Rassismus. Rache. Selbstjustiz. Selbstpersiflage. Eastwood rührt mit der Kombination solcher Schlagworte und deren - in ihrem Ensemble noch nicht genauer deutbaren - Hintergründe verbunden mit seinem eigenen Namen kräftig die Werbetrommel. Die Erwartungen angesichts dieses für erfahrene Filmenthusiasten so wunderbar klingenden filmischen Medleys waren überdimensional, man möchte meinen, fast schon inhärent unerfüllbar. Doch Clint Eastwood wäre nicht Clint Eastwood, wenn er nicht dennoch in der Lage wäre, seine treue und immer größer werdende Fanschar meisterhaft - und innovativ - zu bedienen. Dabei gelingt ihm dieses Mal ein Film, der in dieser Form auch die kühnsten Erwartungen an das Filmschaffen der Hollywoodikone übertrifft.
Eastwood schlüpft im Jahr 2008 in die Rolle des alten Koreakriegsveteranen Walt Kowalski, der nach dem Tod seiner Frau nunmehr allein sein in den 50er oder 60er Jahren erbautes Vorstadtdomizil bewohnt. Das Viertel, in dem er Jahrzehnte lebte, in dem seine nun erwachsen Söhne heranwuchsen, das ihn an jeder Ecke an seine geliebte Frau erinnert und das einst einer intakten Mittelstands-Nachbarschaft Wohnraum bot, ist heruntergekommen. Migranten und Jugendgangs, Fremdsprachen, ungewohntes Äußeres und fremde Sitten bestimmen das Straßenbild. Walt Kowalski wirkt wie ein nicht mehr zu diesem Ort passendes Relikt vergangener Zeiten. Der Alltag im Viertel ist von Einbrüchen, Verbrechen und zwischenmenschlicher Rohheit bestimmt. Die jungen Ausländer, die dort aufwachsen, sehen einer tristen, perspektivlosen Zukunft entgegen. Die Verlockungen der Kriminalität sind für die Jungen groß.
Während Kowalskis geliebte suburbane Idylle immer mehr verkommt, eigentlich längst keine mehr ist, mäht er stoisch Tag für Tag seinen Rasen, pflegt seinen 1972er Gran Torino und lebt seine persönlichen Vorstellung eines trauten Zuhauses wie eh und je. Und wenn die Welt um ihn herum auch noch so augenscheinlich zerfällt akzeptiert Kowalski das Schicksal nicht und stemmt sich, wenn auch zunächst nur passiv, gegen den Lauf der Dinge. Erst als der Ärger der ihm völlig fremden, asiatischen Nachbarn lautstark Überhand nimmt und schließlich auf sein Grundstück getragen wird, bricht sich der lange nur mit zynischen, rassistischen Kommentaren kanalisierte Frust über die sich wandelnde Welt Kowalskis Bahn und zieht den betagten alten Haudegen ins Geschehen.
Ohne Intention rettet Kowalski eines Tages den Nachbarsjungen vor einer ihn bedrängenden Jugendgang und wird so zum Held wider Willen seiner asiatischen Nachbarschaft. Die Dankbarkeit derselben wird von ihm zunächst mit Verachtung und rassistischen Kommentaren quittiert. Kowalski dürstet es weder nach Gesellschaft noch nach der Dankbarkeit Fremder. Doch wie es das Schicksal will, freundet er sich im Lauf der Wochen mit dem von den Gangs bedrängten kleinen Asiaten an. Es scheint, als habe das Leben für den alten Krieger eine letzte Prüfung parat.
Eastwoods „Gran Torino" lebt die erste Hälfte seiner genau abgestimmten Spielzeit nicht nur vom genialen Minenspiel Eastwoods, sondern vom Wortwitz des vorgeblich rassistischen Walt Kowalski. Dabei lädt jeder noch so rassistische, äußerst politisch unkorrekte Kommentar nach anfänglichem Stutzen zum lauten Mitlachen ein. Hier macht der erfahrene Kinogänger eine ungewohnte Erfahrung. Obwohl das Zuschaustellen des Zynismus und schrägen Humors, der Kommentare und rassistischen Beleidigungen Kowalskis auf eine anachronistische, heute anstößige Weise geschieht, wirkt der Alte nicht wirklich wie ein Unmensch. Ein überzeugter Rassist wäre hingegen gemessen an den Wertemaßstäben der modernen westlichen Welt - vor allem in der filmischen Darstellung - sicherlich als ein solcher zu bezeichnen. Doch wirken Kowalskis Voreingenommenheit und sein plakativer Rassismus irgendwie nicht authentisch. Sie wirken apokryph. Die Fremdenfeindlichkeit des alten Mannes dient ihm seit Jahrzehnten als persönlicher Damm vor den Fluten des Neuen, als Schutzwall vor den Veränderungen der Welt und besonders denen seines Viertels. So macht der den eigenen Rassismus persiflierende Umgang mit dem ausländischen Friseur - der selbst wiederum spaßig Kowalski als „Polaken" beschimpft und dessen Spaß am Karikieren von Vorurteilen teilt, den von ihm zugespielten Ball also aufnimmt und weiterspielt - deutlich, dass Kowalski kein Überzeugungstäter, sondern schlicht ein mürrischer, vom Schicksal gebeutelter Mann ist. So ist auch die sich schleichend ändernde Einstellung zu den ausländischen Nachbarn und die hier aufbrechende genuine Freundlichkeit womöglich kein neuer, sondern ein durch seine Kriegserlebnisse lange verschütteter Wesenszug der von Eastwood gespielten Figur. Geht man von dieser Prämisse aus, so findet kein Revidieren seiner in den 70ern mit der Figur Dirty Harry - an die sich Eastwood mit Walt Kowalski mehr als einmal deutlich anlehnt - kolportierten Werte statt, sondern eher ein Justieren derselben, sozusagen ein endgültiges Hinüberretten des damals Vermittelten in die heutige politische Korrektheit. Auch Dirty Harry ist nicht wirklich Rassist. Sowohl Kowalski als auch der kalifornische Detective sind allerdings Figuren, die sich um politisch korrekte Denkmuster nicht um derselben wegen scheren, sondern die einzig und allein der Erfahrung erlauben, an ihrem Weltbild zu feilen. In ihr Sichtfeld tretende Fremde erhalten die Chance, sich zu bewähren, auch wenn die eigene Erfahrung zu anderem rät. Sie sind keine Dogmatiker. Ein überzeugter Rassist würde sich sicherlich anders verhalten, denn dessen Hass speist sich aus der tiefen Abneigung gegenüber der bloßen Existenz einer anderen Hautfarbe oder Ethnie. Eastwoods Ambition scheint es vielmehr gewesen zu sein, angesichts divergierender Denkmuster und fremder Mentalitäten, im Hinblick auf Vorurteile und deren Ursachen zu sensibilisieren, ohne mit dem moralischen Zeigefinger zu wedeln. Ein grundanständiges Unterfangen, das ihm vollauf gelingt!
Der im Film präsentierte, politisch unkorrekte Humor, der hier so ungewohnt ungehemmt genossen werden kann, stellt eigentlich ein Phänomen dar, denn angesichts der heute geächteten Weltsicht Kowalskis müsste er abstoßen. Doch tut er das nicht wirklich. Die Verbitterung des alten Mannes wirkt nicht unbegreiflich. Sie wirkt nicht nur authentisch, sondern auf traurige Weise nachvollziehbar. Dass Rassismus keine Antwort auf die nicht zu ändernde Realität sein kann, sondern nur ein defektes Vehikel darstellt, das kaum sanft durchs Leben trägt, weiß in seinem Innersten wohl auch der alte Miesmacher - der Zuschauer weiß es sowieso. So wirkt der unbeschwerte Umgang und das humoristische Spiel mit dem Thema Fremdenhass zwar zunächst befremdlich, doch letztendlich kathartisch. Einmal mehr bereichert Eastwood die Filmwelt mit so noch nie Gesehenem. Er nutzt die mentalitätsgeschichtlichen Möglichkeiten, die ihm die jeweilige Zeit bietet, voll aus. Das tat er in den 70ern und das macht er im Jahr 2008. Rassismus ist in der westlichen Welt inzwischen derart stigmatisiert und mundtot gemacht, dass man mit ihm offenbar inzwischen sogar filmästhetisch jonglieren darf, und das ohne anzuecken. Spinnt man diesen Gedanken zu Ende, so scheint der Rassismus in einer zunehmend globalisierten Welt tatsächlich in seinem wohl verdienten, allerdings nur langsam voranschreitenden Niedergang begriffen zu sein.
Widmen sich die ersten beiden Drittel des Films also vornehmlich dem Verhältnis Kowalskis zu seiner multikulturellen Nachbarschaft, so ändert sich der Charakter des Films in seinen letzten dreißig Minuten. Als nämlich das Drangsalieren der nun ins Herz geschlossenen Nachbarn durch eine Jugendgang überhand nimmt, stirbt der Humor des Films, denn der alte Kriegsveteran muss ein letztes Mal zur Waffe greifen - und das Drama nimmt seinen Lauf. Ohne zuviel zu verraten muss konstatiert werden, dass die Art und Weise, in der Eastwood dem umbenannten Dirty Harry hier einen würdigen, überzeugenden Abgang verschafft, phänomenal ist. Innovativer und unkitschiger hätte sich Eastwood nicht aus den Kalamitäten des Alters winden können.
„Gran Torino" ist schlicht und einfach ein Meisterwerk, eine perfekt aufeinander abgestimmte Mischung aus Drama, Komödie und Rachefilm. Dass auf diesem Feld nur allzu leicht zur Falle werdende Schlaglöcher von Eastwood in beinahe unglaublicher Professionalität umfahren werden, spricht Bände über die Filmkunst der betagten Hollywoodikone, die mit ihrem wieder einmal offiziell letzten Werk das in den 70ern mit „Dirty Harry" aufgeschlagene Kapitel abschließt und damals Vorgebrachtes ohne zu revidieren erfolgreich neu justiert. Herr Eastwood, Hut ab!