punkten)