Eine Kritik von Porcupine (Bewertung des Films: 8 / 10) eingetragen am 27.06.2006, seitdem 653 Mal gelesen
Krzysztof Kieslowski machte sich mit diesem Werk hier daran, die Farben der französischen Flagge zu verfilmen. Begonnen hat er logischerweise mit der ersten Farbe, nämlich Blau. Sowohl dieser Teil als auch die beiden darauffolgenden Sequels handeln alle über Frankreich oder französische Staatsbürger. Im Mittelpunkt stehen hierbei menschliche Einzelschicksale und wie mit ihnen umgegangen wird.
Bei "Drei Farben: Blau" geht es um Julie, die bei einem Autounfall ihren Mann Patrice, ein Komponist und ihre Tochter verliert. Fortan treiben sie Suizidgedanken, doch nachdem sie sich nicht überwinden kann, versucht sie, ihre Familie zu vergessen, indem sie alle Sachen, die sie an sie erinnern, verkauft oder wegwirft. Erst als sie wieder mit der Vergangenheit konfrontiert wird, fängt sie an, mit dem Verlust leben zu können.
Vergessen durch Verdrängen. Diese Methode stellt Kieslowski zunächst in seinem Film dar. Die Einführung zeigt den Unfall von Julie und ihrer Familie. Die Art und Weise, wie dieses Unglück auf Leinwand gebannt wird, hat man in dieser Form definitiv noch nicht gesehen. Wunderschöne, verfremdete Bilder werden einem gezeigt. Eine Großaufnahme von der kleinen Tochter, wie sie aus dem Heckfenster schaut und verwaschen die Unmenge an Autos sieht, die hinter ihnen fahren. Dann halten sie am Straßenrand. Großaufnahme auf das Bremskabel. Bremsflüssigkeit tritt aus. Die Katastrophe ist vorprogrammiert. Dann sieht man einen jungen Mann in einem Feld stehen. Mit einem Holzstock in der Hand, an dem ein Ball mit Loch befestigt ist. Er versucht, den Ball auf den Holzstock zu befördern. Als ihm dies gelingt, kracht es. Julie und ihre Familie rammen einen Baum. Diese Szenerie ist fast schon unwirklich, nicht zuletzt wieder einmal durch Kieslowskis Art, ausgefallene, aber dennoch irgendwie wunderschöne Bilder mit harten Schicksalsschlägen zu verbinden. Wo auch schon "Ein kurzer Film über das Töten" mit einer eigenwilligen Optik aufwartete, fährt der polnische Regisseur hier mit ähnlicher Methode fort.
Danach sieht man ein Close-Up von einem Auge, in dem wiederum ein Arzt zu sehen ist. Wieder so eine Aufnahme, die ins Mark geht und einem lange im Gedächtnis bleibt. Julie befindet sich im Krankenhaus und ihr wird mitgeteilt, dass ihre Tochter und ihr Mann den Unfall nicht überlebt hätten. Sie versucht, sich das Leben zu nehmen, schafft es jedoch nicht.
Gequält von der Trauer und den Gedanken an ihre verstorbene Familie, versucht sie, diese zu vergessen, indem sie die ganze Hauseinrichtung verkauft und die Kompositionen ihres sehr populären Ehemannes entsorgt. Zudem sucht sie Ablenkung bei einem alten Freund der Familie, der anscheinend seit Lebzeiten in sie verliebt ist und sich ihrer annimmt. Dennoch lebt Julie wie in Trance, nimmt ihre Umgebung und ihre Mitmenschen gar nicht so richtig war. Teilweise erscheint es, als ob es wie eine Genugtuung für sie ist, wenn sie andere Menschen beim Leiden zuschauen kann. Als Nachts ein junger Mann auf der Straße brutal zusammengeschlagen wird und Julie das beobachtet, steht sie nur nichtstuend an ihrem Fenster. Noch nicht einmal, als der Verprügelte flüchten kann und bei ihr an der Haustüre klopft, um Einlass zu finden, unternimmt sie etwas dagegen.
Erst als sie dann nach und nach ungewollt mit dem Leben ihres Ehemannes konfrontiert wird, beginnt sie bewusst, gegen ihre Trauer anzukämpfen und wieder so etwas, wie einen Lebensinhalt zu entwickeln. Sie macht sich auf die Suche nach der Vergangenheit ihres Mannes, von der sie anscheinend weniger wusste als ihr zunächst bewusst war. Sie bringt Dinge in Erfahrung, die sie wieder leben lassen. Diese Sachen sind dabei alles andere als erfreulich, doch Kieslowski vertritt die Meinung, dass es unmöglich ist, zu vergessen, indem man verdrängt. Bewusst setzt sie sich mit dem Verlust auseinander, geht wieder unter Leute, anstatt in ihrem leergeräumten Haus zu wohnen. Sie trifft die Geliebte ihres Mannes und den jungen Mann, der sie damals bei ihrem Unfall beobachtete. Sie findet zu alter Stärke und schafft es, den Verlust irgendwie zu verkraften. Bis sie sich sogar über die unvollständigen Kompositionen ihres Mannes hermacht und diese zu einem wunderschönen Ende bringt.
Kieslowski porträtiert also mal wieder die menschliche Psyche und das auf eine sehr, sehr intensive Art und Weise. Wenn man das Close-Up von Juliette Binoches Gesicht sieht und dann Zwischenschnitte, wie sie sich gerade eben die aufgezeichnete Beerdigung ihrer verstorbenen Familie, zu der Zeit sie ja noch im Koma lag, dann ist das unglaublich beklemmend, bedrückend und niederschmetternd gleichzeitig. Dass Binoche überragend spielt, muss nicht weiter erwähnt werden.
"Drei Farben: Blau" bietet also sicherlich nicht die große Kurzweile, unterhält aber in dem Sinn, die Entwicklung Julies mitanzusehen. Und spätestens, als man dann die letzten 5 Minuten sieht, in denen noch einmal alle mitwirkenden Personen nacheinander ins Bild kommen und die wunderschöne, faszinierende Komposition Julies einsetzt, weiß man, einen etwas anderen und umso anspruchsvolleren Film gesehen zu haben.
Die Farbe Blau kommt dabei nicht nur im Filmtitel vor, sondern zieht sich wie ein "blauer" Faden durch den ganzen Film. Bei den Credits ist der Hintergrund blau, es gibt ein blaues Zimmer in Julies Haus, mit einer blauen Diamantenkette und auch das Hallenbad, das sie gelegentlich aufsucht, ist von blauer Farbe dominiert.
Ich freue mich auf die nächsten beiden Teile, denn bei aller Qualität, die "Blau" mit sich bringt, es gibt immer noch eine Steigerung nach oben. Dennoch ein absolutes Muss für Fans anspruchsvoller Unterhaltung.
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