Review

"Antichrist" - Ein Ehepaar versucht, den Unfalltod ihres jungen Sohnes zu verarbeiten, indem sie den urbanen Zwängen entfliehen und sich eine Auszeit im Wald gönnen. Dort versuchen die beiden, sich ihrem Leid und ihren Urängsten zu stellen. Bald eskaliert jedoch die Situation (und das darf man wörtlich nehmen). Wer trägt die Schuld am Elend der beiden? Das Schicksal? Der Mann? Nein! Wie bei Adam und Eva - die Frau!

Wieder einmal wird ein Skandalfilm herumgereicht und über dessen Daseinsberechtigung diskutiert. Und siehe da, diesmal finden sich - trotz entliehener Elemente des Pornokinos, provokativer Frauenfeindlichkeit, sterbender Tiere und sehr explizit gezeigter Gewalt - zuhauf Kritiker, die den neuen Film des dänischen Regisseurs Lars von Trier loben. Die Vorführung in Cannes tat dann ein Übriges, sein aktuelles Werk zu bewerben. Wandert man nun wachen Auges durch die Welt der einschlägigen Feuilletons, erlebt so mancher Zweifelnde allerdings ein Panoptikum an Bizarrerien und menschlicher Begeisterungsfähigkeit. Gucken wir genauer hin!

"Sein Film zeigt das Ende eines Paares, das Ende des Geschlechterkampfes. Das Ende der Liebe. Das Ende der Menschheit. Antichrist ist die reine Apokalypse."
(Die Zeit)

Harter Tobak! Also wenn das nicht interessant klingt! Lars von Triers Film mit dem Aufsehen erregenden Titel "Antichrist" ist also der feuilletonistischen Werbung zufolge im höchsten Maße psychologisch aufgeladen. Und es wird tatsächlich noch nicht einmal zuviel versprochen. In der Tat zeigt von Triers ambitionierte Suche nach den Abgründen der menschlichen Natur und ihrer intergeschlechtlichen Auseinandersetzung das letztendlich recht blutige Ende einer Beziehung. Und da beide Ehepartner am Schluss des Films körperlich recht mitgenommene Krüppel sind, könnte man auch durchaus vom Ende des Geschlechterkampfes der beiden sprechen. Sie lieben sich dann natürlich auch nicht mehr - es sieht zumindest nicht danach aus. Wie steht es mit dem "Ende der Menschheit"? Ich bin mir nicht sicher. Ich sehe hier eher das Ende zweier Irrer im Wald, die die Menschheit nicht braucht. Beide haben es sich nämlich offenbar zur Zielsetzung gemacht, ihren Trip in den heimischen Hain dazu zu nutzen, substanz- und zusammenhangloses Gerede über Schuld und Ängste, Satan und Natur in all seiner aufdringlichen Rührseligkeit - leider wenig zeitökonomisch - gegenseitig zu deklamieren. Dabei ergeht sich der weibliche Part in regelmäßigen Abständen irrational aggressiv in Schuldzuweisungen und physischen Angriffen auf den männlichen Teil (und dessen Teil) - wir geschundenen Herren der Schöpfung kennen das ja aus dem täglichen Leben. Spätestens aber mit der Apokalypse hat das Kammerspiel der beiden im Forst dann aber schließlich überhaupt nichts mehr zu tun. Davon abgesehen, dass wir, wie erwähnt, hier zwei Fälle für die Herren in weiß vor uns haben, reicht der mittelalterliche Bezug der Frau und ihrer Weiblichkeit zum Bösen und damit dem Satan im Jahre 2010 nun wirklich nicht mehr aus, hier irgendwie philosophisch punkten zu können, es sei denn, man ist auf der verzweifelten Suche danach, sich von jedem erstbesten, medial gelieferten eschatologischen Ansatz beeindrucken zu lassen. Ich Prolet bin das offenbar nicht.

"Gnadenlos grandios - ein Meisterwerk!" (ARD)

"Gnadenlos" trifft es durchaus. Nicht oft wird so bemüht bedeutungsschwanger und analogieüberfrachtet gegenseitig auf sich eingehackt, werden Geschlechtsteile abgeschnitten, Beine durchbohrt und zugebissen. Bei einem Regisseur wie Eli Roth nennt man das als manisch elitärer Feuilletonist Grindhouse-Kino oder Schund, bei Lars von Trier eine meisterhafte Parabel auf den Geschlechterkampf. Wenn also die Frau dem Mann einen Schleifstein ins Bein schraubt, um ihren Part als Klotz am Bein des Partners zu visualisieren, ist das einfach "genial". Den Konflikt der beiden dokumentiert von Trier unter anderem dann natürlich auch mittels der irrationalen Ängste der Frau (Charlotte Gainsbourg), die sich hier in Trauer um ihr verlorenes Kind nicht traut, barfuß über den Waldboden zu laufen. Nachdem man sich von der zwingenden Genialität dieses Gleichnisses erholt hat, darf man dem Mann (Willem Dafoe) lauschen, der - ganz der Rolle des starken Geschlechts entsprechend der Instrukteur - seine Frau dazu animiert, es einfach einmal zu versuchen. Und siehe da, der Waldboden beißt nicht. Sie bleibt unverletzt und wähnt sich gar genesen. Doch natürlich weit gefehlt! So einfach macht es uns Lars von Trier nicht, denn so mir-nichts-dir-nichts lässt sich der Krieg der Geschlechter nicht aus der Welt therapieren. Nein, man muss sich erst noch tagelang gegenseitig vergewaltigen und in den Rollstuhl knüppeln, stechen und sägen, um dann doch nur zu der Erkenntnis zu gelangen, dass Jungs und Mädels nicht zusammenpassen. Dieser Einsicht würde sich, und das muss ohne Besserwisserei Lars von Trier konzediert werden, jedes vorpubertäre Schulkind der fünften Klasse ohne viel Nachgrübeln anschließen.

