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“Legendenbildung”

1962 fiel mit Dr. No der Startschuss für die langlebigste und erfolgreichste Serie der Filmgeschichte. Die inzwischen 21 Bondfilme - das Feuerball-Remake Sag niemals nie (1983) zählt nicht zur offiziellen Reihe - erwirtschafteten über 4 Mrd. US-$ und wurden von etwa 1 Mrd. Menschen gesehen. Und das alles, ohne am bereits früh etablierten Erfolgsrezept allzu viel zu verändern. Die Bondfilme haben so mannigfaltige Probleme wie Zeitgeistströmungen, wechselnde Hauptdarsteller, unzählige Plagiate und eine immer stärker werdende Konkurrenz aus dem eigenen Genre-Lager letztlich unbeschadet überstanden. Mit dem 21. Film, dem 6. Hauptdarsteller und im 44. Jahr gelang 2006/7 (Casino Royale) gar der finanziell erfolgreichste Streich der ganzen Franchise - wenn auch nicht inflationsbereinigt. Der Name „Bond“ ist mittlerweile ein global verstandenes Markenzeichen und erreicht bei Umfragen Bekanntheitswerte in der Größenordnung von Coca Cola, Mc Donalds oder Mickey Mouse. Wenn man also bei Dr. No von der „Geburt einer Legende“ spricht, so ist dieser inzwischen inflationär gebrauchte Slogan ausnahmsweise einmal voll gerechtfertigt und absolut zutreffend.

Zur Story:
Auf Jamaika werden zwei Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes ermordet. Geheimdienstchef M (Bernard Lee) beauftragt seine besten Mann - Agent 007 James Bond (Sean Connery) - die Hintergründe der Tat aufzudecken. Bei seinen Ermittlungen auf der Karibikinsel stößt er zunächst auf eine Mauer des Schweigens und entgeht jeweils nur knapp diversen Attentaten. Weitere Nachforschungen führen ihn zu der radiaktiv verstrahlten Insel Grab Key und einem dort operierenden, mysteriösen Wissenschaftler namens Dr. No (Joseph Wiseman). Beim Erkunden der Insel gerät er zusammen mit der Muscheltaucherin Honey Rider (Ursula Andress) in Gefangenschaft. Nachdem Bond Dr. Nos Pläne - das US-Raumfahrtprogramm mit Hilfe radiaktiver Strahlung empfindlich zu stören -aufgedeckt hat, versucht er alles, den größenwahnsinnigen Verbrecher zu stoppen.

Dr. No
enthält noch nicht alle Zutaten der späteren Erfolgsformel. So fehlt neben dem Waffenmeister Q auch die damit verbundene Ausrüstung unseres Helden mit diversen Geheimwaffen - den Gadgets - , welche sämtlich im Verlauf des Films zum Einsatz kommen und mit deren Hilfe Bond sich immer wieder aus scheinbar ausweglosen Situationen befreien kann. Auch der ironisch-sarkastische Unterton der Filme sowie die überhebliche Blasiertheit Bonds sind in seinem ersten Filmabenteuer nur Ansatzweise vorhanden.
Kurz: Dr. No wirkt wie ein ungeschliffener Rohdiamant. Auch Sean Connerys Darstellung des Geheimagenten fehlt noch der letzte Schliff. Er gibt einen knallharten Berufskiller, der relativ humor- und kompromisslos seinen Auftrag erledigt und kommt damit zumindest dem literarischen Vorbild sehr nahe. Zur der von ihm selbst in den Nachfolgefilmen perfektionierten, Ikonenhaften Heldenfigur fehlt es dann aber doch noch ein gutes Stück weit. So ist beispielsweise die später beinahe provokant zur Schau getragene Lässigkeit und ironisch gebrochene Überheblichkeit lediglich angedeutet. Bewegungen und Mimik wirken noch etwas verkrampft, die spätesten mit Goldfinger etablierte elegante Coolness sowie der teilweise flapsige Humor sind bestenfalls zu erahnen.
Davon abgesehen ist bereits alles vorhanden. Ein größenwahnsinniger Superverbrecher, der eine Bedrohung für die (zumindest westliche) Welt darstellt, wechselnde, vornehmlich exotische Schauplätze, zahlreiche (meist kurze) Liebschaften des Helden mit diversen Schönheiten sowie ein actionreicher Schlussknall mit der vollständigen Vernichtung des gegnerischen Hauptquartiers. Typische Handlungselemente der Serie wie die Instruktion Bonds durch den seriösen Geheimdienstchef M sowie sein erotisches Geplänkel mit dessen Vorzimmerdame und Sekretärin Miss Moneypenny werden hier schon etabliert.
Die Actionszenen sind nach heutigen Maßstäben leicht antiquiert, waren allerdings in den 1960er Jahren State of the Art. Vor allem die relativ schnellen Schnitte bei diversen Faustkämpfen sollten stilprägend für das gesamte Genre werden. Die Explosionen waren vor allem vor dem Hintergrund des - auch für damalige Verhältnisse - äußerst geringen Budgets fantastisch und sehen immer noch sehr gut aus.

