Eine Kritik von directorcut (Bewertung des Films: 7 / 10) eingetragen am 26.11.2008, seitdem 674 Mal gelesen
Die Wirkung menschlicher Abbildungen kann verschiedenste Formen annehmen. Für den unaufgeklärten Menschen ist es wie der Raub der Seele, die auf einer Metallplatte oder einem Stück Papier für die Ewigkeit konserviert wird. Für den eitlen Zeitgenossen ist es die eigene Überhöhung und die tägliche Begutachtung der von der Zeit bedrohten äußeren Hülle. Wie Dorian Gray, der seinem Bild die Lasten der Vergänglichkeit aufbürdete, um sich ewiger Jugend erfreuen zu können. Und für manchen ist es der Beweis für die eigene Existenz, einmal hier oder dort gewesen zu sein und sich somit gegen das Vergessen einen Schutz zu bauen.
Viele dieser angesprochenen Punkte finden sich im neuen Film von Caroline Link (für „Nirgendwo in Afrika“ erhielt sie einen Oscar für den besten nicht englischsprachigen Film) wieder. Die Innenarchitektin Eliane Richter (Corinna Harfouch) kommt mit einer auf den ersten Blick merkwürdig anmutenden Bitte zu dem Maler Max Hollander (Josef Bierbichler). Sie möchte ein Porträt gemalt haben, das ihre Tochter und ihren verstorbenen Sohn zeigt. Hollander willigt ein, bittet aber um zahlreiches Bildmaterial des Sohnes und um die gute Zusammenarbeit mit der Tochter Lilli (Karoline Herfurth). Ersteres gestaltet sich leichter als die schwierige Lilli in das Atelier des Künstlers zu bringen und für die konzentrierte Mitarbeit zu gewinnen. Sie findet die Idee ihrer Mutter pietätlos und weigert sich zunächst, dem Maler Modell zu sitzen. Doch im Laufe einiger Sitzungen entwickelt sich zwischen dem skurrilen Paar ein Vertrauensverhältnis, das bislang unangetastete Gefühle und Ängste an die Oberfläche holt. Die nach Außen hart und selbstbewusst wirkende Lilli ist in Wahrheit ein orientierungsloses Mädchen, das den Selbstmord ihres jüngeren Bruders nicht verkraftet hat und sich zwischen dem zerstrittenen Elternpaar wie eine ungeliebte Puppe hin und her gerissen fühlt. Ihr Studium für Tanz und Schauspielerei in München verfolgt sie nur halbherzig. Der leicht unnahbar wirkende Max hingegen, beginnt sich in der Nähe der jungen Frau wieder lebendiger zu fühlen, verlässt das graue Atelier und geht in Diskotheken und Vernissagen. Mit jedem Pinselstrich an dem Porträt offenbart sich die wahre Identität seines Modells, aber auch seiner eigenen Persönlichkeit.
Unverkennbar sind Karoline Herfurth und Josef Bierbichler die auffälligsten Darsteller in „Im Winter ein Jahr“. Sicherlich, sie mimen die Hauptcharaktere, doch ruhen sie sich darauf nicht aus. Die Kombination aus lebenslustigem und verzweifeltem Mädchen und lebenserprobtem und trocken-zynisch älterem Mann, geht hervorragend in dieser Schauspielerverknüpfung auf. Karoline Herfurth spielt Lilli sehr eindringlich, kann in einem Moment zu Tode betrübt sein, im nächsten Augenblick sich über das Leben freuen, als gäbe es kein Morgen mehr. Dabei bleibt ihr Verhältnis zu ihrem älteren Gesprächspartner stets in der Schwebe zwischen väterlichem Freund und unterschwelliger sexueller und abenteuerlicher Hingabe. Josef Bierbichler agiert glänzend als Künstler, der mit Engelsgeduld den anfänglich schroffen Äußerungen der grazilen Schönheit begegnet und nie die Mühe scheut, sich in ihre Persönlichkeit einzuarbeiten. Ihre zügellosen Kommentare pariert er mit trockenem Humor.
Die Melancholie, die diesen Film nicht nur aufgrund der darstellerischen Leitung durchzieht, ist in nahezu jeder Kameraeinstellung zum Greifen nah. Vornehmlich arbeitet Caroline Link mit Totalen und sehr langen Einstellungen. Die Figuren sind gezielt im Bildraum positioniert, häufig an den Rändern, um die gähnende Leere des Restraums zur Geltung kommen zu lassen. So wirkt der Wald genauso unbelebt und einsam, wie der Tanzraum, in dem sich Lilli alleine aufhält oder das Atelier, in dem Max seinen Kaffee trinkt. Auch die Farbtemperatur des Bildes scheint gezielt nach unten reguliert zu sein. All diese Komponenten erschaffen eine eindringliche Atmosphäre, aber lassen auch wenig Raum, um der Trostlosigkeit in wenigen Momenten zu entfliehen. Nicht immer schafft es der Film, die zwei Stunden mit Spannung zu beleben. Dennoch ist es ein großes Vergnügen, die erst 24jährige Hauptdarstellerin bei der Demonstration des Kanons ihres Könnens zu beobachten und man kann getrost in die Zukunft blicken, dass hier ein deutscher Schauspielstern noch lange nicht seinen Zenit erreicht hat.
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