"Kompromissloses Kunstkino, wie es sich heute sonst niemand mehr traut" (Kulturspiegel)

Lars von Triers "Antichrist" ist kompromisslos. Er ist kompromisslos unbedarft in seiner Sezierung der menschlichen Natur. Als seien Eheleute potentiell allgemeingefährliche Wahnsinnige, die neurasthenisch nur darauf lauern, die Fehler und Schnitzer des Partners im Blut zu ersaufen. Ist "Antichrist" womöglich dennoch Kunst? Wenn eine mit Kot beschmierte Beuyssche Badewanne als Kunst gilt und eine in zwei Minuten mit roter Farbe vollgekleckste Leinwand mehrere Hunderttausend Taler wert ist, dann sind Lars von Triers FKK-Ringkämpfe im Wald tatsächlich auch Kunst. Charlotte: "Eichen können mehrere Hundert Jahre alt werden. Und um sich fortzupflanzen, müssen sie nur einmal alle Hundert Jahre einen Baum hervorbringen. Für dich mag sich das banal anhören." Nicht nur für dich!

"Ein außergewöhnliches Kunstwerk" (Daniel Kehlmann)

Um nicht wieder den Vergleich mit Exkrementen und modern-künstlerischen Schmierereien zu bemühen, versuchen wir wissenschaftlich zu sein und lassen die Etymologie zu Wort kommen. Kunst ist nicht zu trennen vom Begriff "Können". Natürlich unter Zugabe von Kreativität und Eingebung wird Erhabenes geschaffen. Während des Filmens an der Brennweite des Kameraobjektivs zu drehen, zeugt allein für sich womöglich doch noch nicht von Können. Das kann nämlich jeder gesunde Schimpanse. Für passionierte Enthusiasten dennoch ein Kunstkniff! Was kann also nun Lars von Trier? Erzählt er uns womöglich tatsächlich vom tiefenpsychologischen Zwist der Geschlechter? Oder präsentiert er vielleicht auch nur die dort ausgefochtenen Grabenkämpfe auf innovative Weise? Hmm,... nein. Macht er nicht. Er verwendet - wie SAW - einen reißerischen Titel, um sein Produkt zu vermarkten. Das sei ihm noch von Herzen gegönnt. Dann mixt er pikante Zutaten, wie von allen Richtungen gefilmte erregierte Geschlechtsteile und deren Verkehr, rohe, unmotivierte sexuelle Gewalt, tote Tiere, Folter, Leid und Elend zusammen und siehe da, garniert mit dem angeblich sexualaufklärerischen Unterbau wird das Ganze anspruchsvoll. Hätte Eli Roth mal lieber seine letztjährigen Schlachtplatten als "gewaltsame Interaktion osteuropäischer Kultur mit naiver US-amerikanischer Adoleszenz" beworben. Er wäre bei Cannes sicher ebenfalls gelobt worden.

"Schönheit. Horror. Schock. Entsetzen. Komik ...sicher das beste Horrorstück, das je über den Schrecken des Waldes gedreht wurde." (Süddeutsche Zeitung)

Welche "Schönheit"? Ich hoffe doch damit ist nicht Charlotte Gainsbourg gemeint. Ob Willem Dafoe hier adressiert ist, vermag ich als Mann schwer zu sagen. "Horror"? Wenn man "Horror" als "Schrecken" auffasst, dann trifft es den Punkt. Lars von Triers Streifen ist schrecklich langweilig. Er ist schrecklich aufgesetzt und "entsetzlich" überflüssig. "Komik"? Also wenn das uns hier von Trier Aufgetischte komisch ist, dann ist auch Kubricks "2001 - Odyssee im Weltraum" zum totlachen. "Das beste Horrorstück über den Schrecken des Waldes"? Ähm. Reden wir hier vom Räuberwald? Also der im Film gezeigte Wald wirkt wie ein x-beliebiger, gepflegter Forst, der vielleicht allenfalls dann zum Schrecken wird, wenn man an den falschen Pilzen schleckt. Und bei obigem Resumee des Films kamen mir tatsächlich Engelstrompeten in den Sinn.

Was lernen wir Männer und Frauen nun aus Lars von Triers naturverbundenen Psychopathen? Ich schneide meiner Freundin beim nächsten Streit die Klitoris ab. Und sie quetscht mir dafür den Penis kaputt. Auf diese Weise, so haben wir gelernt, können wir unseren Rollenkonflikten endlich ein Ventil verschaffen. Und dabei verhalten wir uns obendrein ganz natürlich, denn "die Natur ist Satan". Oje.

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