Besonders hervorzuheben sind zwei Männer hinter der Kamera, die der Bondserie ihren unverwechselbaren Stil bescherten und die Filme nachhaltig prägten. Regisseur Terence Young und Setdesigner Ken Adam.
Young - ein erklärter Snob, Lebemann und Frauenheld - ist maßgeblich für die Entwicklung der Filmfigur James Bond verantwortlich. Er war es, der den eher ungehobelten und aus einfachsten Verhältnissen stammenden Connery in die besten Restaurants Londons ausführte, ihm Etikette und Stil beibrachte und von den besten Schneidern der Hauptstadt (in der Savile Rowe) einkleiden ließ. So wurde der Schotte zum Experten für teure Weine, Maßanzüge, Golf und Black Jack. Young hätte selbst einen vortrefflichen Bond abgegeben, fühlte sich aber hinter der Kamera weitaus wohler.
Der unverwechselbare „Larger-than-life-Look“ der Bondfilme ist untrennbar mit dem Namen Ken Adam verbunden. Bereits für Dr. No (er sollte noch 6 weitere Bonfilme ausstatten), als ihm ein noch relativ spärliches Budget zur Verfügung stand, entwarf der geniale Art Director großartige, futuristisch anmutende Sets, die auch heute noch eine faszinierende Wirkung entfalten. Vor allem Dr. Nos Wohnung auf der Insel Grab Key ist ein innenarchitektonisches Meisterwerk und spiegelt exakt den extravaganten aber auch größenwahnsinnigen Charakter des Superverbrechers wieder.
Gerade in der Kreation der Kommandozentralen für Bonds Gegenspieler sollte Adam sich von Film zu Film selbst übertreffen. Man denke nur and Goldfingers Ranch (Goldfinger, 1964), Blofelds Vulkankrater als Raketenabschussbasis in Man lebt nur zweimal (1967), Strombergs U-Boot-fressenden Supertanker und seine Unterwasserstadt Atlantis in Der Spion der mich liebte (1977) oder Drax Raumstation in Moonraker (1979). Diese megalomanischen Extravaganzen waren in Bezug auf Technik und Realisierbarkeit ihrer Zeit immer nur so weit voraus, dass sie in naher Zukunft machbar schienen und sollten zum Markenzeichen der Serie werden.

Legendär ist auch Connerys erste Szene als James Bond. Der Zuschauer sieht den berühmten Geheimagenten zunächst von hinten. Bond spielt Karten in einem exklusiven Londoner Casino. Wie üblich ist er am Gewinnen. Ihm gegenüber sitzt die attraktive Sylvia. Erst auf ihre Frage: „Ich bewundere Ihr Glück, Mr …. ?“ schwenkt die Kamera auf Connerys Gesicht. Der zündet sich gelassen eine Zigarette an, bevor er rauchend antwortet: „Bond. James Bond!“ Selten war die Einführung eines Filmhelden cooler.
Nicht weniger als vier klassische Bond-Elemente gleich beim ersten Auftritt: Casino, Smoking, Vorstellung, Verführung. Selbstredend, dass Bond sofort ein Date für den nächsten Tag arrangiert und seine Wirkung so umwerfend ist, dass Sylvia bereit in der gleichen Nacht in seiner Wohnung aufschlägt.
Dass Connery anfangs nur dritte Wahl war, die Produzenten eigentlich James Mason und vor allem Cary Grant favorisierten, scheint im Rückblick kaum mehr vorstellbar. Selbst der im Vorfeld überaus skeptische Ian Fleming - Autor der Romanvorlagen - hielt Connery nach der ersten Sichtung des Films für eine Idealbesetzung und wollte nichts mehr von seinem Wunschkandidaten David Niven wissen.
Auch Ursula Andress erste Szene ist inzwischen Filmgeschichte. Der Venus von Milo gleich, steigt sie im (für damalige Verhältnisse äußerst gewagten) schneeweißen Bikini aus dem karibischen Meer. Da blieb wohl nicht nur Connery der Mund offen. Die Schweizerin avancierte mit Dr. No zum Weltstar und gilt bis heute als das ultimative Bond-Girl. Halle Berrys Einstand in dem Jubiläumsbond (40 Jahre Bondfilme) Stirb an einem anderen Tag (2002) ist eine exakte Kopie der oben beschriebenen Szene und eine Hommage an Andress Auftritt.

Fazit:
Dr. No ist der starke Einstand für die langlebigste und erfolgreichste Filmreihe der Kinogeschichte. Der damals völlig unbekannte Schotte Sean Connery gibt ein eindrucksvolles Debüt als charmant-brutaler britischer Superagent James Bond. Zahlreiche Markenzeichen der Serie sind bereits vorhanden: exotische Locations, schöne Frauen, schnelle Autos, diverse Actioneinlagen und Explosionen sowie ein größenwahnsinniger Superverbrecher. Snobismus, Selbstironie und blasierte Überheblichkeit des Protagonisten sind allerdings erst in Ansätzen vorhanden, auch Waffenmeister Q und seine Gadgets sollten erst im zweiten Film auftauchen.
Trotz eines relativ geringen Budgets und ohne Stars gelang Regisseur Terence Young ein bis heute frisch wirkender, spannender und überaus unterhaltsamer Agentenreißer. Der damalige Überraschungshit war nicht nur seiner Zeit voraus, sondern läutete eine neue Ära des Actionkinos ein und wirkt bis heute stilbildend für das gesamte Genre.

(9/ 10 Punkten)

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